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Wahlsonntag: Steinmeier, Europa und das Wetter

Die Europawahl gilt als wenig interessant. Die Witterung könnte das Rekordtief der Beteiligung von 2004 noch mal absenken. Die Kanzlerin und ihr Stellvertreter motivieren.

Europa - wenig sexy? 2004 gingen nur 43 Prozent der Berechtigten zur Abstimmung, ein Rekordtief. In diesem Jahr wird allgemein auf Besserung gehofft. Zwar lockt kein Ausflugswetter ins Freie, aber vor allem im Norden Deutschlands könnte der Regen die Wähler vom Gang an die Urne abhalten. Unter anderem aus Bayern, Schleswig-Holstein, Hamburg, Baden-Württemberg, dem Saarland und Thüringen wurden bis zum späten Sonntagvormittag schwächere Wahlbeteiligungen als vor fünf Jahren gemeldet. Hamburg hatte kurz nach Öffnung der Wahllokale eine etwas stärkere Resonanz als vor fünf Jahren verzeichnet. Insgesamt gaben in Deutschland bis um 14 Uhr 20,2 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. 2004 betrug die Beteiligung zu diesem Zeitpunkt 20,4 Prozent, teilte Bundeswahlleiter Roderich Egeler.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hob am Wochenende die Bedeutung Europas hervor, um die Wähler zur Teilnahme an der siebten Europawahl zu motivieren. Die Mehrheit der Gesetze werde inzwischen in Brüssel oder in Straßburg verabschiedet, sagte sie. Für eine möglicherweise niedrige Wahlbeteiligung machte Merkel auch die Politik verantwortlich. "Die europäischen Institutionen scheinen vielen Bürgern etwas zu weit entfernt", sagte sie der Bild am Sonntag. "Entscheidungen, die dort getroffen werden, erfahren sie oft erst, wenn wir sie im Bundestag in nationale Gesetze umsetzen."

Auch SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier appellierte augenzwinkernd an die Deutschen: "Heute ist wunderbares Wahlwetter", sagte der Vizekanzler, als er bei strömendem Regen in Berlin zur Wahl ging. "Draußen kann man nicht viel anderes machen."

Doch Europa ist nicht der einzige Grund, weshalb die Menschen zur Wahl aufgerufen sind. In sieben Bundesländern wählen die Bürger zugleich ihre Kommunalparlamente: in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dänemarks Bevölkerung stimmt zudem über die Gleichberechtigung von Frauen bei der Thronfolge im Königshaus ab.

Zur Europawahl sind in Deutschland 64,3 Millionen Bürger aufgerufen, darunter 2,1 Millionen Menschen aus anderen EU-Staaten und 4,6 Millionen Erstwähler. Sie entscheiden über die 99 deutschen Sitze im Europaparlament. Insgesamt treten in Deutschland 1196 Kandidatinnen und Kandidaten an, darunter nur 352 Frauen.

Die Wahl gilt auch als Stimmungstest für die Bundestagswahl Ende September. Die Union stellt sich auf Stimmenverluste ein, während die SPD auf Zugewinne hofft. Laut Umfragen können CDU und CSU mit etwa 39 Prozent der Stimmen rechnen, die SPD liegt bei etwa 25 Prozent. Sie war 2004 nur auf 21,5 Prozent und 23 Sitze in Straßburg gekommen. CDU und CSU 2004 hatten zusammen 44,5 Prozent erreicht und stellten damit 49 Europaabgeordnete. Damit waren sie klar stärkste Kraft geworden. Die Grünen können, wie 2004, mit 12 Prozent rechnen, die FDP mit 9 (3 Prozentpunkte mehr als 2004), die Linkspartei mit 7 (PDS 2004: 6,1).

Als inoffizieller Spitzenkandidat der CDU gilt der amtierende Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering, der auf Platz Eins der Landesliste in Niedersachsen antritt. Listenführer der CSU in Bayern ist der Europaabgeordnete Markus Ferber.

Die SPD tritt mit dem Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, Martin Schulz, als Spitzenkandidat an. Er soll nach dem Willen von SPD-Chef Franz Müntefering neuer EU-Kommissar in Brüssel werden, was bislang aber am Widerstand des Koalitionspartners CDU/CSU scheiterte.

Die Grünen treten in diesem Jahr mit der Europaabgeordneten Rebecca Harms und dem ehemaligen Bundesvorsitzenden Reinhard Bütikofer an der Spitze der Kandidatenliste an.

Die FDP hat die Europaparlamentarierin Silvana Koch-Mehrin zur Spitzenkandidatin gekürt, die in den letzten Tagen vor allem wegen unterschiedlicher Angaben zu ihrer Anwesenheit im Parlament aufgefallen war. Die Linkspartei hat ihren Parteichef Lothar Bisky auf den ersten Listenplatz gesetzt.

Auch in 18 weiteren EU-Ländern wird am Sonntag gewählt. In den anderen Mitgliedsstaaten konnten die Bürger bereits in den vergangenen Tagen ihre Stimme abgeben. Europaweit waren 375 Millionen Menschen zur Wahl der künftig 736 Abgeordneten aufgerufen. Bisher hatten dem Europaparlament sogar 785 Abgeordnete angehört.

Ab 18 Uhr gibt es erste Hochrechnungen von ARD und ZDF, später Prognosen. Auszählungsergebnisse dürfen erst nach dem Schließen der letzten Wahllokale in Europa um 22 Uhr veröffentlicht werden. Mit dem vorläufigen amtlichen Endergebnis für Deutschland wird erst nach Mitternacht gerechnet.  

ZEIT ONLINE, tst, dpa, Reuters

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