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Soldaten einer irakischen Spezialeinheit verhaften in Mossul (Irak) einen IS-Kämpfer.

© Khalid Mohammed/AP/dpa

Exklusiv

Verschwundene Dschihadisten: 120 deutsche IS-Kämpfer untergetaucht

Die Sicherheitsbehörden wissen nicht, wo sich die Mitglieder des IS aufhalten. Die meisten werden in der Türkei vermutet, die offenbar wenig fahndet.

Von Frank Jansen

Sie reisten zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ und sind jetzt unauffindbar. Bei ungefähr 120 deutschen IS-Kämpfern und Unterstützern, darunter etwa 25 Frauen, sei der Aufenthaltsort unbekannt, sagte ein hochrangiger Sicherheitsexperte, der namentlich nicht genannt werden wollte, dem Tagesspiegel.

Die meisten der verschwundenen Dschihadisten würden in der Türkei vermutet. Die anderen könnten sich bei der „IS-Reststruktur“ im Irak aufhalten oder bei den Ablegern der Terrormiliz in Libyen und auf dem Sinai. Die Hoffnung, zumindest die in der Türkei untergetauchten deutschen IS-Kämpfer könnten bald gefasst werden, ist allerdings gering.

„Es ist nicht sicher, dass die Türken wirklich diese Leute suchen“, hieß es. Die deutschen Behörden wüssten nie genau, „welche Absprachen die Türkei mit Islamisten trifft.“ Das zeige sich auch beim Einmarsch in Nordsyrien. Die Türkei kooperiere mit Milizen, „die dem IS nahe stehen“, sagte der Sicherheitsexperte. Das sei problematisch, auch für Deutschland.

Es müsse befürchtet werden, dass die islamistische Milizen Kämpfer des IS aus den Gefangenenlagern und Gefängnissen der Kurdenmiliz YPG befreien. Zumindest einzelne Dschihadisten könnten dann versuchen, unerkannt mit anderen Flüchtlingen in die Bundesrepublik gelangen.

Anlaufstellen für IS-Kämpfer im Irak

Dass sich die Masse der freikommenden IS-Leute nach Deutschland bewegen werde, sei unwahrscheinlich, sagte der Sicherheitsexperte. Viele Dschihadisten hätten weder Geld noch Papiere. Vermutlich kämen auch eher Frauen nach Deutschland zurück als Männer. Bei hochgradig radikalisierten Kämpfern sei zu erwarten, dass sie versuchen, sich wieder in den IS einzugliedern.

Mögliche Anlaufstellen seien die Reststruktur im Irak, wo auch IS-Chef Abu Bakr Al-Baghdadi vermutet werde, und die nordsyrische Provinz Idlib. Die Region ist die einzige im Land, die noch von islamistischen Rebellen beherrscht wird. Dort dominieren Milizen mit Verbindungen zu Al Qaida. Es gebe aber auch Gruppierungen, die dem IS zuzurechnen seien, jedoch mit anderen Namen aufträten, sagte der Sicherheitsexperte.

[Mehr zum Thema: Ausländische IS-Kämpfer – Trump droht mit Freilassung von Gefangenen an Europas Grenzen]

Wie viele Dschihadisten bereits aus kurdischem Gewahrsam in Nordsyrien entkommen sind, ist unklar. Die Kurden sprechen von 800 geflohenen IS-Leuten, darunter Frauen und Kinder. Deutsche Sicherheitskreise halten das für möglich, aber nicht bewiesen.

Dschihadisten besinnen sich auf ihre Ursprünge

Angeblich kam es zum Massenausbruch aus dem Gefangenenlager in der Kleinstadt Ain Issa beim Beschuss durch türkische Artillerie. Für „plausibel“ halten Sicherheitskreise Berichte, in Nordsyrien hätten vier deutsche Dschihadistinnen aus kurdischem Gewahrsam fliehen können. Unterdessen werde der IS wieder stärker, sagen Sicherheitskreise. Die Terrormiliz verübe „fast wöchentlich“ Anschläge in Irak und Syrien. Es sei allerdings unwahrscheinlich, dass es dem IS gelinge, nochmal ein größeres Territorium zu erobern.

Der IS habe sich wieder „als Terror-Organisation im Untergrund“ etabliert. Die Dschihadisten besinnen sich offenbar auf ihre Ursprünge. Der IS war, mit etwas anderem Namen, bis 2013 die irakische Filiale von Al Qaida. Schon sie war berüchtigt für extreme Brutalität.

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Die deutschen Behörden haben ungefähr 1050 Ausreisen und Ausreiseversuche von Salafisten in Richtung Syrien und Irak registriert. Die meisten Dschihadisten gingen zum IS. Mit welchem Fanatismus auch deutsche Frauen bei der Terrormiliz auftraten, lässt sich an einem Fall ablesen, in dem die Bundesanwaltschaft kürzlich Anklage erhoben hat.

Kinder lernen Umgang mit Schusswaffen

Die aus Oberhausen stammende Carla-Josephine S. soll 2015 mit drei kleinen Kindern nach Syrien gereist sein, um beim IS zu leben. Die Kinder seien „auf Veranlassung der Angeschuldigten“ im Sinne des IS religiös unterrichtet worden und hätten sich eine Hinrichtung ansehen müssen, sagt die Bundesanwaltschaft.

Einen Sohn im Alter von sechs und dann sieben Jahren habe S. vom IS im Umgang mit Schusswaffen ausbilden lassen.

Als der Junge die IS-Ideologie hinterfragte, habe die Mutter dies der Religionspolizei gemeldet. Wie von S. beabsichtigt, sei das Kind „gezüchtigt“ worden. Der Sohn kam 2018 bei einem Raketenangriff ums Leben. 2019 kehrte S. mit ihren anderen Kindern nach Deutschland zurück und wurde am Flughafen Stuttgart festgenommen.

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