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Politik: Werben um Beistand

Die Türkei braucht Deutschlands Hilfe beim EU-Beitritt – Premier Erdogan will Berlin mit Reformen beeindrucken

SCHWIERIGE FREUNDSCHAFT: DEUTSCHLAND UND DIE TÜRKEI

Deutschland ist aus türkischer Sicht der wichtigste EU-Staat: Wenn Berlin den Daumen hebt, dann ist das für Ankaras Bewerbung um eine EU-Mitgliedschaft die halbe Miete, lautet ein Grundsatz der türkischen Außenpolitik. Deshalb bemüht sich Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bei seinem zweiten Deutschland-Besuch seit seinem Wahlsieg im Vorjahr um die Unterstützung der Bundesregierung. Die Türkei will alles daransetzen, in die erste Reihe der EU-Kandidaten aufzurücken und Ende 2004 ein Datum für EU-Beitrittsgespräche zu erhalten.

Möglicherweise wird Erdogan mit Schröder auch über eine Auslieferung des Islamistenführers Metin Kaplan sprechen. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sagte am Montag, er wolle die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht akzeptieren. Auch die Türkei ist entrüstet darüber, dass deutsche Gerichte die Abschiebung Kaplans ablehnen: Ankaras Außenministerium nannte dies am Montag „unannehmbar“. Diplomaten hoffen auf eine bessere Gesprächsatmosphäre zwischen Erdogan und Schröder als bei ihrem ersten Treffen im vergangenen Herbst. Damals warf Erdogan den Deutschen vor, bei der Annäherung der Türkei an die EU zu bremsen. Diesmal dürfte er den Kanzler offiziell nach Ankara einladen, vermutlich im Frühjahr. Es wäre Schröders erster Türkei-Besuch.

In Berlin wird Erdogan seine Reformbilanz präsentieren: Die Türkei hat in den vergangenen Monaten die Machtstellung der Armee beschnitten, die Rechte der Kurden und der Christen erweitert, die Meinungsfreiheit gestärkt und die Rechte von Verhafteten verbessert. Fast im selben Atemzug dürfte Erdogan darauf hinweisen, dass seine Regierung sich nun um die Umsetzung der Reformen kümmern will. Das ist auch nötig. Nach Erkenntnissen von Menschenrechtlern wird vor allem bei Polizeiverhören nach wie vor gefoltert. Diese Missstände werden Thema eines Treffens Erdogans mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen sein.

Trotz der schleppenden Umsetzung der Gesetzesänderungen sind die EU-Regierungen vom Reformtempo in Ankara beeindruckt. „Man kann nur sagen: Hut ab“, sagt ein deutscher Diplomat. „Die haben mehr geschafft als alle Regierungen der letzten zehn Jahre zusammen.“ Das Misstrauen gegenüber Erdogan und dessen Regierungspartei AKP wegen ihrer Vergangenheit im politischen Islam hat sich in Europa gelegt.

In der Türkei sieht das anders aus. Dank des türkischen Wahlrechts regiert die AKP im Parlament von Ankara inzwischen mit Zweidrittel-Mehrheit, obwohl sie bei der Wahl im November nur auf 34 Prozent der Stimmen kam. Kritiker werfen den AKP-Politikern vor, diese Macht für eine schleichende Islamisierung der türkischen Gesellschaft zu missbrauchen. Dass sich Erdogan in Berlin mit Vertretern der islamistischen Gruppe „Milli Görüs“ treffen will, ist deshalb in der Türkei umstritten. Die Opposition findet, ein solches Treffen gehöre sich nicht. Erdogans Regierung argumentiert, sie wolle sich um alle Auslandstürken kümmern, und Milli Görüs könne nicht ausgeklammert werden. Für Erdogan geht es dabei auch um Innenpolitik: Viele AKP-Wähler kommen aus dem islamischen Lager.

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