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In Ketten gelegt oder in die Wüste geschickt: Ein deutscher Soldat in Südwest-Afrika (Namibia) mit Gefangenen der Herero und Nama.

© AFP

Versuch der Versöhnung mit Namibia: Zweierlei Verbrechen

Spät hat Deutschland seine Schuld für Kolonialverbrechen in Namibia anerkannt. Die Erinnerung an sie steht nicht im Widerspruch zu der an den Holocaust. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Es war ein Völkermord mit Ankündigung. „Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen“, heißt es im Vernichtungsbefehl des Generals Lothar von Trotha vom 2. Oktober 1904.

Tausend von Einwohnern des Hererolandes verdursteten danach in der Wüste. Vor allem der Kommandeur der deutschen „Schutztruppen“ in Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia, war verantwortlich dafür, dass bei der brutalen Niederschlagung von Aufständen durch sein Militär rund 65.000 von 80.000 Herero und mindestens 10.000 von 20.000 Nama ums Leben kamen.

Lange herrschte Desinteresse gegenüber Kolonialverbrechen

Fast 120 Jahre hat es gedauert, bis Deutschland diese Gräueltaten nun als Völkermord anerkennt, sich zu seiner historischen Schuld bekennt und die Nachkommen der Herero und Nama um Vergebung bittet. Nach sechs Jahren Verhandlung mit Namibia betonen beide Seiten in einer gemeinsamen Erklärung ihren Willen zur Versöhnung, als Geste der Anerkennung wird Geld aus Deutschland nach Namibia fließen.

Dass diese Einigung so lange auf sich warten ließ, ist beschämend. Aber das lange Desinteresse an diesen Verbrechen der Vergangenheit hängt auch damit zusammen, dass Deutschland seine Kolonien schon mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg verloren hatte. Länder wie Frankreich oder Großbritannien wurden durch den Prozess der Dekolonialisation erschüttert und dadurch gezwungen, sich mit der hässlichen Seite ihrer Vergangenheit auseinander zu setzen.

Eine solcher Herausforderung blieb der Bundesrepublik lange erspart. Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte wie in der Weimarer Republik das Bild einer angeblich wohlwollenden deutschen Kolonialpolitik. Und bei der Bewältigung der Vergangenheit konzentrierten sich die deutsche Politik und Gesellschaft auf den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden, den Holocaust.

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Genau hier setzen heute Vertreter der „Postcolonial Studies“ an, die eine Art von Erinnerungskonkurrenz konstatieren und die Konzentration des Gedenkens auf den Holocaust sowie dessen Singularität infrage stellen. Sie konstruieren Kontinuitäten, sehen den Völkermord an den Herero und Nama als Vorläufer des Völkermords an Juden, Sinti und Roma an.

Verdrängt das Gedenken an den Holocaust, hier am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas, das an die Kolonialverbrechen? Manche Vertreter der "Postcolonial Studies" argumentieren so.
Verdrängt das Gedenken an den Holocaust, hier am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas, das an die Kolonialverbrechen? Manche Vertreter der "Postcolonial Studies" argumentieren so.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Doch gegen diese Behauptung der Kausalität stehen starke Argumente. Es geht nicht um eine Relativierung deutscher Schuld in Südwest-Afrika, wenn Historiker in diesem Zusammenhang auf Kolonialverbrechen Italiens in Libyen und Äthiopien, Frankreichs in Algerien, Belgiens im Kongo oder Großbritanniens in Indien verweisen.

Die rassistischen Motive waren ähnlich, die herrschende Rücksichtslosigkeit war ähnlich, die Zahl der Opfer erreichte ähnliche Dimensionen. Doch keine dieser Nationen hat im Zweiten Weltkrieg versucht, ein ganzes Volk auszulöschen und Juden ermordet, weil sie Juden waren.

Das Festhalten an der These von der Singularität des Holocaust steht einer Auseinandersetzung mit den Kolonialverbrechen nicht im Weg. Längst wird auch dieser Teil deutscher Geschichte in Schulen behandelt. So erfreulich das Abkommen mit Namibia nun ist: Es wird kein Endpunkt der Auseinandersetzung mit diesem Teil der Geschichte sein. Die deutsche Gesellschaft, das zeigt die Debatte über koloniales Raubgut in Museen, macht sich auf, sich ihr zu stellen. 

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