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Brandenburg: „Das Land macht die Bodenreform rückgängig“

Axel Vogel, Fraktionschef der Grünen im Landtag, über die Enteignung von Neubauern nach 1990, das Vorgehen der Landesregierung – und warum alle Fälle heute noch einmal neu

Der Landtag befasst sich mit einem Staatsvertrag zwischen dem Bund und den neuen Ländern, der die Aufteilung alten DDR-Vermögens regelt. In der Parlamentsdebatte vergangene Woche ging es plötzlich wieder um ein Brandenburger Reizthema, das Bodenreformland. Warum, worum geht es?

Also, es geht aktuell nicht um das Alteigentum an den 1945 bis 49 im Zuge der Bodenreform enteigneten Flächen, das ist Geschichte, sondern es geht um die Flächen der sogenannten Neusiedlererben. Nach 1945 wurde Bodenreformland auf rund 200 000 Neusiedler, häufig aus den ehemaligen Ostgebieten, verteilt. Sie mussten dafür bezahlen und sollten kleine Bauernwirtschaften gründen. In den Verträgen wurde schriftlich fixiert, dass dieses Land vererbbar ist, wie es auch in der DDR-Verfassung entsprechend geregelt war. Allerdings durften diese Flächen nicht einfach verkauft werden. Sie wurden dann im Rahmen der Zwangskollektivierung den LPGs zur Nutzung übertragen, blieben aber trotzdem Eigentum der Neusiedler, ohne dass diese darüber verfügen konnten. In der Wendezeit hat die Modrow-Regierung diese Bodenreformflächen zum Volleigentum der Neusiedler erklärt und sie damit als voll vererbbar herausgestellt. Allerdings wurden dann 1992 im vereinigten Deutschland per Bundesgesetz plötzlich Bedingungen an die Vererbbarkeit dieser Flächen gestellt. Dass etwa diejenigen, die diese Flächen ererbt hatten, die sogenannten Neusiedlererben, mindestens zehn Jahre in der Land- und Forstwirtschaft hätten tätig sein oder noch weitergehend Mitglied einer LPG sein müssen. Es wurde fälschlicherweise davon ausgegangen, dass diese Bodenreformflächen in der DDR nicht vererbbar gewesen seien. In der Folge haben die ostdeutschen Bundesländer aufgrund dieses Bundesgesetzes reihenweise solche Flächen eingezogen.

In welcher Größenordnung?

Allein in Brandenburg sind gegenwärtig noch über 16 000 Hektar solcher Flächen in Landesverwaltung. Erst 1998 wurde die Auffassung zur Unvererbbarkeit durch Gerichte korrigiert. Das hatte aber keine Bedeutung mehr für viele Betroffene, deren Flächen schon eingezogen und deren Widerspruchsfristen gegen die Landnahme verstrichen waren.

Was hat der Staatsvertrag damit zu tun?

Der Staatsvertrag gibt dem Land Brandenburg jetzt die Möglichkeit – und das ist positiv –, überall, wo es diese Flächen Neusiedlererben entzogen hat, alleine darüber verfügen zu können. Nach dem Bundesgesetz konnten die Länder die Flächen bis zum 2. Oktober 2000 den Neusiedlererben entziehen, sie mussten es aber nicht. Die Enteignungsintensität in den ostdeutschen Ländern war auch sehr verschieden, in Thüringen war sie beispielsweise nicht sehr, in Brandenburg hingegen sehr stark ausgeprägt. Es war im Einigungsprozess vorbehalten worden, dass über die endgültige Aufteilung dieses Vermögens später entschieden werden soll. Diese Entscheidung ist mit dem Staatsvertrag getroffen. Aber schon bisher hatte das Land so agiert, als ob es die alleinige Verfügungsmacht über diese Flächen hätte, musste aber natürlich immer davon ausgehen, dass irgendwann Geld, also Erlöse, an den Bund abgeführt werden müssen. Diese Frage ist jetzt geklärt.

Gut, das Land kann also über diese Flächen nun voll verfügen. Was sollte jetzt Ihrer Meinung nach damit passieren?

Das Land hat nun die Möglichkeit, den politischen Willen vorausgesetzt, die Flächen den Neusiedlererben zurückzuerstatten. Oder es macht weiter wie bisher und lässt die Flächen, die von der Brandenburgischen Bodengesellschaft, der BBG, verwaltet werden, versilbern.

Sie fordern jetzt mit dem Staatsvertrag, dass alle Fälle noch mal aufgerollt werden, in denen sich das Land Ackerland von Neusiedlern oder deren Erben geholt hat?

Ganz genau. Infolge des Urteils des Bundesgerichtshofs von 2007, das in Brandenburg die Bodenreformaffäre auslöste, sind neue Ungerechtigkeiten entstanden. Der BGH stellte fest, dass das Land sittenwidrig gehandelt hat bei der Einziehung von Bodenreformflächen, deren Eigentümer nicht bis zum Stichtag 2. Oktober 2000 ermittelt werden konnten. Infolge des Einigungsvertrages war die Durchsetzung der Ansprüche des Landes auf diese Bodenreformflächen bis zu diesem Stichtag beschränkt. Je näher der Termin rückte, desto intensiver versuchte das Land, an diese Flächen zu kommen. Doch statt gründlich nach den Neulanderben zu suchen, trug sich das Land kurzerhand selbst als Eigentümer ein - und das war laut BGH sittenwidrig.

Und wo besteht nun die neue Ungerechtigkeit?

Die besteht darin, dass all diejenigen, die sich nicht bis zum 2. Oktober 2000 freiwillig gemeldet hatten oder bis dahin nicht ermittelt werden konnten, Anspruch auf diese Flächen haben. Selbst wenn sie nicht in einer LPG, nicht in der Landwirtschaft tätig waren. Aber all denjenigen, die vor dem Stichtag ermittelt werden konnten oder die sich selbst meldeten, wurden die Flächen entzogen, wenn sie nicht in einer LPG oder in der Landwirtschaft tätig waren. Um diese Ungerechtigkeit auszubügeln, ist es meines Erachtens zwingend erforderlich, dass auch all diejenigen, die vor dem Stichtag – wenn auch rechtsstaatlich formal korrekt – enteignet wurden, ihre Flächen zurückerhalten.

Es gab jüngst im Landtag von allen Oppositionsfraktionen eine Anhörung von betroffenen Neusiedlererben. Was haben Sie mitgenommen von den Betroffenen?

Verzweiflung. Menschen, die sich in der Privatinsolvenz befinden, die vom Land Brandenburg in den Ruin getrieben wurden. Menschen, die alles verloren haben, weil sie sich in langjährige Rechtsstreitigkeiten mit dem Land Brandenburg hineinbegeben haben und denen dennoch am Ende die Flächen entzogen wurden und die jetzt erleben, dass das Land, das nach dem BGH-Urteil zunächst etwas zurückhaltender geworden war, jetzt mit aller Kraft versucht, Gerichts- und Anwaltskosten einzutreiben. Da geht es mitunter um Summen, die die Werte der Grundstücke um ein Vielfaches übersteigen. Viele dieser Menschen haben nicht das Gefühl, in einem Rechtsstaat zu leben, sie haben sich auch innerlich von unserem Rechtsstaat abgewendet.

Ist dieser Umgang ein neuer Nachweis für eine Brandenburger Besonderheit?

Schon laut dem Urteil des BGH hat sich Brandenburg im Gegensatz zu anderen Bundesländern relativ hart und eben sittenwidrig verhalten gegenüber den Bodenreformerben. Das ist insofern eine Brandenburger Besonderheit, als man hier versucht hat, noch den letzten Cent zusammenzukratzen, egal woher. Also keinerlei Großzügigkeit gegenüber Menschen, die nun nicht gerade zu den reichsten dieser Gesellschaft zählen, hat walten lassen. Das Land geht extrem hart vor.

Nun gibt es in der rot-roten Koalition, auch erneut bei der Debatte um den Staatsvertrag den Vorwurf an die Opposition, sie wolle die Bodenreform zurückdrehen.

Das Gegenteil ist der Fall. Gerade weil wir die Bodenreform akzeptieren, wollen wir auch, dass diejenigen, die damals diese Bodenreformflächen erworben haben, beziehungsweise deren Erben, auch Besitzer dieser Flächen bleiben. Es ist grob unanständig, wie das Land Brandenburg, wie alle ostdeutschen Bundesländer im Verbund mit der Bundesregierung, versucht hat, die Bodenreform staatlicherseits rückgängig zu machen und den Neusiedlererben die Flächen wieder zu entziehen, um sie dann den LPG-Nachfolgebetrieben zur Pacht oder zum Kauf anzubieten, häufig großen industriellen Agrarbetrieben. Die Bodenreform hatte ja nicht zum Ziel, dass Riesenbetriebe aufgebaut werden, sondern dass den Großgrundbesitzern die Flächen entzogen und an Kleinbauern verteilt werden. Was nach der Wende betrieben wurde und wird, ist das Rückgängigmachen der Bodenreform.

Finanzminister Helmuth Markov von den Linken hat gesagt, Sie seien einem Fehler aufgesessen. Nämlich dass genau diese Neusiedler damals diese Flächen nicht erworben hätten, sondern dass dieses zugeteilt wurde.

Was falsch ist.

Er beruft sich auf den Einigungsvertrag.

Nein, das ist völlig falsch. Diese Flächen wurden käuflich erworben damals, die Begünstigten der Bodenreform mussten für diese Flächen zahlen, teilweise noch Jahre bis 1989. Und plötzlich nach 1990 kam das Land Brandenburg und hat ihnen diese Flächen weggenommen. Es gab die Modrow-Regierung, die eindeutig entschieden hatte, dass es sich hierbei um Volleigentum handelt, und um voll vererbbares Eigentum. Das wurde infrage gestellt nach 1990.

Also ein Fehler des Einigungsvertrages?

Ja, aber in einer Missinterpretation der DDR-Gesetze, weil einige Bürokraten in den Bundesministerien irrtümlich davon ausgingen, dass diese Flächen nicht vererbbar waren. Doch das ist längst korrigiert durch den BGH. Das Erstaunliche ist nur, dass Herr Markov dieser Meinung bis heute aufsitzt. Und das als linker Minister. Das ist der eigentliche Skandal.

Interview: Alexander Fröhlich

Axel Vogel, 56 Jahre, ist Vorsitzender der Grünen-Fraktion im brandenburgischen Landtag. Zuvor war er Landesvorsitzender der Partei und Mitarbeiter des Landesumweltamtes.

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