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Albaniens Premier Edi Rama hat Bundeskanzlerin Merkel am Mittwoch empfangen.

© Arben Celi/ Reuters

Albanien: „Wir brauchen eine Perspektive“

Albanien ist die erste Station auf der Balkan-Reise der Bundeskanzlerin. Vor allem die junge Generation hofft auf den baldigen EU-Betritt – um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Von unserer Korrespondentin aus Tirana

Sara hat viel zu tun an diesem Vormittag: Das Straßencafé, in dem sie arbeitet, liegt in Tiranas teurem Zentrum und wird vor allem von westlichen Gästen besucht. Die 24-Jährige serviert Cola und Espresso, sie spricht akzentfrei Englisch und Französisch. Albanien ist am heutigen Mittwoch die erste Station auf der zweitägigen Westbalkan-Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Danach fährt sie weiter nach Serbien und Bosnien-Herzegowina. Die wichtigsten Gesprächsthemen sind die Beziehungen zu Deutschland und der EU, außerdem Wirtschafts- und Energiefragen.

Griechenland-Krise verschärft die Situation

Trotz wirtschaftlicher Fortschritte zählt Albanien zu den ärmsten Staaten Europas. Seit einem Jahr ist das Land offizieller EU-Beitrittskandidat. Und viele Albaner hoffen wie Sara darauf, dass bis zum tatsächlichen Beitritt nicht noch Jahrzehnte vergehen. Die 24-Jährige hat in Frankreich Sprachen und BWL studiert, doch nach ihrem Abschluss musste sie zurück in ihre Heimat. Hier sieht sie keine Chance, eine Stelle zu finden, die ihrer Qualifikation entspricht.

Die Angst vor diesem „Brain Waste“ scheint die junge Generation Albaniens zu lähmen, viele hangeln sich wie Sara von Nebenjob zu Nebenjob. „Wir brauchen eine Perspektive“, sagt sie. Das Durchschnittsalter des Westbalkanlandes liegt bei 29 Jahren, die Arbeitslosenquote laut Weltbank bei 17, die Jugendarbeitslosigkeit bei über 26 Prozent.

Die Krise in Griechenland verschärft die Situation: Nach der Jahrtausendwende haben rund 500.000 Albaner dort ihr Geld verdient – und laut Schätzungen der Weltbank jedes Jahr zwischen einer und anderthalb Milliarden Euro nach Hause überwiesen. Doch die Zahlungen nehmen ab, denn seit 2012 sind etwa 100.000 Arbeitsmigranten zurückgekehrt. „Viele Kinder sprechen kein Albanisch mehr, sie und ihre Familien haben große Schwierigkeiten, hier wieder Fuß zu fassen“, sagt Ditmir Bushati. Der schmale 38-Jährige ist seit 2013 Außenminister der Regierungskoalition, die von der Sozialistischen Partei angeführt wird. 

Viele wollen weg

Edi Rama kommt etwas zu spät zum Dinner. Der  51-Jährige hat als Künstler und  Kunstprofessor gearbeitet, bevor er 1998 in die Politik wechselte. Seit zwei Jahren ist der Sozialist Ministerpräsident. Er sieht sein Land auch wirtschaftlich in einem Transformationsprozess, „die Zeit der Überweisungen unserer Gastarbeiter und des Baubooms ist vorbei“. Die Zukunft sieht er im Energiesektor, im Tourismus, der Landwirtschaft und der verarbeitenden Industrie.

Die Zahl albanischer Asylbewerber in Deutschland ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. Dass die deutsche Botschaft in Tirana Ende Juni Anzeigen mit dem Wortlaut „Kein Wirtschaftsasyl in Deutschland“ schaltete, kommentiert Rama so: Der Anstieg sei „die Folge eines Missverständnisses und einer kriminellen Manipulation“. Deutschland habe sein Interesse an qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland bekundet. „Kriminelle“ hätten diese Botschaft umformuliert und ihren Landsleuten vermittelt, dass „die Tore offen“ seien. „Ich bin mir sicher, dass die Zahlen wieder auf ein Normalmaß zurückgehen werden“, sagt Rama. Sara aus dem Café hat ihre Entscheidung längst getroffen: „Sobald es eine Möglichkeit gibt, bin ich hier weg.“

Die Autorin hat auf Einladung der Europäischen Kommission an einer Recherchereise nach Albanien teilgenommen.

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