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Vor Gedenkveranstaltung: Neuer Rückschlag für armenisch-türkische Aussöhnung

Die Regierungskoalition in Eriwan hat die Ratifizierung von Vereinbarungen zur Normalisierung der Beziehungen mit Ankara gestoppt. Der Annäherungsprozess der beiden Staaten gerät damit wieder ins Stocken. Dennoch findet am Samstag in Istanbul erstmals eine öffentliche Gedenkveranstaltung für die Massaker an den Armeniern statt.

"Dies ist unser Schmerz, unsere gemeinsame Trauer" – unter diesem Motto rufen Intellektuelle in der Türkei zur ersten öffentlichen Gedenkveranstaltung ihres Landes für die Massaker an den Armeniern auf. In schwarzer Trauerkleidung und mit Kerzen sollen sich die Teilnehmer am Abend des 24. April in der Innenstadt von Istanbul treffen, an jenem Tag, an dem im Jahr 1915 der Massenmord an den anatolischen Armeniern begann. Doch ausgerechnet in dem Moment, in dem die Türkei vor diesem wichtigen und mutigen Schritt steht, erleiden die Bemühungen um eine Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern einen neuen Rückschlag: Die Regierungskoalition in Eriwan hat die Ratifizierung von Vereinbarungen zur Normalisierung der Beziehungen mit Ankara gestoppt.

Das armenische Parlament werde erst dann über die Ratifizierung der im vergangenen Jahr vereinbarten Protokolle beraten, wenn sich die Türkei dem Thema "ohne Vorbedingungen" nähere, erklärten die Koalitionsparteien in Eriwan. Gemeint war damit die Entscheidung des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan, eine Ratifizierung der Protokolle durch die Türkei von armenischen Zugeständnissen im Karabach-Konflikt mit Aserbaidschan abhängig zu machen.

Erdogans Schritt hatte den Bemühungen um eine armenisch-türkische Aussöhnung einen schweren Schlag versetzt. Doch mit der Entscheidung, den Ratifizierungsprozess offiziell auf Eis zu legen, geht Armenien jetzt noch einen Schritt weiter: Die Annäherung zwischen beiden Ländern kommt zum Stillstand. Ob der Prozess jemals wieder in Gang gesetzt werden kann, weiß derzeit niemand.

Seit zwei Jahren vorsichtige Annäherung

Dabei hatte alles mit großer Hoffnung angefangen. Mit einer Reise nach Eriwan läutete der türkische Staatspräsident Abdullah Gül vor zwei Jahren die Annäherung ein. Im vergangenen Oktober unterzeichneten die Regierungen beider Länder nach Schweizer Vermittlung dann die Protokolle. Sie sahen die Öffnung der geschlossenen Grenze, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Schaffung einer gemeinsamen Kommission zur Untersuchung der Ereignisse von 1915 vor. Auf beiden Seiten gab und gibt es erhebliche Widerstände, nicht nur wegen der Frage, ob die Massaker im Ersten Weltkrieg als Völkermord zu bewerten sind.

Trotz der vielen Schwierigkeiten bekannten sich beide Regierungen bisher zur Fortsetzung des Prozesses. Noch in der vergangenen Woche hatten Erdogan und der armenische Präsident Serge Sarkissian bei einem Treffen in Washington ihren Willen bekräftigt, den Inhalt der Protokolle umzusetzen. Doch das ist seit Donnerstag anders. Die armenische Entscheidung sei „nicht hilfreich“, meinte ein türkischer Diplomat. Tatsächlich kommt die Nachricht aus Eriwan für Erdogan aber nicht ungelegen. Der türkische Premier steht ab sofort nicht mehr unter dem Druck, die Ratifizierung der Protokolle trotz des Widerstands der Nationalisten voranzutreiben. Ein Jahr vor der nächsten Wahl ist Erdogan das schwierige Thema erst einmal los.

Nun fragen sich türkische Beobachter, was die Armenier geritten hat. „Nichts für die Ratifizierung zu tun, ist eine Sache,“ sagte der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar dem Tagesspiegel. „Doch offiziell zu verkünden, dass die Ratifizierung gestoppt ist, ist eine ganz andere.“ Die Istanbuler Gedenkveranstaltung für die Armenier, die Aktar zusammen mit anderen Intellektuellen organisiert, soll trotzdem stattfinden. Es gehe darum, dass sich die Türken an solche Kundgebungen gewöhnen, sagte der Politologe. Noch vor fünf Jahren hätte das Vorhaben wegen des Widerstandes der Nationalisten kaum stattfinden können – diesmal gebe es kaum Reaktionen. „Auch das ist Teil des Normalisierungsprozesses“, sagte Aktar. Die Möglichkeit, dass Rechtsradikale versuchen könnten, die Kundgebung zu stören, nimmt er hin: „So ein Risiko gibt es immer.“

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