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Politik: Vorteil Kohl

Opferschutz vor Stasi-Aufarbeitung – für den Altbundeskanzler ist das Leipziger Urteil ein Erfolg

„Wir werden die Frage ohne Ansehen der Person entscheiden“, hatte der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Driehaus vor dem Urteil versprochen. Wortwörtlich genommen war das richtig, denn Helmut Kohl war zum voraussichtlich letzten Termin im Rechtsstreit mit der Stasi-Unterlagenbehörde nicht gekommen. Auch seine Kontrahentin, Behördenchefin Marianne Birthler, erschien nicht vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. So verkündeten ihre Vertreter, was es zu verkünden gab: Den Sieg für Kohl, die Niederlage für Birthler. Bereits während der Verhandlung hatten die Richter durchblicken lassen, dass sie auch nach der Änderung des Stasi-Unterlagengesetzes nicht von ihrer Position abrücken wollen. Anders als Birthlers Behörde hatten sie die Stasi-Schnüffeleien nie nur nach privat und dienstlich getrennt, sondern vor allem danach, ob es eben Schnüffeleien waren oder nicht. Die Behörde hatte gemeint, sie dürfe über prominente Persönlichkeiten alles herausgeben, solange es nur einen Bezug zum Amt habe. Einige tausend Seiten der insgesamt fast 7000 Seiten starken Akte Kohl wären danach an die Öffentlichkeit gelangt.

Das jedoch hatte das Bundesverwaltungsgericht mit Hinweis auf den strikten Opferschutz des Unterlagen-Gesetzes verhindert. Nach dessen Novelle wären nach Ansicht Birthlers zumindest rund tausend Seiten in Frage gekommen – nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts aber wohl weit weniger. Die Herausgabe sei die Ausnahme, nicht die Regel, entschieden jetzt die Richter. An eine Freigabe sei nur bei Zeitungsausschnitten oder etwa Protokollen öffentlich gehaltener Reden zu denken. Die Akte Kohl, die offenbar gerade in der Behörde zusammengestellt wird, dürfte deshalb recht langweilig werden.

Die Richter betonten, das neue Gesetz habe ihrem alten Urteil nicht die Grundlage entzogen. Zwar dürfe nun die Behörde in jedem Einzelfall entscheiden, was sie freigebe – aber dabei sei sie an die Grundrechte der Betroffenen gebunden. Wortlautprotokolle dürften „unter keinen Umständen“ herausgegeben werden, auch alle darauf beruhenden Zusammenfassungen und Analysen nicht. Gerade in diesem Punkt war die Behörde anderer Auffassung, da der rechtswidrige Einbruch in die Persönlichkeitssphäre bei den Zusammenfassungen und Berichten nicht mehr erkennbar sei. Dem Argument der Behörde, dies alles geschehe nur im Sinne des Gesetzes, um nämlich die Aufarbeitung der unseligen Stasi-Vergangenheit zu gewährleisten, schenkten die Richter keinen Glauben. Zwar dürften an Forscher Unterlagen auch gegen den Willen Betroffener ausgegeben werden – allerdings nur, wenn sichergestellt sei, dass sie nicht in „unbefugte Hände“ gelangten. Bei Journalisten sahen sie dagegen gar keine Möglichkeit, dies überhaupt zu vermeiden. Deshalb müsse immer erst die Zustimmung des Betroffenen eingeholt werden. Marianne Birthler reagierte enttäuscht, weil sie ihre Aufgabe in Gefahr sieht. Der Streit um die Stasi-Akten könnte dennoch irgendwann weitergehen – wenn Journalisten auf Herausgabe von mehr Akten zu Kohl klagen und dafür ihr Grundrecht auf Pressefreiheit in Stellung bringen.

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