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Die Spuren der Flut sind in Erftstadt noch sichtbar.

© David Renke

Wahlkampf im Hochwassergebiet: Die Bundespolitik ist längst wieder abgezogen

Für Armin Laschet wurde der Besuch in Erftstadt der Beginn seines politischen Sinkflugs. Auch zwei Monate später tut sich die Politik mit dem Wahlkampf schwer.

Vor der Ortseinfahrt zum Erftstadter Stadtteil Blessem türmt sich der Sperrmüll noch immer. Spuren aus Schutt. Zwei Monate ist es her, dass der Ortsteil beim Starkregen und dem darauffolgenden Hochwasser heftig getroffen wurde. Eine Zäsur für Erftstadt und eine erste Zäsur in dem bis dahin zähen Bundestagswahlkampf. Der zweite Wendepunkt folgte wenige Tage später ebenfalls hier in Erftstadt, als sich der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet während einer Ansprache des Bundespräsidenten an die Flutbetroffenen das Lachen nicht verkneifen konnte. Seither hängt die Union in den Umfragen durch.

Kurz vor der Bundestagswahl ist die Bundespolitik längst wieder abgezogen, in den Häusern in Blessem brummen aber noch immer die Bautrockner Tag und Nacht, um die Feuchtigkeit aus den Wänden zu bekommen. Wahlplakate findet man hier nicht. Die Politik tut sich schwer mit der Situation umzugehen. „Vier Wochen nach der Katastrophe gab es den Tunnelblick“, erzählt Marion Sand. Die 64-Jährige kandidiert für die Grünen im Wahlkreis. „Da ging es nur darum zu Helfen, das ist ganz klar. Mittlerweile hat sich die Stimmung aber geändert.“ Viele im Ort seien wütend.

Sand lebt selbst in Erftstadt. Als sie auf Whats-App Nachrichten aus der Eifel über die herannahende Flutwelle hört, wird ihr die Gefahr bewusst. Mit dem Fahrrad versucht sie noch zu Freunden zu fahren, die sie telefonisch nicht erreichen konnte. Eine andere Freundin übernachtet bei ihr, da nicht klar ist, welche Häuser noch zugänglich sind. Die Spuren der Katastrophe sind noch immer deutlich zu erkennen. Viele Häuser sind mit einem roten Kreuz markiert. Während der Flut orientierten sich die Rettungskräfte an den Graffitis, um bereits verlassene Gebäude nicht noch einmal zu betreten. Überall stehen Geröllcontainer, die den Modergeruch aus den Häusern auf die Straßen tragen.

Aufräumarbeiten statt Wahlkampf.

© David Renke

Wahlkampfveranstaltungen gibt es in Erftstadt nicht. Wichtig sei es, dass die Bürger schnelle Hilfe bekämen, heißt es im Büro des CDU-Bundestagsabgeordnete Detlev Seif. Für Wahlkampf bleibe da keine Zeit und die Leute hätten sowieso keinen Kopf dafür.

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Ähnliches hört man auch auf dem kleinen Kirchplatz in Blessem. Hier stehen Helferinnen von den Johannitern und verteilen Essen. 150 warme Mahlzeiten jeden Tag für diejenigen, die keine Küchen haben. Auch die Wasserversorgung ist noch nicht wiederhergestellt. Viele beziehen chlorhaltiges Wasser aus Kanistern vor ihrer Haustür. „Heute sind die Portionen größer, weil der Andrang nicht so groß ist“, erzählt eine der Helferinnen. Es regnet und die Bierbänke auf dem Kirchplatz bleiben leer. Bei gutem Wetter treffen sich hier Helfer und Betroffene. Manche haben bereits ihre Häuser schon vom gröbsten Dreck befreit, andere fangen jetzt überhaupt erst an.

Das Gas fehlt noch und es wird kälter

Ein Problem ist auch die Gasversorgung. Dass das Gasnetz noch nicht repariert wurde, wird die Lage mit den kälteren Temperaturen zusätzlich verschärfen. Die Stimmung ist dementsprechend angespannt. Manchmal reiche ein Funke aus und die Menschen brechen in Tränen aus, sagt die Johanniterin. Viele müssten arbeiten und könnten nur abends oder an den Wochenenden in ihre Häuser. Trotzdem ist das Zelt auf dem Kirchplatz auch psychologisch wichtig, um sich gegenseitig Kraft zu geben. Für die anstehende Bundestagswahl habe hier keiner Nerven.

Am vergangenen Freitag ist das Antragsverfahren für die Flutgeschädigten angelaufen. Ein-Personen-Haushalte bekommen eine Pauschale von 13.000 Euro für die Kosten, die durch dich Beseitigung der Schäden oder den Neubau entstehen. Die Stadt will Beratungsstellen einrichten, um den Betroffenen zu helfen, Unterstützung zu bekommen.

Dass viele Bürger nun sauer seien, liege aber auch daran, dass es noch immer viele ungeklärte Fragen gibt, meint Grünen-Kandidatin Sand. Eine dieser Fragen ist, ob die Katastrophe an der Kiesgrube nicht hätte verhindert werden können. Wie Recherchen des WDR bereits im August ergaben, wurde die Kiesgrube mehrmals erweitert, obwohl es sogar eine Klage des zuständigen Wasserwirtschaftsamtes gab. Die Behörde wies darauf hin, dass die Grube in einem Überflutungsgebiet liegt. Außerdem war die Kiesgrube durch die Erweiterung immer näher an die Stadt herangerückt. „Das sorgt bei einigen für ordentlich Grummeln im Bauch, um es freundlich zu formulieren“, sagt Sand. Und es bewirkt außerdem eine Diskussion, wie künftig mit der Natur in Erftstadt umgegangen werden soll.

Wenn am 26. September gewählt wird, wird jeder in Erftstadt wählen können. „Alle Wahllokale sind geöffnet“, sagt Bürgermeisterin Carolin Weitzel von der CDU. Wer seinen Wohnsitz durch das Hochwasser verloren hat, kann bei Vorlage des Personalausweises dennoch seine Stimme abgeben.

Seit der Gründung der Bundesrepublik war das Direktmandat im Wahlkreis Rhein-Erft II stets in christdemokratischer Hand. Bei diesen Wahlen ohne Wahlkampf ist das Ergebnis offen wie nie.

David Renke

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