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Blick auf die UN-Pufferzone in Nicosia.

© Reuters

Zypern auf dem Weg zur Wiedervereinigung: Vorbild Deutschland

Eine Vereinigung Zyperns wäre ein Signal an die gesamte Region. Dabei kann Berlin helfen. Ein Gastbeitrag der Außenministerin der Türkischen Republik Nordzypern.

Aktuell wird der Mittelmeerraum auf eine harte Probe gestellt. Migranten kämpfen sich verzweifelt zu den Küsten Europas durch und der Nahe Osten wird von religiösem Extremismus und ethnisch motivierter Gewalt heimgesucht. Sieht man jedoch einmal von den bedrückenden Zuständen in der Region ab, gibt es noch Hoffnungsschimmer: Die geteilte Insel Zypern rückt einer historischen Wiedervereinigung immer näher. Berlin könnte auf Grundlage seiner eigenen Erfahrung der Wiedervereinigung von Ost und West eine große Stütze bei der Überwindung der politischen Pattsituation darstellen.

Noch nie war eine faire und nachhaltige Einigung so nah

Seit der Wiederaufnahme von Gesprächen unter UN-Vermittlung im Frühjahr 2015 haben sich sowohl Zypern-Türken als auch Zypern-Griechen unermüdlich für das Ziel eingesetzt, ein Abkommen zur Wiedervereinigung unserer seit einem halben Jahrhundert geteilten Insel zu erreichen. Mit dem kontinuierlichen politischen Willen unserer beider Seiten und mit wachsender internationaler Unterstützung, insbesondere durch Deutschland, könnte innerhalb weniger Monate eine dauerhafte und gerechte Lösung gefunden werden. Zyprer auf beiden Seiten der Insel würden auf den letzten Schritten zu einer Wiedervereinigung außerordentlich von Deutschlands Unterstützung und inspirierender Vorbildfunktion profitieren.

Noch nie war eine faire und nachhaltige Einigung mit unseren zyperngriechischen Partnern so nah. Im Laufe der vergangenen zehn Monate haben unsere zwei Seiten Konsens in Bezug auf eine ganze Reihe von Themen gefunden - von der möglichen Ausgestaltung einer Machtteilung in einem zukünftigen dezentralisierten Staat Zypern, hin zur Struktur der Justizorgane und zur Sicherung der politischen Gleichberechtigung unserer beider Bevölkerungsgruppen.

Zudem haben wir eine Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen geschaffen, die darauf abzielen, Zuversicht aufzubauen und den täglichen Austausch zwischen beiden Seiten zu fördern. Dies beinhaltet die Öffnung von zwei Grenzübergängen entlang der „Grünen Linie“ und die Aufhebung der Visumspflicht von Seiten der zyperntürkischen Seite beim Überqueren der Grenze. Ein Ad-hoc-Ausschuss für Bildung wurde eingerichtet, um sich mit der Überarbeitung strittiger Inhalte in Schulbüchern zu befassen, und unsere Stromnetze wurden in einer temporären Maßnahme miteinander verbunden – wir hoffen jedoch, dass dies permanent wird. Unsere Wirtschaftsausschüsse befassen sich ebenfalls mit möglichen Kooperationen im Rahmen zukünftiger Projekte. Des Weiteren wurde ein Ad-Hoc-Komitee etabliert, welches damit beauftragt ist, den zukünftigen türkisch-zyprischen Gliedstaat auf die Einführung von EU-Recht vorzubereiten, sobald die Einigung erzielt wird.

Im kulturellen Bereich wurde ein Ausschuss eingerichtet, der gemeinsame kulturelle und geschichtliche Veranstaltungen fördert, wobei Darsteller und Publikum sowohl aus Türkenzypern als auch aus Griechenzypern bestehen. Religiöse Vertreter auf beiden Seiten der Insel stehen ebenfalls in regem Kontakt miteinander und der Zugang zu religiösen Stätten sowohl im Norden als auch im Süden der Insel wurde erweitert. Viele dieser Stätten waren der Öffentlichkeit für Jahrzehnte nicht zugänglich.

Modell für Koexistenz für die gesamte Region

Hinter diesem Fortschritt stehen zwei Präsidenten, der türkischzyprische Präsident Mustafa Akinci und sein griechenzyprisches Pendant Nico Anastasiades. Beide sind mit einem Abstand von zwei Jahren in der Stadt Limassol geboren. Die zwei führenden Politiker verbindet mehr als nur ihre gemeinsame Heimatstadt und ihr Verständnis für die bewegte Geschichte der Insel: Sie beide teilen auch die Vision eines wiedervereinten Zyperns. Die Wahl von Präsident Akinci im vergangenen Jahr, der seinen Wahlkampf auf Basis einer Friedensplattform geführt hat, hat neue Impulse für eine Wiedervereinigung gegeben. Es sind jedoch nicht nur die politischen Führungskräfte unserer beiden Bevölkerungsgruppen, die den Wunsch nach Frieden teilen, es sind insbesondere die Einwohner Zyperns, die der über einem halben Jahrhundert andauernden Teilung und dem Stillstand ein Ende setzen möchten. Aus diesem Grund müssen wir diese einmalige Chance nutzen und das Beste aus den neuen Impulsen machen. Das Erreichen einer endgültigen Lösung des Konflikts gestaltet sich schwierig, weshalb wir die Unterstützung durch unsere internationalen Partner benötigen, insbesondere durch Schlüsselländer wie Deutschland. Eine rasche Lösungsfindung im Zypernkonflikt ist nicht nur für Zyperngriechen und -türken von großer Bedeutung, sie liegt auch im deutschen und europäischen Interesse, wie Außenminister Frank Walter-Walter Steinmeier im Rahmen seines kürzlich erfolgten Zypernbesuchs festgestellt hat.

Emine Colak ist Außenministerin der Türkischen Republik Nordzypern.
Emine Colak ist Außenministerin der Türkischen Republik Nordzypern.

© promo

Eine nachhaltige Lösung in Zypern würde einer tief verschuldeten und zerstörten Region einen wichtigen ökonomischen Schub geben. Einigen Schätzungen zu Folge könnte das BIP-Wachstum bei einer Wiedervereinigung innerhalb von fünf Jahren um fünf Milliarden Euro und innerhalb von 20 Jahren um zehn Milliarden Euro gesteigert werden. Entscheidend ist jedoch, dass eine Wiedervereinigung dringend benötigte Stabilität für den Östlichen Mittelmeerraum bedeuten würde.

Darüber hinaus würden Hoffnung und ein Modell für Koexistenz für die gesamte Region geschaffen. Es wäre ein Beweis dafür, dass beharrliche Diplomatie und politischer Mut historische politische Durchbrüche erwirken können. Ein friedlich vereintes Zypern - eine Insel, die seit über 500 Jahren von Christen und Muslimen geteilt wird - würde die Welt daran erinnern, dass kein Konflikt dauerhaft sein muss. Deutschland, als inspirierendes Vorbild für alle Zyprer, kann dabei helfen, dass dies Realität wird: Deutschland kann einen großen Erfahrungsschatz in den Bereichen Technik und Diplomatie vorweisen. Deutschlands Erfahrungen aus der Wiedervereinigung von Ost und West können uns dabei unterstützen, unseren Weg auf den letzten Schritten des Wiedervereinigungsprozesses zu finden und uns dabei helfen, gerechte Kompromisse in so heiklen Fragen wie der Rückgabe von Vermögenswerten und Entschädigungszahlungen zu finden.

Die Unterstützung eines Einheitsabkommens in Zypern wäre für Deutschland ein Weg, um der Welt zu zeigen, dass das Land ein aktiver und altruistischer Akteur im östlichen Mittelmeerraum ist. In diesen turbulenten Zeiten gibt es vieles, das außerhalb unserer Macht liegt, Dinge die wir als Europäer nicht beheben oder lösen können. Das Zypern-Problem gehört nicht dazu: Eine Lösung ist in greifbare Nähe gerückt. Frieden ist in Reichweite. Mit Hilfe unserer deutschen Freunde und der internationalen Gemeinschaft können türkische und griechische Zyprer so bald einer Region, die gute Nachrichten dringend benötigt, Hoffnung schenken.

Die Autorin ist Außenministerin der Türkischen Republik Nordzypern.

Emine Colak

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