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Der Kampf um das Hamburger Rathaus hat begonnen.

© dpa

Wahljahr 2011: Wie tickt Hamburg?

Sieben Landtage werden 2011 neu gewählt. Hamburg macht im Februar den Anfang. Auf das Hanseatische kommt es da an. Und auf das Duell Heidelberg gegen Osnabrück.

WAS ERWARTEN DIE HAMBURGER VON IHREM ERSTEN BÜRGERMEISTER?

Ein schönes Beispiel für den Verstoß gegen die wichtigste Hamburger Erwartungshaltung lieferte gerade der amtierende Erste Bürgermeister Christoph Ahlhaus, Nachfolger von Ole von Beust. Er ignorierte das ungeschriebene Gesetz: Sei hanseatisch, sei also, um es zu übersetzen, das personifizierte Understatement. Zum besseren Verständnis des Begriffs „hanseatisch“ hilft es, den Publizisten, Ex-HSV-Kicker und Hamburg-Insider Gerhard Krug zurate zu ziehen: „Es ist nicht hanseatisch, wenn ein 60-jähriger Beau im Februar das Dach seines weißen Porsches öffnet und sich hupend auf dem Jungfernstieg seine Bahn bricht. Es ist auch nicht hanseatisch, Tom Buhrow, den Moderator der Tagesthemen, an der Aral-Tankstelle zu fragen, ob er nicht Tom Buhrow sei, der Mann vom Fernsehen …“ Ahlhaus, der CDU-Spitzenkandidat, wird zwar erst 42 und fährt auch keinen Porsche, aber um seinen Bekanntheitsgrad zu steigern, ließ er sich trotz der Warnungen aus seinem engeren Umfeld ziemlich pompös mit seiner Frau für die Illustrierte „Bunte“ ablichten. Hamburgs Bürger rümpften die Nase.

Hanseatisch sein – das bedeutet für einen Bürgermeisterkandidaten aber auch: Auf keinen Fall den Eindruck erwecken, man rede die eigene Stadt schlecht, selbst, wenn das Gesagte stimmt. Michael Naumann etwa, der letzte Spitzenkandidat der Hamburger SPD, hatte im Wahlkampf 2008 als Hauptthema die „sozial gespaltene Stadt“. Diese Spaltung gibt es, nirgendwo in Deutschland geht die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander, aber es ist in den Augen vieler Hamburger nur eine, wenn auch negative Facette der Stadt. Genau das aber hat Naumann für den Geschmack vieler Hamburger etwas zu stark betont. Das große soziale Engagement der betuchten Hamburger loben nämlich selbst die, die wenig haben. Der Stolz und die Identifikation mit der Stadt, sagt ein langjähriger SPD-Wahlkämpfer, seien in Hamburg bis hinein in die untersten sozialen Schichten weit ausgeprägt. Und nicht zufällig ist Hamburg mit mehr als 1000 Gründungen Stiftungshauptstadt Deutschlands. Die Hamburger erwarten also keine großen Versprechen von ihrem Bürgermeister, sondern, dass sie „ordentlich regiert“ werden. Und in Hamburg heißt das: Die Politik soll weniger gestalten, mehr verwalten. Und dafür, finden die Hamburger, braucht es nun einmal keinen großen Glamour.

WARUM WIRD IN HAMBURG ÜBERHAUPT SCHON WIEDER GEWÄHLT?

Simpel ausgedrückt: Weil Ole von Beust nach neun Jahren die Lust am Regieren verloren hatte. Dazu muss man wissen, dass Beust sehr beliebt in der Stadt war, ja fast geliebt wurde. Sein unglücklicher Abgang ausgerechnet am Tag, an dem die Schulreform per Volksentscheid scheiterte, hat bei vielen Hamburgern den Schmerz einer enttäuschten, großen Liebe entfacht. Schwarz-Grün aber verlor mit Beust die wichtigste Verbindungsfigur der beiden Parteien. Beust war die Brücke, über die die Grünen zur CDU laufen konnten. Weil die Verbindung weg war, beschlossen die Grünen den Bruch der Koalition. Eigentlich hätte die erste schwarz-grüne Regierung auf Länderebene auch ohne Beust weitermachen können, dann hätte sie wirklich die Chance besessen, ein Pilotprojekt für Schwarz-Grün im Bund zu werden. Aber diese Koalition war nie Vision, sondern stetiger Pragmatismus. Grün war diese Regierung sowieso nicht, weil keine einzige wichtige Forderung der Grünen umgesetzt worden ist. Von den ersten Stunden der Koalitionsgespräche an wusste die Partei, dass sie eine ihrer Hauptforderungen, nämlich die Verhinderung des Kohlekraftwerks Moorburg aus juristischen Gründen nicht würde durchsetzen können. Deshalb setzten die Grünen alles auf die Karte Schulreform. Und verprellten damit sogar das Bürgertum, das die Grünen längst sympathisch fand.

Die SPD wiederum hat von 1957 bis 2001 mit drei Jahren Unterbrechung regiert, dann verlor sie die Macht, zwei weitere Wahlen und stritt sich fast bis zur Selbstaufgabe. Plötzlich liegt sie in Umfragen wieder bei 40 Prozent.

WIESO IST DIE SPD IN HAMBURG WIEDER ERSTARKT?

Genau weiß das die SPD selbst nicht. Jetzt, wo die Partei bei 40 Prozent liegt, gibt es schon wieder den einen oder anderen mächtigen Bezirks-Chef, der öffentlich über mögliche Posten in der künftigen Regierung nachdenkt. Diese Arroganz war es, die nicht nur die Grünen als Koalitionspartner von 1997 bis 2001 beklagten, sondern sie führte 2001 auch zum Niedergang. Lange zuvor hatte die Sozialdemokratie in Hamburg aufgehört, auf die Bedürfnisse und Ängste der Bürger zu hören. Die Innere Sicherheit, die hässliche Drogenszene am Hauptbahnhof, Anzeichen für Filz und Vetternwirtschaft – all das waren Gründe für die 19 Prozent des Rechtspopulisten Ronald Schill. Olaf Scholz, der aktuelle Spitzenkandidat der SPD, war damals nicht nur SPD-Landeschef, sondern sollte als neu ernannter Innensenator noch vor den Wahlen den „Law-and-Order-Mann“ geben. Es war zu spät. Die SPD holte unter Ortwin Runde 36,2 Prozent, die CDU unter Beust fiel von 30,7 (1997) auf 26,2 Prozent. Die Grünen schafften nur magere 8,6 Prozent. Und so schmiedete der ewige Verlierer Beust mit Schill (19,4 Prozent) und der FDP (5,1) die erste CDU-geführte Regierung seit 1957. Für die stolzen Sozialdemokraten folgten Pleiten, Pech und Pannen und bis zur erneuten Übernahme des Landesvorsitzes durch Olaf Scholz im November 2009 fast die totale Zerrüttung der Partei. Mit Scholz wird die SPD wieder das sein wollen, was sie jahrzehntelang stark gemacht hat: Repräsentant auch der Kaufmanns- und Bürgerschicht. Die Nachkriegs-SPD prägten Männer wie Max Brauer oder Herbert Weichmann, die starke Bindungen ins Bürgertum hatten, ohne den Kontakt zum klassischen Klientel der Partei zu vernachlässigen. Diese Haltung haben in einem gewissen republikanischen oder überparteilichen Sinne prominente Sozialdemokraten wie Helmut Schmidt, Karl Klasen, Henning Voscherau, Thomas Mirow oder Klaus von Dohnanyi bewahrt und sich immer auch für die Wirtschaft Hamburgs und deren Interessen stark gemacht. Als Olaf Scholz seinen eigenen Nominierungsparteitag in der Hamburger Handelskammer inszenierte, hatte er genau diese Tradition im Sinn. Die Antwort aber auf die Frage, warum Scholz jetzt schon in den Umfragen so stark ist, lautet: Er ist zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.

WAS WIRD DIE WAHL ENTSCHEIDEN UND WER WIRD REGIEREN?

Das weiß man natürlich noch nicht. Sicher ist nur, dass es ein extrem kurzer Wahlkampf wird mit sehr wenigen großen Themen. Das größte Thema, die Schulreform, ist durch den Volksentscheid abgeräumt worden. Schwarz-Grün wollte die sechsjährige Primarschule (wie in Berlin die Grundschule) und eine Menge an Strukturveränderungen für die Gymnasien. Von Schule werden die Wähler vorerst nichts mehr hören wollen. Ansonsten taugen weder die Stadtbahn, die teure Elbphilharmonie noch soziale Themen zum wirklichen Renner. Der Stadt geht es auch gar nicht schlecht, der Hafen boomt weiter und gehört nach überstandener Wirtschaftskrise zu dem nach Schanghai am stärksten wachsenden Hafen weltweit. Selbst die Arbeitslosenzahl ist wieder auf das Vorkrisenniveau gesunken (7,6 Prozent), und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs ist leicht gestiegen. Das Duell Heidelberger (Ahlhaus) gegen gebürtigen Osnabrücker (Scholz) in Hamburg könnte eher zu einer geringen Wahlbeteiligung führen. Manche sagen: Die SPD sei jetzt mal wieder dran, und sie müsse ja nicht gleich wieder 40 Jahre regieren. Und obwohl Scholz nicht in Hamburg geboren ist, liegen doch im Gegensatz zu Ahlhaus seine Wurzeln in der Hansestadt. Vielleicht reicht’s also für Rot-Grün, aber vielleicht stürzen die Grünen auch ganz gegen den Bundestrend ab. Dann ist eine große Koalition nicht unwahrscheinlich.

ZUR STADT

DIE MENSCHEN

Mit rund 1,8 Millionen Einwohnern ist Hamburg die zweitgrößte Stadt Deutschlands und die siebtgrößte der Europäischen Union. Etwa 32 Prozent der Bevölkerung gehören der evangelischen Kirche an, zehn Prozent sind Katholiken. Außerdem leben mehr als 130 000 Muslime in der Stadt.

DIE POLITIK

Hamburg ist wie Bremen und Berlin ein Stadtstaat. Die Hansestadt gliedert sich in sieben Bezirke und 105 Stadtteile. Alle vier Jahre wird die Hamburgische Bürgerschaft, das Landesparlament, gewählt. Die Regierung des Landes ist der Senat, dessen Präsident der Erste Bürgermeister ist. Dieser wird direkt durch die Bürgerschaft gewählt. Nachdem die schwarz-grüne Koalition zwei Jahre nach ihrem Amtsantritt geplatzt ist, müssen die Hamburger am 20. Februar eine neue Bürgerschaft wählen.

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