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Telemedizin: Charité fühlt Herzpatienten den Puls aus der Ferne

Brandenburg ist das Bundesland mit dem höchsten Todesrisiko bei Infarkt. Weil es so wenige Ärzte gibt, sollen Kranke nun telemedizinisch betreut werden.

Wittstock - Herzkranken in Nordbrandenburg wird künftig mehr abverlangt – zum eigenen Nutzen. Ob Tests mit Blut aus der Fingerspitze, Blutdruckmessen oder ein EKG – die Patienten sollen ihre Gesundheitswerte selbst erheben und mit einem Minicomputer per Funknetz an Ärzte übermitteln. So wünscht es sich der Kardiologe Friedrich Köhler, Oberarzt an der Berliner Charité und Leiter der Abteilung Telemedizin. Er hat das Projekt „Fontane“ im Rahmen des Wettbewerbes „Gesundheitsregion der Zukunft“ des Bundesforschungsministeriums ins Leben gerufen und in Wittstock vorgestellt.

Eine bessere Betreuung von Herzpatienten scheint auch nötig in Brandenburg. Denn die Gefahr, an einem Herzinfarkt zu sterben, ist hier bundesweit am höchsten: 2007 wurden pro 100 000 Einwohnern 106 Todesfälle gezählt. In Berlin waren es 23. Der Kreis Ostprignitz- Ruppin überschreitet laut aktuellem Herzbericht der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie den Bundesdurchschnitt der Sterberaten nach Herzerkrankungen um 91,2 Prozent, Spree-Neiße liegt 84,3 Prozent darüber. Der Grund: Notärzte müssen weite Wege zurücklegen, kostbare Zeit geht verloren. Damit will sich Köhler, der auch Geschäftsführer der Projektentwicklungsgesellschaft Gesundheitsregion Nordbrandenburg mit Sitz in Oranienburg ist, nicht abfinden: „Es darf kein höheres Sterblichkeitsrisiko geben, nur weil jemand in der falschen Region lebt.“

Er rechnet sich daher gute Chancen auf eine millionenschwere Förderung ab Juli 2009 aus. Das Projekt wurde bereits in die Liste der 20 besten von 108 Bewerbungen ihm Rahmen des Wettbewerbs aufgenommen. Im Mai fällt die Entscheidung, welche fünf Projekte bis 2013 je zehn Millionen Euro bekommen. Noch einmal so viel soll dann das „Fontane“- Konsortium beisteuern, an dem neben Krankenkassen und Telekom auch das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam, das Medizintechnik-Unternehmen Getemed aus Teltow und der Hennigsdorfer Diagnoseentwickler Brahms AG beteiligt sind.

Wer einen Herzinfarkt erlitten hat oder unter Herzschwäche leidet, muss regelmäßig behandelt werden. Doch Vorsorge und Früherkennung von Gefahren werden immer schwieriger, der Mangel an Fachärzten, auch Kardiologen, verschärft sich weiter. So behandelt Wolfgang Stiller aus Wittstock mehr als tausend Patienten in einem Umkreis von 40 Kilometern, der nächste Fachkollege sitzt in Neuruppin oder Pritzwalk. In der Region Templin fehlt ein Kardiologe gänzlich. Stillers Arbeit soll durch „Fontane“ leichter werden.

Das Projekt sieht vor, dass die Patienten einen Computer bekommen – die „Telemedizinbox“ –, die alle Messdaten auswertet, per Funk an das Telemedizinzentrum der Charité schickt und in eine elektronische Krankenakte einspeist, auf die auch der Hausarzt Zugriff hat. Die Patienten können an einem Gerät Fragen zum Wohlbefinden beantworten, etwa wie anstrengend das Treppensteigen am Morgen war. Sie messen ihren Blutdruck und bestimmen selbst Blutwerte daheim. Wenn Herzinfarktpatienten etwa einen Brustschmerz spüren, können sie sich am Finger Blut abnehmen und eine Gerät der Brahms AG untersucht es in kürzester Zeit auf so genannte Biomarker, die einen erneuten Infarkt anzeigen.

Den Arztbesuch ersetze das zwar nicht, betont Köhler. Durch die Telemedizin sollen Risiken aber schneller erkannt werden. Und im Notfall könnten die Spezialisten an den Monitoren in Berlin eiligst Hilfe rufen.

Sinkende Kosten verspricht sich von dem Projekt Axel Prüsse von der kassenärztlichen Vereinigung. Denn in Brandenburg landen Herzpatienten auch häufiger in der Klinik als im Bundesdurchschnitt. Einen Herzinsuffizienz-Patienten im Krankenhaus zu behandeln koste bis zu 6000 Euro im Jahr, mit dem elektronischen Frühwarnsystem wären es nur 2000 Euro.

Landesgesundheitsministerin Dagmar Ziegler (SPD) will das Projekt auf jeden Fall verwirklicht sehen. „Wir sind damit auch Vorreiter für andere Regionen in Europa, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben.“ Sollte das Projekt in dem Wettbewerb nicht prämiert werden, will Ziegler versuchen, die nötigen Mittel dennoch aufzutreiben: „Wir können es uns nicht leisten, auf so ein Projekt zu verzichten.“

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