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Brandenburg: Brauner Sumpf am Schloss

Die Überfälle auf ausländische Geschäfte in Rheinsberg haben System, heißt es beim Verfassungsschutz

Rheinsberg - Noch fallen den meisten Auswärtigen beim Stichwort „Rheinsberg“ Kurt Tucholsky, Friedrich der Große, Schloss und Kammeroper ein. Noch. Denn seit Monaten macht die Stadt mit hässlichen Schlagzeilen auf sich aufmerksam. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten in der 9000-Einwohner-Stadt und im benachbarten Lindow stieg binnen Jahresfrist von sechs auf 31. Rechtsextremisten versuchten offenbar systematisch, ausländische Bürger aus der Stadt zu vertreiben, heißt es beim Verfassungsschutz. Die Polizei schätzt die Rheinsberger rechtsextreme Szene auf 50 Personen, ein Dutzend davon gehöre zu jenem harten Kern, der die Ausländer in der Stadt terrorisiert.

Immer wieder haben Neonazis Geschäfte von Ausländern angegriffen. Einen Döner-Imbiss griffen sie gleich fünf Mal an. Rheinsbergs Bürgermeister Manfred Richter (SPD) zeigt sich schockiert von der Mitteilung des Verfassungsschutzes. „Ich dachte, es handelt sich um Einzeltäter. Dass jetzt organisierte Gruppen dahinter stecken sollen, kann ich gar nicht begreifen“, sagt er.

Fitnessstudiobetreiber Guido Hämmer dagegen ist keineswegs überrascht. „Polizei, Bürgermeister und die Rheinsberger wissen doch, wo die Rechten zu finden sind. Es ist bekannt, was sie machen, auf welche Gaststätten sie es abgesehen haben, und es passiert nichts. Es sind immer dieselben Jugendlichen.“ Hämmer, der auch Stadtverordneter ist, fordert mehr Polizeipräsenz und mehr Zivilcourage.

Die Schüler der Heinrich-Raue-Schule wollen Flagge zeigen. „Es kann nicht länger weggeschaut werden. Es muss was passieren“, sagt Direktorin Regine Lessniak. Lehrer und Schüler der zehnten und zwölften Klasse bereiten eine Demonstration gegen rechts vor: „Am 10. April wollen wir durch die Stadt ziehen und zeigen, dass keiner mehr wegschaut.“

Die Stadtverordneten beschlossen am vergangenen Mittwoch, Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) in einem offenen Brief um Unterstützung gegen die organisierten Neonazis zu bitten. Zwar hat das Land schon reagiert und die Polizeikräfte in der Stadt aufgestockt, aber zu Beginn der Saison fürchten die Rheinsberger auch um das Image ihres vom Tourismus lebenden Ortes. „Wir sind eine Stadt der Kultur und der Museen. Im Sommer, wenn die Kammeroper zu Bällen einlädt und viele Leute aus nah und fern kommen, wären rechtsradikale Übergriffe der Todesstoß für Rheinsberg“, befürchtet Martin Gilde. Der Stadtverordnete zeigte selbst Zivilcourage und suchte intensiven Kontakt zu den Betreibern des überfallenen chinesischen Restaurants. „Ich habe großen Respekt vor ihnen. Sie wollen sich der rechten Gewalt nicht beugen und wollen bleiben.“

Auch der Verfassungsschutz hat seine Präsenz in Rheinsberg verstärkt. „Viele Leute, die in Zivil als Urlauber in Rheinsberg herumlaufen, sind verdeckte Ermittler“, berichtet der Bürgermeister. Dass sich das Problem so lösen lässt, glaubt aber niemand. „Die rechten Schläger sind doch schneller wieder auf freiem Fuß, als man sich umsehen kann“, sagt Gilde. „Die müssten jahrelang hinter Gitter wandern.“

Bürgermeister Richter beschwichtigt: Nach Auskunft der Neuruppiner Staatsanwaltschaft könnten Gewalttäter per Eilverfahren schnell hinter Gitter gebracht werden. Allerdings wären sie dann auch schon nach kurzer Zeit wieder draußen. In regulären Prozessen können sie drastischere Strafen bekommen. Der aus Ägypten stammende Emil Kamel, der in Rheinsberg eine Pizzeria betreibt, wirft ein: „In meiner Heimat ist Gastfreundschaft heilig. Hier in Rheinsberg verstehe ich mich wirklich mit allen gut. Aber wenn die Straftäter immer schnell wieder draußen sind, dann gibt das hier doch nie Ruhe.“

Die Stimmung ist aufgeheizt. Patentrezepte hat niemand, der Stadtverordnete Gilde resümiert: „Was hier hilft, ist nur Zivilcourage. Nicht wegschauen und den Rechten auf die Finger klopfen. Von daher finde ich die Schülerdemo gegen rechts hervorragend. Alle Rheinsberger sollten am 10. April Farbe bekennen und zur Kundgebung auf dem Kirchenplatz kommen.“

George Russew

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