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Dann ist die Party, mit oder ohne Tee, vorbei.

© AFP

US-Wahlergebnis: Amerika ist tief gespalten

Der republikanische Tsunami ist ausgeblieben. Dennoch: Die Niederlage von Barack Obamas Demokraten ist dramatisch.

Kurz nach 20 Uhr Ostküstenzeit holt Nancy Pelosi tief Luft. Dann pfeift sie fast trotzig durch ihre zusammengekniffenen Lippen: "Wir gehen nicht zurück in die Vergangenheit. Vorwärts zum Sieg!"

Doch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt, die ersten Wahllokale hatten gerade geschlossen, ahnte sie, es würde ein sehr schmerzlicher Abend für ihre Demokratische Partei werden – und für sie persönlich. Vier Jahre lang war Pelosi Sprecherin des Repräsentantenhauses und damit hinter Präsident und Vizepräsident die drittmächtigste Politikerin Amerikas.

Aber die ersten hereintröpfelnden Ergebnisse zeigten bereits: Die Republikaner würden diese Kammer zurückerobern – und zwar mit einem haushohen Sieg. Sprecher des Hauses wird künftig John Boehner sein, Abgeordneter aus Ohio. In einer bewegenden Rede sprach er von seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen und warnte seine Partei davor, übermütig zu werden. "Wir haben erst dann einen Grund zu feiern," sagte er unter Tränen, "wenn die Amerikaner wieder Arbeit haben."

Die Niederlage der Demokraten ist dramatisch – und wenn man die Geschichte bemüht: noch dramatischer als 1994. Damals verloren sie unter Bill Clinton bei der Halbzeitwahl 52 Abgeordnete. Diesmal werden es noch mehr sein.

Aber ebenso steht fest: Ein republikanischer Tsunami blieb aus. Die Demokraten konnten – trotz etlicher Verluste – ihre Mehrheit im Senat verteidigen. Wenn auch nur knapp. Sogar der umstrittene demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, konnte seinen Sitz gegen eine Kandidatin der Tea Party verteidigen. Überhaupt fiel das Ergebnis für die Tea Party sehr unterschiedlich aus. Einige Kandidaten, für die sich die Ikone der Rechten, Sarah Palin, stark ins Zeug gelegt hatte, unterlagen.

Geteilte Macht, der Präsident auf der einen, der Kongress auf der anderen politischen Seite, das gehört in Amerika zur Regel. Aber jetzt gibt es eine doppelt geteilte Macht: Der Kongress ist selber gespalten, zwischen einem republikanischen Repräsentantenhaus und einem demokratischen Senat. Das ist eher selten. Diese neuen politischen Verhältnisse sprechen nicht dafür, dass Amerika aus der politischen Sackgasse kommt. 

Auch einige wichtige Gouverneurswahlen gingen für die Demokraten verloren, vor allem in für sie so entscheidenden Industriestaaten wie Ohio und Michigan. Sie stehen nicht im Fokus des öffentlichen Interesses. Gleichwohl sind sie wichtig, vor allem für 2012, wenn der nächste Präsident gewählt wird. Demnächst werden in vielen Bundesstaaten Wahlkreise neu gezogen – wer dort regiert, kann die Grenzen zum Vorteil seiner Partei verschieben. Das sind schlechte Nachrichten für Obama. 

Seite 2: Die drei Lehren aus dem Wahlergebnis

Drei große Lehren lassen sich ziehen – neben vielen kleinen, wie zum Beispiel, dass private Millionenvermögen keinen Wahlsieg garantieren. Die Republikanerin Meg Whitman hat über 140 Millionen Dollar aus ihrer eigenen Kasse aufgewendet, um Gouverneurin von Kalifornien zu werden. Die Multimillionärinnen und Republikanerinnen Carly Fiorina (Kalifornien) und Linda McMahon (Connecticut) warfen ebenso viel eigenes Geld in den Wahlkampf, um als Senatorinnen in den Kongress einzuziehen. Alle drei Frauen unterlagen. Überhaupt zählen Frauen, vor allem konservative, zu den Verliererinnen. Neben den eben genannten steckten auch zwei hoch gehandelte Tea Party Kandidatinnen Niederlagen ein.

Aber zu den drei großen Lehren: Erstens, die Wähler haben gegen die Demokraten und gegen Präsident Barack Obama gestimmt – und nicht für die Republikaner. Zweitens, Amerika ist über den richtigen Weg in die Zukunft nach wie vor tief gespalten. Und drittens: Diese Wahl sagt nichts über den möglichen Ausgang der Präsidentschaftswahl 2012 aus. Neues Spiel, neues Glück.

Die Niederlage der Demokraten ist ziemlich leicht zu erklären: "It’s the economy, stupid", damit schlug Bill Clinton vor 18 Jahren George Bush Senior. Es kommt auf die Wirtschaft an, Dummkopf! – damit haben die Republikaner jetzt die Demokraten geschlagen. Jeder zehnte Amerikaner ist arbeitslos, das Land ist mit 13 Billionen Dollar verschuldet, die Hauspreise fallen, die Zahl der Zwangsversteigerungen wächst.

Kein Wunder, dass die Amerikaner inmitten der schwersten Wirtschaftskrise seit achtzig Jahren nur an eines denken: Jobs, Jobs, Jobs! Alles andere, Gesundheitsreform, Finanzmarktregeln, Klimaschutz, Einwanderungsgesetz, fällt dahinter weit zurück. Doch auf dem Arbeitsmarkt bewegt sich bislang nichts und es tröstet niemand, dass es ihm ohne Obamas Konjunkturpaket noch schlechter gehen würde. Die Menschen haben keine Geduld – und Geduld ist sowieso keine amerikanische Tugend.

Die Amerikaner sehen nur eines: Der Staat nimmt Abermilliarden von Dollar in China oder anderswo auf, um die Wirtschaft anzukurbeln – aber die Arbeitslosenkurve steigt und steigt. Für die Mehrheit der Amerikaner steht damit fest: Obamas Programm hilft nicht. Kandidaten, die sich in diesem Wahlkampf hinter den Präsidenten und seine Reformagenda stellten, wurden vielerorts vom Wählerunmut hinweggefegt.

Marco Rubio, der neue republikanische Senator aus Florida und Sohn kubanischer Einwanderer, fand den richtigen Ton an diesem Abend. Er warnte seine Partei vor Übermut. Die Republikaner seien mit schuldig an der Wirtschaftsmisere, sagte er, "wir haben vom Wähler nur eine zweite Chance, eine Bewährungsprobe bekommen." So ist es. Nach Umfragen trauen die Wähler den Republikanern nicht mehr zu als den Demokraten. Der einzige Unterschied: Die Demokraten regieren und tragen jetzt die Verantwortung. Nur ihnen kann man einen Denkzettel erteilen.

Wenn die Republikaner stramm nach rechts marschieren, wenn sie sich jeglicher Zusammenarbeit mit den Demokraten und Präsident Obama verweigern, werden sie ihren grandiosen Sieg spätestens in zwei Jahren wieder ebenso grandios verspielen. Denn die Wähler wünschen Lösungen und keine starre Obstruktion.

Seite 3: Die Präsidentenwahl 2012 ist noch nicht entschieden

Doch in den Kongress ziehen jetzt etliche Kandidaten der rechten Tea Party ein, die auf Konfrontation und nicht auf Kompromiss setzen. Sie haben ihren Wählern versprochen, die Obama-Regierung zu blockieren, wo sie nur können. Die republikanischen Parteiführer werden darum ständig ausgleichen müssen, zwischen dem Obstruktionswillen der Tea Party und der Kooperationsbereitschaft der Moderaten. Von ihrem Geschick werden die Wahlchancen der Republikaner 2012 entscheidend abhängen.  

Die zweite Lehre: Zur Wahl sind vor allem die Verärgerten und die Wütenden gegangen, die Unentschiedenen und von Obama Enttäuschten blieben eher zu Hause. Die Halbzeitwahl treibt traditionsgemäß sowieso weniger Menschen zur Wahl. Deshalb wäre es falsch, aus diesem Wahlergebnis die Schlussfolgerung zu ziehen, die Amerikaner wollten eine radikale Umkehr und zurück zum alten republikanischen Programm: weniger Staat, weniger Steuern, weniger Regulierungen!

Genau darüber sind Republikaner und Demokraten nämlich nach wie vor tief gespalten. Die Demokraten meinen, der Staat müsse den Not leidenden Menschen noch mehr helfen und die Gesundheitsreform müsse noch mehr Leute gegen Krankheit absichern. Die Republikaner wollen genau das Gegenteil. Und die politische Mitte? Sie tendiert eher zu den Konservativen, aber nicht in so großer Zahl, wie man bislang weithin gedacht hat.

Die dritte Lehre: Die Wähler haben am Dienstag gegen die Demokraten –und gegen den Präsidenten gestimmt. In Obamas Wahlheimat, dem Bundesstaat Illinois, rannten ihm die Wähler in Scharen davon. Jetzt muss der Präsident zeigen, ob er die Botschaft vom Dienstag verstanden hat. Selbstkritik, Selbstzerknirschung und die Fähigkeit einzulenken – das waren bislang nicht gerade die Tugenden des bisweilen vor Selbstbewusstsein strotzenden Obama.

Dennoch: Sollte sich der Himmel über Amerika in den nächsten zwei Jahren aufhellen, wie viele Fachleute voraussagen. Sollten wieder mehr Menschen Arbeit finden und ihre Häuser wieder Gewinn einfahren, dann werden sie 2012 erneut für Barack Obama stimmen. So schnell kann das gehen, so dicht können Sieg und Niederlage beieinander liegen. "It’s the economy, stupid!"

Quelle: Zeit Online

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