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Nahles

© Mike Wolff

Interview: „Wir sind nicht der Kanzlerwahlverein“

SPD-Vize Andrea Nahles im Interview über den personellen Neustart der SPD mitten in der Finanzkrise.

Mit Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering wählt die SPD am Samstag zwei ausgewiesene Vertreter der Agenda- Politik an die Spitze. Kann das über die Bundestagswahl hinaus gut gehen?

Wir wählen mit Frank-Walter Steinmeier einen Top-Regierungspolitiker zum Kanzlerkandidaten und mit Franz Müntefering einen erfahrenen Wahlkämpfer an die Spitze der SPD. Denn wir wollen die Wahlen gewinnen Darüber besteht absolute Einigkeit.

Was heißt das für den Kurs der SPD?

Man sollte Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering nicht auf die Reformen der Vergangenheit reduzieren. Es muss Schluss sein mit der schwärenden Auseinandersetzung um die Agenda. Beide wissen gut, dass man für die Zukunft Politik machen muss.

Welche inhaltlichen Zugeständnisse an den linken Parteiflügel erwarten Sie?

Es geht um programmatische Signale. Nach dem Rettungspaket für die Finanzwirtschaft müssen wir die Binnenwirtschaft ankurbeln und die Finanzmärkte nachhaltig regulieren. Wir brauchen auch Offenheit, die Rente mit 67 und mit flexiblem Ausstieg für einzelne Betroffenengruppen verträglich zu gestalten. Grundsätzlich müssen die Beschlüsse des Hamburger Parteitages für ein sozialeres Profil der SPD gelten, wenn die Partei im Wahlkampf und darüber hinaus geschlossen antreten will.

Franz Müntefering hält die in Hamburg beschlossene Verlängerung des Arbeitslosengeldes I bis heute für falsch. Und zur mangelnden Akzeptanz der Agenda 2010 schreibt er in seinem Buch: „Zu viele waren in den Büschen, statt für die Sache zu kämpfen. Das ist ja auch heute noch so.“

Ich bin mit Franz Müntefering einig, dass wir uns für die Reformen nicht genieren müssen. Jetzt geht es aber darum, vor der Wahl eine Politik anzubieten, die den Sorgen und Anliegen der Menschen im Jahr 2009 gerecht wird.

Müntefering kritisiert auch den großen Einfluss der Parteien auf das Regierungshandeln. Können sie da mitgehen?

Im Wahlkampf ist die Partei vor allem Mehrheitsbeschaffer für einen sozialdemokratischen Kanzler. Aber sie ist mehr. Und sie muss auch mehr sein!

Warum eigentlich?

Nehmen Sie den Widerstand der SPD-Basis auf dem Hamburger Parteitag gegen die Bahnprivatisierung. Da hat die Partei gegen den Willen auch von Regierungspolitikern die immensen Zweifel in der Bevölkerung aufgegriffen. Wie wichtig und richtig das war, zeigt sich spätestens jetzt. Wir sind nicht der Kanzlerwahlverein und dürfen uns darauf auch nicht reduzieren lassen, sonst verlieren wir unsere Stärke als Volkspartei.

Mit ihrer Kandidatur als Generalsekretärin haben Sie vor drei Jahren Münteferings Rücktritt vom SPD-Vorsitz ausgelöst. Wie ist das Verhältnis heute?

Es ist entspannter als viele vermuten. Wir können beide gut damit leben, so wie es jetzt ist.

Hätte Ihnen im damals einer gesagt, dass Sie im Herbst 2008 als SPD-Vize einen Parteitag eröffnen würden, bei dem Müntefering wieder an die Spitze gewählt wird, …

… dann hätte ich den unter Garantie für verrückt erklärt. Die ganze Geschichte hat ja fast shakespearehafte Züge.

Müntefering will Ende 2009 wieder als Parteichef antreten. Ist das realistisch?

Erst mal wählen wir Franz Müntefering am Samstag zum Parteivorsitzenden. Meine Stimme hat er. Und dann: Schaun mer mal.

In der Finanzkrise beweist die große Koalition Handlungsfähigkeit, bei der Erbschaftsteuer oder beim Bundeswehreinsatz im Inneren kommt sie nicht vom Fleck. Geht das bis zur Wahl so weiter?

Die Koalition muss in diesem Jahr noch dafür sorgen, dass zusätzlich 1,6 Millionen Arbeitnehmer Mindestlöhne erhalten. Und sie muss jetzt endlich die Erbschaftsteuer auf den Weg bringen. Wir können nicht akzeptieren, dass die CSU vier Milliarden Euro Einnahmen aus der Erbschaftsteuer in den Wind schießt, die in den Ländern für Bildung ausgegeben werden könnten.

Für Ex-Parteichef Kurt Beck war ein mögliches Nein der Union zur Erbschaftsteuerreform noch der „Casus Belli“.

Die SPD steht in der Finanzkrise zu ihrer staatspolitischen Verantwortung. Niemand würde verstehen, wenn wir jetzt wegen der Erbschaftsteuer die Koalition aufkündigen würden. Wenn Frau Merkel, die mit uns die Reform fest vereinbart hat, wegen der CSU ihr Wort bricht, dann muss sie sich Führungsschwäche vorhalten lassen.

Welche Mitverantwortung hat die SPD an der Finanzkrise?

Keine.

DGB-Chef Sommer sagt, die Regierung Schröder habe den „angloamerikanischen Kapitalismus nach Deutschland importiert und der Deformation der Marktwirtschaft den Weg bereitet“.

Das ist eine gewagte Behauptung. Ich glaube jedenfalls nicht, dass wir den Status quo nur hätten erhalten müssen und dann wäre alles gut geworden. Deutschland ist keine Insel.

Was sollte die SPD aus der Krise lernen?

Auch viele Sozialdemokraten haben sich um die Jahrtausendwende vom Deregulierungswahn anstecken lassen. Das war wie ein Virus. Jetzt sehen wir, dass die Skepsis mancher berechtigt war. In Zukunft müssen wir streng darauf achten, dass sich Marktwirtschaft wieder den sozialen und gesellschaftlichen Bedürfnissen unterordnet. Vor uns liegen riesige Aufgaben. Das fängt mit einem gezielten Programm zur Förderung klimafreundlichen Konsums der Bürger an. Wir brauchen außerdem Verbote hochspekulativer Börsengeschäfte. Und natürlich stellt sich auch die Frage nach der Rolle der Europäischen Zentralbank. Die EZB hat mit der Erhöhung der Zinsen im Sommer die Krise noch verschärft. Sie ist traditionell viel zu sehr auf Preisstabilität fixiert, anstatt für Beschäftigungs- und Wachstumsimpulse zu sorgen. Ich erwarte, dass sich die EZB in Zukunft dem politischen Diskurs öffnen muss und Appelle nicht mehr in den Wind schlägt. Grundsätzlich muss gelten: Bei der Regulierung des Marktes darf es keine Denkverbote mehr geben.

Das Gespräch führte S. Haselberger.

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