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In vielen Bundesländern wird die Maske ab Montag zum Pflichtstoff.

© Michael Weber / imago images

Die neue Leitkultur: Wenn Gesichtsverhüllung plötzlich Pflicht wird

Der Kampf gegen Schleier und Burka macht Pause. So wichtig scheint es nicht zu sein, dass Gesichter immer sichtbar sind. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Ab diesem Montag droht mit der Maskenpflicht in vielen Bundesländern ein nie da gewesener Gesichtsverlust. Nicht nur, weil der Staat erstmals zu einer solchen Maßnahme greift. Sondern auch, weil sie, zumindest auf den ersten Blick, auffällig mit einem noch recht neuen gesetzgeberischen Programm kontrastiert.

Angela Merkel hatte sich Ende 2016 bei einem CDU-Parteitag mit der Forderung beliebt gemacht, Verschleierungsverbote überall dort zu verhängen, wo es möglich sei; ihr Innenminister Thomas de Maizière propagierte im Anschluss eine Art Benimm-Leitkultur („wir sind nicht Burka“), der zufolge man Gesicht zu zeigen und sich die Hände zu schütteln habe. Von der Straßenverkehrsordnung über das Beamtenrecht bis zum Soldatengesetz gab es neue Regeln, um Gesichtsverhüllung zu untersagen. Bayern setzte noch Unis und Kindergärten drauf.

Mit der Sonnenbrille am Steuer wird es tückisch

Und jetzt die Maske? Rechtlich fügt sie sich ein, die meisten Vorschriften kennen Ausnahmen für den Gesundheitsschutz. Tückisch kann es am Steuer werden. Wer allein unterwegs ist, muss niemanden schützen, da wirkt die Maske verdächtig. Die Polizei will Sorgen dämpfen, indem sie betont, dass Menschen über die Augenpartie erkennbar blieben. Was zu gewährleisten nicht immer möglich ist, wenn eine Sonnenbrille nötig wird. Dass hier forsch geahndet wird, ist daher ebenso unwahrscheinlich wie bei möglichen Verstößen gegen das Vermummungsverbot auf Demos; zumal dies strafrechtlicher Natur ist und den Vorsatz erfordert, nicht identifiziert werden zu wollen. Brave Maskenbürgerinnen und Maskenbürger werden jedoch bei Erkennungsbedarf jederzeit ablegen.

Der Fall könnte damit erledigt sein – wenn Verhüllungsverbote nötig wären. Das sind sie eher nicht. Sie zielen, siehe Merkel und Parteitag, auf Ausschaltung einer kulturellen Differenz, die, auch wenn sie im Alltag fast unsichtbar ist, als unerträglich empfunden wird. In Wahrheit ist nicht das teilverdeckte Gesicht problematisch, es ist die Art der Verhüllung, es sind ihre Traditionen und Motive.

Die Maskenpflicht legt Widersprüche bloß

Die nun allseits offensiv befürwortete Maskenpflicht legt solche Widersprüche bloß. Sie zeigt, dass es sich ganz gut unter veränderten Umständen in der Öffentlichkeit mit verhüllten Gesichtern reden und leben lässt (wenngleich Schleier bequemer wären). Ein Augenblick bekommt wieder mehr Bedeutung; auch ohne freie Sicht auf Mund und Nase kann man sich kennenlernen, auch mit gebotenem Abstand einander näherkommen. Sicher, es ist anders. Aber ist es schlimm? Corona zwingt zu manchem Eingeständnis. Auch diesem: Leitkultur besteht wesentlich darin, wie schnell sie sich ändert.

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