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Finale. Nur eine konnte sich nach der Fußball-WM als Siegerin fühlen. Aber dass die Finalisten-Staaten beide von Frauen geführt werden, hat es noch nie gegeben. Das Foto zeigt Argentiniens Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner 2010 beim Staatsbesuch bei Kanzlerin Angela Merkel in Berlin.

© dpa

Von Margret Thatcher bis Angela Merkel: Wie kommen Frauen an die Macht?

Derzeit regieren mehr Frauen als je zuvor. Die meisten haben Jura, Wirtschaft oder Politik studiert. Vielen haben Krisen den Weg nach oben geebnet. Hilfreich ist es, zu einer politischen Dynastie zu gehören. In den USA steht vielleicht die nächste Zeitenwende an.

Die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien war nicht nur in spielerischer Hinsicht ein Weltereignis. Wer einen Blick auf die Ehrentribüne warf, konnte auch dort hin und wieder Außergewöhnliches beobachten: Frauen. Nicht als Beiwerk wichtiger Männer, sondern jubelnde oder hadernde mächtige Frauen. Während die „Jungs“ unten den sportlichen Teil erledigten, saßen sie oben in der Loge, um ihre Mannschaft anzufeuern und als Staats- oder Regierungschefinnen ihr Land zu repräsentieren. Das Endspiel bestritten sogar zwei Länder, die beide von Frauen regiert werden: Deutschland von Angela Merkel und Argentinien von Cristina Fernández de Kirchner. Den Pokal übergab die Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff. Drei Länder, drei Chefinnen. Insofern war die Fußball-WM gleich doppelt historisch: Zum ersten Mal errang eine europäische Mannschaft den Titel in Lateinamerika. Und zum ersten Mal wurden beide Finalisten und das Gastgeberland von Frauen regiert, wenn auch der zweite Teil dieses besonderen Moments nahezu unbemerkt blieb.

Dabei steht er nur stellvertretend für eine Entwicklung, die schon eine ganze Weile andauert: Immer mehr Frauen kommen an die Macht, erobern höchste politische Posten, werden Kanzlerinnen, Ministerpräsidentinnen oder Präsidentinnen. Während man auf den „Familienfotos“ der Vereinten Nationen früher nur vereinzelt eine verlorene Politikerin sah, tauchen sie inzwischen in Gruppen auf. Natürlich herrscht längst noch nicht pari, dominieren weiterhin Männer die 193 UN- Mitgliedstaaten, aber die Frauen legen zu: stetig und geräuschlos, wie man es ihnen nachsagt. Derzeit bekleiden, je nach Zählweise, um die zwanzig Frauen die Chefposten im Staat, so viele wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.

Nur etwas mehr als ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit Sirimavo Bandaranaike 1960 zur ersten Premierministerin Sri Lankas gewählt wurde. Damals war die Überraschung weltweit groß. Eine Frau führt die Regierungsgeschäfte? Kaum zu glauben. Die Wahl galt seinerzeit noch als so ungewöhnlich, dass sich eine britische Zeitung gleich fragte, wie die Dame eigentlich zu bezeichnen sei. Das Protokoll sah sie einfach nicht vor. „Wahrscheinlich müssten wir sie ,Staatsfrau’ nennen“, beantwortete das Blatt die Frage halb entrüstet, halb verwundert gleich selbst.

Ob Golda Meir in Israel, Margret Thatcher in Großbritannien, Corazon Aquino auf den Philippinen, Violeta Chamorro in Nicaragua, ob Gro Harlem Brundtland in Norwegen oder Mary Robinson in Irland – ihre Zahl ist seit damals ständig gewachsen. Aber so richtig zugenommen hat sie erst mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend: Von den rund 100 Staats- und Regierungschefinnen, die es seit dem Zweiten Weltkrieg gab, kam mehr als die Hälfte seit dem Jahr 2000 ins Amt. Darunter befinden sich so bekannte Namen wie die schon erwähnten Dilma Rousseff und Angela Merkel, wie Ellen Johnson Sirleaf aus Liberia – die erste Präsidentin Afrikas übrigens, und die erste, die einen Friedensnobelpreis gewonnen hat – oder Michelle Bachelet aus Chile, aber auch von der Welt weitgehend unbeachtete wie Kamla Persad-Bissessar aus Trinidad und Tobago, Portia Simpson Miller aus Jamaika oder Marie Louise Coleiro Preca aus Malta. Ihre Anrede ist heute kein Problem mehr, höchstens, ob sie – falls vorhanden – ihre Männer zu offiziellen Anlässen mitnehmen sollen und ob diese dann das „Damenprogramm“ absolvieren.

In der arabischen Welt gibt es noch keine Staatschefinnen

Regional verteilen sich die mächtigen Regierungs- und Staatenlenkerinnen recht unterschiedlich über den Erdball: In Europa und Lateinamerika gab es bisher die meisten, gefolgt von Asien, und in Nordafrika die wenigsten. Genauer gesagt sind Frauen in der arabischen Welt bisher noch gar nicht als Staatschefinnen in Erscheinung getreten. Auch Osteuropa tut sich schwer, die Geschicke eines Landes in Frauenhände zu legen. Ausnahmen wie die Ukrainerin Julia Timoschenko oder Polens Ministerpräsidentin Ewa Kopacz bestätigen die Regel. In Subsahara-Afrika waren Frauen ebenfalls lange die Ausnahme. Neben der liberianischen Präsidentin Johnson Sirleaf bekleidet derzeit nur Catherine Samba-Panza in der Zentralafrikanischen Republik das Präsidentenamt. Zuvor war sie Bürgermeisterin der Hauptstadt Bangui gewesen.

Asien hat dagegen mit Sirimavo Bandaranaike nicht nur die erste Frau der modernen Staatenwelt überhaupt an die Spitze gesetzt, sondern seither immer wieder Politikerinnen in Top-Positionen gesehen. Erinnert sei an Indira Gandhi in Indien oder Benazir Bhutto in Pakistan. Derzeit regieren in Bangladesch Hasina Wajed und in Südkorea Park Geun-hye. Mit Julia Gillard übernahm zwischen 2010 und 2013 auch in Australien zum ersten Mal eine Frau den Posten der Premierministerin. In Lateinamerika sind, die Karibik eingerechnet, gleich fünf Frauen an der Macht (Argentinien, Brasilien, Chile, Jamaika, Trinidad und Tobago) und in Europa sogar neun, wenn Rotationsposten wie in San Marino oder der Schweiz eingerechnet werden. Dazu gehören mit Norwegen und Dänemark nicht nur die traditionell frauenfreundlichen Nordeuropäer, sondern mit Litauen, Lettland, Polen, Malta, Kroatien und dem Kosovo auch Ost- und Südländer. Angela Merkel gilt seit vier Jahren in Folge sogar als die mächtigste Frau der Welt.

Ein Blick auf die Lebensläufe der jetzt und in jüngerer Zeit Regierenden fördert verblüffende Ähnlichkeiten zutage: Die große Mehrzahl hat entweder Jura, Wirtschaftswissenschaften oder Politologie studiert; Merkel als Physikerin und Bachelet als Kinderärztin bilden die Ausnahme. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Frauen kaum von ihren männlichen Kollegen im politischen Gewerbe. Viele haben einen Teil ihres Studiums oder ihrer Berufstätigkeit im Ausland verbracht und nicht selten bei einer internationalen Organisation gearbeitet. Das gilt etwa für die Dänin Helle Thorning-Schmidt, die zunächst im Europaparlament saß, für die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite, die zuvor als EU-Kommissarin in Brüssel arbeitete, und für die Chilenin Michelle Bachelet, die zwischen ihrer ersten und zweiten Präsidentschaft „UN Women“ in New York anführte. Johnson Sirleaf kam von der Weltbank.

Die neuen mächtigen Frauen stehen eher in der Mitte bis links

Im politischen Spektrum sind die neuen mächtigen Frauen eher in der Mitte bis links anzutreffen, obwohl es auch hier Ausnahmen gibt, wie die konservative südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye. Sie hat als Tochter des Generals und langjährigen Präsidenten Park Chung-hee, der das Land nach einem Militärputsch 1961 diktatorisch regierte, eine besondere Familiengeschichte. Die Mehrzahl jedoch nimmt moderate Positionen ein – das gilt auch für Angela Merkel mit ihrem CDU-Parteibuch. Soziale Belange stehen oft weit oben; meist treten sie für Bildung, Gerechtigkeit, Ausgleich und häufig auch für Frauenrechte ein. Das heißt nicht, dass sie nur „weiche“ Themen besetzen, wie man an Merkels hartem Sparkurs in Europa erkennen kann. Oder an Michele Bachelet, die vor ihrem Einzug in den Präsidentenpalast die erste Verteidigungsministerin Lateinamerikas war. Und doch scheint die Ära der „eisernen Ladys“, wie sie einst Margret Thatcher so lustvoll verkörperte, der Vergangenheit anzugehören. Wer heute als Frau politisch nach oben strebt und dort ankommt, ist meist moderat, weltoffen und sozial eingestellt.

Persönlich leben die „Staatsfrauen“ übrigens gar nicht so konventionell, wie man annehmen könnte. Viele von ihnen sind – Angela Merkel ähnlich – geschieden oder wiederverheiratet, manche alleinerziehend und eine Repräsentantin der jüngeren Vergangenheit sogar erklärtermaßen homosexuell: Jóhanna Siguroardóttir, zwischen 2009 und 2013 Ministerpräsidentin Islands, hat ihre langjährige Lebenspartnerin inzwischen geheiratet. Kinder haben diese Politikerinnen eher weniger. Spitzenreiter mit vier längst erwachsenen Söhnen ist die liberianische Präsidentin, die meisten haben aber gar keine oder nur eines.

Fast immer mussten sie sich ihren Weg erst bahnen, waren die Ersten in ihren Spitzenämtern. Wenige hatten wie Norwegens aktuelle Ministerpräsidentin Erna Solberg eine prominente Vorgängerin (Gro Harlem Brundtland), auf deren historischer Leistung sie aufbauen konnten. Trotzdem braucht es aber offenbar immer noch spezielle Konstellationen, damit Frauen die männliche Konkurrenz hinter sich lassen können. Die sicherste Variante war lange Zeit eine Karriere über politische Familien-Dynastien: Beim Tod des Ehemanns oder Vaters fiel der Posten gewissermaßen an die überlebende Frau oder Tochter. Wie bei Sirimavo Bandaranaike, deren Mann einem Attentat zum Opfer gefallen war. Das geht inzwischen sogar andersherum: Nach der Ermordung von Benazir Bhutto im Wahlkampf 2007 wurde ihr Mann Asif Ali Zardari zum Präsidenten gewählt. Auch indirektere Formen, in die politischen Fußstapfen männlicher Angehöriger zu treten, bilden keine Ausnahme. Indira Ghandi zum Beispiel trieb es erst nach dem Tod ihres Vaters – erster Premierminister Indiens – richtig in die Politik. Und die Argentinierin Cristina Fernández de Kirchner folgte ihrem Gatten direkt im Präsidentenpalast nach.

Wenn der Karren verfahren ist, wird eher Frauen zugetraut, ihn herauszuholen

Dieses Muster tritt allerdings langsam in den Hintergrund; inzwischen scheinen vor allem Krisen weibliche Karrieren zu befördern. Offenbar kann sich die Wählerschaft, wenn der Karren verfahren ist, eher auf die Regierungskünste von Politikerinnen einlassen als in „normalen“ Zeiten. So kamen die litauische Präsidentin und die isländische Ministerpräsidentin als direkte Folge der Finanzkrise zum Zug. Selbst Angela Merkel wäre ohne die schwarzen Kassen der CDU und der Niederlage Edmund Stoibers bei der Bundestagswahl 2002 wohl nicht ins Kanzleramt eingezogen. Gute Chancen für Frauen also in einer Welt, die krisenanfälliger ist denn je.

Trotzdem liegen viele politische Schaltzentralen noch immer fern: Die ständigen Sicherheitsratsmitglieder Russland, China, Großbritannien, Frankreich und USA sind – mit Ausnahme der Ära Thatcher – bis heute fast durchweg männlich dominiert geblieben. In Putins Russland sind sogar alle politischen Spitzenposten mit Männern besetzt, auch in China beherrschen schwarze Anzugträger das Bild. Die Führung von Nato und Weltbank, der Posten des UN-Generalsekretärs, des EU-Kommissionspräsidenten und der Vatikan – Legenden ausgenommen – befinden sich ebenfalls fest in Männerhand. Dort sind Frauen erst als Stellvertreterinnen oder Außenbeauftragte anzutreffen. Wie lange es dauert, bis sie in die letzten Männerbastionen vordringen, lässt sich schwer vorhersagen – nach Berechnungen von „UN Women“ bei der jetzigen Geschwindigkeit etwa weitere drei Jahrzehnte.

Allerdings könnte sich in den USA bald eine Zeitenwende vollziehen: Hillary Clinton hat schon vor Jahren verlangt, noch zu ihren Lebzeiten müsse eine Frau ins Weiße Haus einziehen. „Ich hoffe, dass es kein allzu langer Weg mehr dahin ist“, sagte sie 2012 beim Abschied als Außenministerin. Derzeit spricht einiges dafür, dass sie es selbst sein könnte. Wenn ihr tatsächlich gelingen sollte, was keiner Frau im mächtigsten Land der Welt bisher glückte, dann käme wohl zusätzliche Geschwindigkeit in die Sache. Dann wäre der Bann wohl ein für alle Mal gebrochen.

Friederike Bauer

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