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Kurt Schrimm, Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, zwischen Regalen mit Aktenbergen.

© dpa

NS-Verbrechen: Verfahren gegen 30 ehemalige Wachleute von Auschwitz

Mehr als 68 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs müssen 30 frühere Aufseher in Auschwitz damit rechnen, vor Gericht gestellt zu werden.

In Deutschland müssen 30 ehemalige Wachleute im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau mit einem Verfahren wegen Beihilfe zum Mord rechnen. Die Zentrale Stelle zur Aufklärung von nationalsozialistischen Verbrechen in Ludwigsburg habe Vorermittlungsverfahren gegen 30 ehemalige Aufseher abgeschlossen, sagte der Behördenleiter Kurt Schrimm am Dienstag. Gegen sieben weitere im Ausland lebende Personen, darunter eine in Israel, laufen noch Vorermittlungen. Die 30 Verfahren werden an die zuständigen Staatsanwaltschaften in elf Bundesländern abgegeben. Diese müssen dann darüber entscheiden, ob sie Anklage erheben. Zuvor wird auch die Verhandlungsfähigkeit der zwischen 1916 und 1926 geborenen beschuldigten Männer und Frauen geprüft. Der Direktor des israelischen Büros des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, sprach von einem „Meilenstein“ in den Bemühungen, NS-Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen.

Dass es jetzt, mehr als 68 Jahre nach dem Ende der NS-Gewaltherrschaft, zu einer Vielzahl neuer Ermittlungen kommt, liegt an einer Änderung der Rechtsprechung. Kurt Schrimm erinnerte am Dienstag an ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 1969. Darin hieß es, dass Auschwitz kein reines Vernichtungslager war, deshalb müsse man den Aufsehern einen konkreten Tötungsbeitrag nachweisen. Aufgrund dieses BGH-Urteils wurde gegen zahlreiche Aufseher nicht mehr ermittelt. Denn die internierten Opfer konnten nur in Ausnahmefällen die Aufseher, ihre Namen und konkrete Taten benennen.

Urteil gegen John Demjanjuk führte zu neuen Ermittlungen

Die Rechtsprechung änderte sich mit dem Demjanjuk-Urteil 2011. Auch hier hatte die Zentralstelle in Ludwigsburg Vorermittlungen geführt und dann den Fall an die Staatsanwaltschaft München übergeben. Die klagte dann an. John Demjanjuk wurde im Mai 2011 vom Landgericht München wegen Beihilfe zum Mord zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er war in deutscher Kriegsgefangenschaft der Waffen-SS beigetreten und wurde Aufseher im Vernichtungslager Sobibor. Diesen Dienst beurteilte das Münchner Gericht als ausreichend für seine Verurteilung, denn Sobibor sei ein Vernichtungslager und die Aufseher in allen Bereichen tätig gewesen. Ein konkreter Tatbeitrag müsse hier nicht nachgewiesen werden. Das Urteil bedeutete eine Wende, wurde aber nicht rechtskräftig. Denn bevor am BGH über die Revision verhandelt wurde, starb Demjanjuk im März 2012 mit 91 Jahren.

"Unser größter Feind ist die Zeit"

Das Urteil war aber für die Mitarbeiter in Ludwigsburg Anlass, ab 2011 erneut gegen Auschwitz-Aufseher zu ermitteln. Von ursprünglich 49 Verdächtigen waren neun gestorben. „Unser größter Feind ist die Zeit“, sagte der leitende Oberstaatsanwalt Schrimm am Dienstag.

Baden-Württembergs Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) erinnerte daran, dass Mord nicht verjährt. Das hohe Alter der Beschuldigten werde beim Strafmaß berücksichtigt, schütze aber nicht vor Strafverfolgung. Allerdings muss vor einer Hauptverhandlung der Gesundheitszustand der Angeklagten geprüft werden. Schrimm warnte deshalb „vor zu hohen Erwartungen“, dass es gegen alle 30 ehemaligen KZ-Aufseher tatsächlich zu Prozessen komme. Er fahndet seit 20 Jahren nach mutmaßlichen NS-Verbrechern. „Ich habe keinen einzigen erlebt, der Reue gezeigt hat.“

Derzeit wird in Deutschland bereits gegen zwei weitere frühere Auschwitz-Wachmänner ermittelt. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft könnte in einem Fall bald Anklage erheben. Staatsanwälte im bayerischen Weiden warten außerdem derzeit noch auf Rechtshilfe aus den USA, wo der zweite Tatverdächtige lebt.

Jurist Thomas Walther kritisiert Behörde in Ludwigsburg

Der Anwalt Thomas Walther, der in seiner Zeit in der Ludwigsburger Behörde die Ermittlungen gegen John Demjanjuk überhaupt erst in Gang gebracht und geführt hatte, begrüßte den Abschluss der Vorermittlungen gegen die ehemaligen Auschwitz-Wachleute. „Ich bin froh, dass es jetzt überhaupt dazu gekommen ist und dass es diesmal nicht Verfahren gegen Ukrainer oder Litauer sind, sondern gegen Deutsche“, sagte Walther dem Tagesspiegel. Er kritisiert aber, dass die Zentrale Stelle nicht früher mit der Suche nach den Auschwitz-Wachleuten angefangen habe. „Damit hätte man einige Jahre früher beginnen können, nachdem gegen Demjanjuk Anklage erhoben worden war“, betonte der Jurist, der mögliche Nebenkläger in den Verfahren in Stuttgart und Weiden vertritt.

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