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Verkehrsminister: Ramsauers verkehrte Welt

Sich inszenieren, das kann Peter Ramsauer. Warum tut er es aber als Verkehrsminister nicht? Jetzt, im Winter, da nichts mehr klappt, könnte er aus der Krise seine Chance machen.

Der Schnee kommt zurück. Ausgerechnet jetzt. An diesem Mittwoch fallen die Flocken vorerst nur in den Bergen, sagt der Wetterbericht. Dann, in den kommenden Tagen, könne es bis hinunter ins Flachland weiß werden. Das bedeutet Frost, Eis, Schnee, Glätte. Und Ärger für Peter Ramsauer.

Eigentlich hat der Bundesverkehrsminister vom Winter längst die Nase voll. Seit dem ersten Schneefall Ende November muss er sich vor allem mit ausgefallenen Zügen, eingefrorenen Flugzeugen, Winterreifen und zur Neige gehenden Streusalzvorräten beschäftigen. Und mit aufgebrachten Passagieren und Autofahrern. Die finden, dass die Politik die Bahn kaputtgespart und nicht dafür gesorgt hat, dass die Schlaglöcher in den Straßen geschlossen werden.

Dabei könnte das Leben so schön sein. Ortsumgehungen freigeben, Brücken einweihen, erste Spatenstiche machen, mit Elektroautos herumkurven – solche Termine hatte Ramsauer, 56, im Sinn, als er sich im Herbst 2009 für das Verkehrsressort entschied. Stattdessen muss er an diesem Mittwoch zum Rapport in den Bundestag. Der Verkehrsausschuss will wissen, wie der Minister das Land wieder flottzubekommen gedenkt. Und seine CSUler wollen sichergehen, dass nach Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner nicht noch einer der Ihren ins Trudeln gerät. Für Ramses, wie ihn alle nennen, ist es der wichtigste Termin seit Wochen.

Sich inszenieren, das kann Ramsauer. Vom Phänotyp ist er vor allem Vollblutbayer. Dass er seinen Wahlkreis zwischen Watzmann und Chiemsee für den schönsten der Republik hält, daraus macht er keinen Hehl. Ramsauer als Hobby-Alpinist, als passionierter Angler, leger gekleidet mit gesunder Gesichtsfarbe vor der Königssee-Kulisse – publikumswirksame Bilder liefert er im Dutzend. Und lässt wie beiläufig wissen, dass während der CSU-Klausur in Kreuth für eine flotte Langlauf-Runde immer noch Zeit sei, trotz der vielen Sitzungen.

Den Winter für sich zu nutzen, um sich als Macher zu präsentieren, das hat er hingegen noch nicht geschafft. Warum gelingt es dem PR-Talent Ramsauer nicht, die Krise zu seiner Chance zu machen?

„Ich will Mobilität ermöglichen, statt zu verhindern“ – das hat er sich als Motto für seine Amtszeit ausgesucht. Zum deutschen Winterchaos der letzten Wochen passt das natürlich überhaupt nicht, beinahe jeder Deutsche kann berichten, wie ihn das Wetter ausgebremst hat. Frankfurt, 9. Dezember 2010: Keine zwei Wochen nach Wintereinbruch fallen im Neuschneechaos Hunderte Flüge aus. Passagiere müssen auf Feldbetten im Terminal übernachten. Niedersachsen, 20. Dezember: Mangels Salz und Schneepflügen wird auf Autobahnen nur noch eine Spur geräumt. Berlin, 2. Januar: Die S-Bahn hängt mangels Zügen die Außenbezirke vom Verkehr ab. Hoyerswerda, 3. Januar: Die Bahn stellt Fahrten in die sächsische Stadt für Tage komplett ein, ihr fehlen fahrtüchtige Loks und Waggons.

Für all das ist der Minister nie direkt verantwortlich. Trotzdem fällt auch auf ihn zurück, dass am zweiten Weihnachtstag, mitten in der Jahresend-Reisewelle, nur noch jeder fünfte Fernzug pünktlich kommt, während vereiste Kupplungen, eingefrorene Bremsen und Türen für stundenlange Verspätungen sorgen. Auf dem Gipfel der Krise greift die Bahn zum Äußersten: Sie rät vom Zugfahren ab. Sie kapituliert. 110 000 Kunden wollen Geld zurück.

„Ein bisschen Demut vor der Natur“ empfahl Ramsauer kürzlich den Bürgern. Das klang fast hilflos. Dass es der kälteste Dezember seit 40 Jahren war, dass der Mensch gegen Naturgewalten mitunter machtlos ist, interessiert in einer hoch technologisierten Welt keinen – Deutschland lässt sich von ein paar Schneeflocken ausbremsen? Wie absurd.

Für einen Bundesverkehrsminister bedeutet das doppelten Stress: Die meisten der 622 Bundestags-Abgeordneten fahren regelmäßig mit der Bahn in ihren Wahlkreis – und bekommen das Chaos am eigenen Leib zu spüren. Hinzu kommt das Murren der Anhänger darüber, dass der Bund nicht durchgreift und die Bahn ihren Traum vom Weltkonzern träumen lässt. „Wenn jetzt der Eindruck entsteht, dass die Bahn lieber weltweit investiert statt in das Geschäft in Deutschland, dann haben wir eine neue Situation“, sagt ein führender CSU-Mann düster und vieldeutig auf die Frage nach Ramsauers Performance. „Da muss man sich Gedanken machen.“

Der Verkehrsminister hat den größten Investitionsetat aller Ministerien. Eine Beliebtheitsgarantie hat er nicht. Manfred Stolpe patzte bei der Lkw-Maut, Kurt Bodewig und Wolfgang Tiefensee gingen mit dem Bahn-Börsengang baden. Dass es nun auch Ramsauer zu erwischen droht, ist beinahe tragisch.

Auf ein Regierungsamt hatte er lange Zeit keine Lust. Landwirtschaftsminister hätte er werden können, später Wirtschaftsminister. Doch CSU-Landesgruppenchef war er über Jahre aus Überzeugung. „Das ist ein wunderschöner Job“, schwärmt einer aus der Berliner Truppe. Man ist überall dabei, sitzt im Koalitionsausschuss, kann bei jeder aktuellen Frage mitreden. Das Verkehrsressort übernahm Ramsauer dann doch, auch, weil er wohl nicht wieder gefragt worden wäre. „Es macht mehr Spaß, als ich erwartet hatte“, ließ er nach einem knappen Jahr im Amt verhaltene Leidenschaft erkennen.

Von Beginn an kam Ramsauer sein Talent zupass: Themen erkennen und eine schöne Schlagzeile daraus machen. Verkehrspolitische Visionen sind nicht unbedingt sein Ding. „Ich mag es konkret“, sagt er. Kosten rechnet er in Autobahnkilometer um. Die Einsparungen durch die Abschaffung der Wehrpflicht entsprechen für ihn 40 Kilometern, die Berliner Schlosskuppel acht Kilometern.

Er nahm sich das Denglisch aus seinem Haus vor, ersetzte „Laptops“ durch „Klapprechner“. „Dem Volk aufs Maul geschaut! Und schon weiß ich, was die Nöte, Sorgen und Probleme der Menschen sind“, freute er sich. Er beendete den Streit um neue Flugrouten vom BBI per Pressestatement, ließ Paketversender wegen der Terrorangst filzen, sorgte mit der Winterreifenpflicht für Rechtssicherheit. Seine stärksten Momente hatte er, als der isländische Vulkan Eyjafjallajökull im Frühjahr 2010 Asche über Europa schleuderte. Ramsauer betrieb Krisenmanagement, bot Airline-Chefs die Stirn, die gegen seine Flugverbote moserten. Die Aschewolke geriet zu seiner Feuerprobe. Beim Streit um Stuttgart 21 hielt er sich dagegen zurück. Damit ist kein Staat zu machen, sagte ihm sein Instinkt.

Umgänglich und zuvorkommend sei er, bescheinigen ihm selbst die Grünen. Ramsauer kann mehr, als mit Mir-san-mir-Sprüchen zu punkten. Er ist promovierter Ökonom, Müllermeister, leidenschaftlicher Pianist, wohlhabender Unternehmer. Selbst mit Glamour kann er aufwarten, um ein paar Ecken ist er verwandt mit der Schauspielerin Sandra Bullock. Und als die Bahn im Herbst in London ihren ICE präsentiert, der bald durch den Kanaltunnel huschen soll, ist Ramsauer mit von der Partie. Eine Rede mit sehr deutschem Akzent würden die meisten Politiker nun halten. Ramsauer spricht zehn Minuten in geschliffenem Englisch, das Publikum staunt. „Ein Jahr Eton, da macht ihm keiner was vor“, sagt eine aus seiner Entourage.

Einen Aufstieg wie nun Karl-Theodor zu Guttenberg, das CSU-Wunderkind, hat Ramsauer dennoch nie hingelegt. Der Franke pflegt einen anderen Politikstil. „Guttenberg führt wie ein zielstrebiger Manager, ist bereit zum Konflikt“, heißt es in der Koalition. Ramsauer zieht den Konsens vor. Seine Parteikollegen waren nicht immer glücklich darüber, dass er nicht höher hinaus mochte. Das Erbe Edmund Stoibers überließ er Erwin Huber und Günter Beckstein, danach kam Horst Seehofer. Auf den werden wieder Jüngere folgen. Ramsauer hat den Zenit seines politischen Lebens erreicht, mehr wird kaum kommen. Vielleicht wollte er nicht mehr. Der Vorsitz im Bezirk Oberbayern, der Herzkammer der CSU mit einem Viertel aller Parteimitglieder, ist derzeit vakant. Mehrere Namen sind im Gespräch, Ramsauers ist nicht darunter.

Dass er aus der Krise nicht mehr macht, liegt auch am Verkehrsressort selber. Als Landwirtschaftsminister könnte er einen gewichtig klingenden Aktionsplan aufstellen, als Verteidigungsminister Kasernen abklappern und der Truppe Mut zusprechen. Als Verkehrsminister sind ihm die Hände gebunden, direkt durchgreifen kann er nicht. Vor allem der Staatskonzern Bahn erweist sich in diesen Wochen als bedingt dirigierbar.

Die Hoffnung, das Desaster um ausgefallene ICE-Klimaanlagen im Sommer sei nicht mehr zu toppen, erfüllte sich nicht. „Wir staunen selbst, was alles schiefgehen kann“, gibt ein einflussreicher Manager der Bahn zu. An allen Ecken und Enden fehlen dem Konzern zuverlässige Züge, nicht nur bei der S-Bahn. Die vielen Qualitäts- und Kundenoffensiven greifen nicht – obwohl Vorstandschef Rüdiger Grube beteuert, sich seit Januar 2010 auf den Winter vorbereitet zu haben.

Für Ramsauer ist das eine schwierige Situation. Schon als er ins Amt kam, hat er der Bahn einen Strategiewechsel verordnet, den umstrittenen Börsengang abmoderiert. „Pünktlichkeit, Schnelligkeit, Sauberkeit, Sicherheit und Zuverlässigkeit, all das muss eine Selbstverständlichkeit sein“, mahnt er seither mit einem Seitenhieb auf den Ex-Chef Hartmut Mehdorn. Genützt hat es nicht viel. Nun erhöht der Bayer den Druck, droht den Verantwortlichen nebulös mit „Konsequenzen“. In dem Bericht, den er heute im Verkehrsausschuss vorlegen will, listet er das Versagen der Bahn auf. Das Unternehmen müsse mehr Geld ausgeben, vor allem für neue Züge, fordert er. Doch das dauert. Erst 2012 kann die Industrie liefern. Der kommende Winter, das steht fest, wird also erneut zur Belastungsprobe.

Ramsauer weiß, dass seine Forderung einem Eiertanz gleicht. Einerseits sollen Investitionen her, andererseits will der Bund 500 Millionen Euro vom Bahn-Gewinn kassieren. Dabei ist der Konzern mit gut 14 Milliarden Euro verschuldet. Ein wehrloses Opfer aussaugen – die als Heuschrecken geschmähten Finanzinvestoren machen es nicht anders. Eine Wahl hat Ramsauer nicht, sein eigener Etat ist knapp berechnet. „Wir haben mittel- und langfristig erhebliche Finanzierungsprobleme“, gibt er zu.

Womöglich muss er nun tun, was er nicht mag: neue Wege gehen, das Risiko suchen. Ministerium und Koalition planen, der Bahn strenger vorzuschreiben, was sie mit ihrem Gewinn machen darf und was nicht. Damit der Konzern keine Logistikzentren in Asien mehr baut, sondern hierzulande Bahnhofstoiletten saniert und Weichenheizungen anschafft. Heute will Ramsauer den Plan präsentieren. Das Risiko:  Regiert die Politik ins Geschäft der Bahn hinein, wird sie noch stärker für Misserfolge in Haft genommen. Wie weiland bei der Bundesbahn.

„Nur noch vereinzelt leichter Schneefall“, meldet der Wetterbericht für die kommende Woche. Ramsauer bekommt Zeit. Er muss sie nutzen. Doch vorbei ist der Winter längst nicht.

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