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Die Rote Armee Fraktion hatte 1998 ihre Auflösung bekannt gegeben. Zuvor hatte sie viele Erddepots angelegt.

© dpa

Waffen, Ausweise, Geld – und spektakuläre Festnahmen: Warum Erddepots eine so wichtige Rolle in der Geschichte der RAF spielen

In Niedersachsen wurde ein Erddepot mutmaßlich linker Terroristen gefunden. Für die RAF waren diese Vorratskammern von großer Bedeutung - und fataler Wirkung.

Der wasserdichte Zehn-Liter-Kanister mit dem brisanten Inhalt lag unter Waldboden vergraben. Am vergangenen Samstag stießen Arbeiter bei Baumschnittarbeiten in einem privaten Waldstück auf den Behälter, ganz in der Nähe der niedersächsische Gemeinde Seevetal. Der Fund hat Ermittler des Landeskriminalamts (LKA) Niedersachsen aufgeschreckt, ersten Erkenntnissen der Polizei zufolge haben frühere Terroristen das Fass eingebuddelt.

Erst war von der Roten Armee Fraktion (RAF) die Rede, jetzt berichtet der „Spiegel“, dass auch Mitglieder der „Revolutionären Zellen“ in Frage kommen. Der „Spiegel“ beruft sich dabei auf einen polizeiinternen Vermerk.

Eine Sprecherin des LKA Niedersachen sagte am Dienstag, dass das Depot nach erster Einschätzung in den frühen 1980er Jahren angelegt worden war. Der Behälter enthielt Chemikalien sowie, nach Angaben der „Bild“-Zeitung, Anleitungen zum Bombenbau. Die „Revolutionären Zellen“ waren nicht ganz so brutal wie die RAF. Sie verübten Anschläge auf Sachen und schossen Opfern gezielt in die Kniee, aber töteten niemand bewusst. Zudem tauchten ihre Mitglieder, anders als die RAF-Terroristen, nicht in die Illegalität ab.

Doch Erddepots passen auch ins Bild der RAF. Die Terrorgruppe, verantwortlich für 34 Morde, legte diverse Erddepots an, Vorratsräume für alles, das die RAF im Kampf gegen das System benötigte. Maschinenpistolen, Gewehre, Pistolen, Handgranaten, Munition, Sprengstoff, Hunderte Ausweise, viele tausend D-Mark. Wie viele Depots gegraben wurden, ist bis heute nicht bekannt, schlicht auch, weil viele noch nicht gefunden beziehungsweise überhaupt identifiziert werden konnten. Klar ist nur, dass sie international verstreut waren und sind, Niederlande, Belgien, Frankreich, Schweiz. Der „Spiegel“ zitiert einen Aussteiger, der von 40 bis 50 Verstecken allein in der Region Stuttgart erzählt habe.

Das wichtigste Depot lag bei Heusenstamm

Das wichtigste Depot, das gefunden wurde, lag allerdings nördlich von Stuttgart, und es war der Ausgangspunkt für spektakuläre Festnahmen. Dass nahezu die gesamte Führungsspitze der zweiten RAF-Generation gefasst werden konnte. das ist diesem Fund zu verdanken. Aber auch einer brillanten Strategie der Polizei.

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Am 26. Oktober 1982 streifte ein Pilzsucher durch einen Wald bei Heusenstamm in der Nähe von Frankfurt. In einem dicht bewachsenen Dickicht grub er in der Erde, stieß aber nicht auf Pilze, sondern auf einen Plastikkanister. Aufgewühlt informierte er einen Freund, Die Beiden fuhren erneut zum Dickicht, öffneten den Behälter und ertasteten eine in Ölpapier eingewickelte Waffe. Dann informierten sie die Polizei. So schilderte der Freund des Pilzsuchers den Fund dem „Spiegel“.

Die Ermittler stießen auf ein "Pharaonengrab"

Allerdings gibt es bis heute Zweifel an dieser Darstellung. Der Tipp, sagen Leute, die dieser Darstellung misstrauen, sei eigentlich aus der Szene gekommen, jemand habe den Ort des Depots verpfiffen. Diese These stellen unter anderem die Autoren Michael Müller und Andreas Kanonenberg in ihrem Buch „Die RAF-Stasi-Connection“ auf. Egal, was nun stimmt, die Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) waren hellauf begeistert von dem Inhalt, den sie aus vier Plastikkanistern gefischt hatten. Kein Wunder: Vor ihnen lag ein „Pharaonengrab“, genau gesagt: das Zentraldepot der RAF.

Chiffrierte Hinweise auf weitere Depots

Deponiert waren dort nicht bloß insgesamt 55 000 Mark in bar und Waffen, sondern auch chiffrierte Hinweise auf weitere Depots. 14 Standorte registrierten die Beamten. Die Depots hatten Codenamen wie „Rotkehlchen, „neue 5-Zimmer-Wohnung“, „Künstler“ oder „Daphne“. Nicht alle Depots konnten die Ermittler genau identifizieren, aber die meisten. Müller und Kanonenberg sowie der Autor Butz Peters in seinem Buch „Tödlicher Irrtum - die Geschichte der RAF“ schildern die Fahndung.

Kurz nach dem Fund begann die Aktion „Eichhörnchen“. Irgendjemand musste die Depots entweder befüllen oder sich aus ihnen bedienen. Die Frage war nur: wann? 2000 Polizisten beobachteten, bei Kälte und Nässe, die Depots. Entweder lagen sie versteckt im Gebüsch oder sie tarnten sich als Spaziergänger. Am 11. November 1982 tauchten gegen 15 Uhr zwei Frauen mit einem Klappspaten am Depot bei Heusenstamm auf. Sie hatten Umhängetaschen auf den Schultern, eine trug einen Klappspaten.

Die Führungsfiguren Schulz und Mohnhaupt werden gefasst

GSG-Elitepolizisten sprangen auf und nahmen die Frauen fest. Volltreffer. Die Fahnder hatten Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz gefasst, zwei Führungsfiguren der RAF. Vor allem Brigitte Mohnhaupt hatte in der zweiten RAF-Generation das absolute Sagen. In einer Tasche stecke, wasserdicht verpackt, eine polnische Maschinenpistole WZ 63.

Mit ihr waren zwei Jahre zuvor zwei niederländische Zöllner erschossen worden. Außerdem wollten die Frauen Ausweise und Kfz–Zulassungsplaketten vergraben. Die RAF-Mitglieder sahen so mitgenommen aus, dass Ermittler den Eindruck hatten, Mohnhaupt und Schulz hätten die Nacht zuvor im Freien verbracht.

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Die Festnahmen waren natürlich ein spektakulärer Erfolg für die Polizei. Aber noch immer war unter anderem Christian Klar auf freiem Fuß, der Mann, der als brutaler Killer der RAF gesucht wurde. Doch der Fund des Zentraldepots konnte nun natürlich nicht mehr als Geheminis behandelt werden. Also machte das BKA den Standort öffentlich.

Doch mit dieser Mitteilung verbanden die Ermittler eine brillante Strategie. Sie wollten ja noch weitere RAF-Mitglieder. Also ließ die Polizei den Standort der weiteren Depots an die Öffentlichkeit durchsickern, die sie identifiziert hatte. Alle, die im süddeutschen und südwestdeutschen Raum lagen. Alle – bis auf eines. „Von Daphne“ kein Wort. Und „Daphne“ lag im Sachsenwald östlich von Hamburg.

In Hamburg legen sich 350 Polizisten auf die Lauer

Diesmal legten sich das Mobile Einsatzkommando Hamburg und das Sondereinsatzkommando Eutin auf die Lauer. 350 Mann insgesamt. Ein Infrarot-Detektor, der auf Körperwarme reagierte, wurde installiert. Für die Fahnder gab es jetzt zentrale Fragen: Kommt jemand von der RAF zu „Daphne“, obwohl jeder wusste, dass die Polizei jetzt viele Depots kannte? Wer würde das Risiko auf sich nehmen, jetzt noch nach einem zu graben? Und wenn jemand kommt: wer? Am 16. November 1982, fünf Tage nach der Festnahme von Schulz und Mohnhaupt, tauchte tatsächlich jemand auf, ein schlanker Mann in einem Jogginganzug, der verhärmte Gesichtszüge hatte und Blumenspaten und Fernglas trug. Zuvor hatte er sein Fahrrad in der Nähe der S-Bahnstation Friedrichsruh angeschlossen. Unter dem Jogginganzug hatte er sich einen Ledergürtel mit einem 45er Colt Automatic umgeschnallt. Nachdem er das Fahrrad angeschlossen hatte, lief er ziellos durch den Sachsenwald, näherte sich dem Depot mal auf 30 Meter, um zu beobachten, ob er jemanden aufgeschreckt hatte, fuhr weiter und kam endlich dann doch zu „Daphne“ zurück.

Christian Klar ergibt sich sofort

Als er gerade beginnen wollte zu graben, sprangen die Polizisten auf, Maschinenpistolen im Anschlag. Sie waren auf alles gefasst. Sie hatten zwar keine Ahnung, wer ihnen da ins Netz gegangen war, aber sie mussten damit rechnen, dass der Unbekannte sofort schießen würde. Doch es kam alles anders. Der vermeintliche Jogger ließ sich auf den Boden fallen, Arme und Beine ausgestreckt, und rief „Nicht schießen“. Christian Klar, der Mann, der wegen neun Morden und elf Mordversuchen zu lebenslanger Haft verurteilt werden sollte, ergab sich sofort. Er wirkte abgemagert und total erschöpft.

Klar hat einen dänischen Pass auf den Namen Martin Barbarosa Wymand bei sich, doch die Fingerabdrücke beseitigten alle Zweifel. Gefasst wurde der Täter, der unter anderem am 1977 am Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback beteiligt war.
Doch der Terror der RAF war damit nicht zu Ende. 1984 bildeten neue Mitglieder die dritte Generation. Die verübte ihren ersten Mord am 1. Februar 1985.

Das Kommando „Patsy O’Hara“ tötete Ernst Zimmermann, den Vorstandsvorsitzenden der Maschinen- und Turbinen-Union (MTU). Zwei RAF-Leute fesselten Zimmermann in seinem Haus an einen Stuhl, dann traf ihn eine Kugel im Hinterkopf. Die Mörder wurden nie gefasst. 1998 erklärte die RAF ihre Selbstauflösung.

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