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Debatte zum Stasi-Überprüfungsbericht des Landtages: Die umstrittene Rede des Vize-Fraktionschefs der Linken, Stefan Ludwig

Gehalten am 25. Januar 2012 im Landtag Brandenburg anlässlich der Debatte zum Bericht sogenannten Poppe-Kommission.

Herr Präsident!

Meine Damen und Herren!

Der Landtag Brandenburg hat im Herbst 2009 zu Beginn seiner fünften Legislaturperiode die Überprüfung aller seiner Mitglieder auf eine mögliche Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit beschlossen. Alle Mitglieder der Fraktion DIE LINKE haben dem zugestimmt. Der Abschlussbericht bestätigt nun:

• Unsere Abgeordnetenkollegen Axel Henschke, Kerstin Kaiser, Hans-Jürgen Scharfenberg und Gerlinde Stobrawa haben zu DDR-Zeiten mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet beziehungsweise unterhielten dienstliche Kontakte dorthin.

• Michael Luthardt hat seinen dreijährigen Wehrdienst beim Wachregiment Felix Dzerzinski absolviert. Danach gab es keine Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit mehr.

• Bettina Fortunato zog wegen ihres ausländischen Ehemannes die Aufmerksamkeit der Stasi auf sich, wurde jedoch nie zur IM.

Sehr geehrte Frau Poppe,

Ihre Kommission hat eine für Brandenburg und für den Landtag sehr wichtige und notwendige Arbeit geleistet.

Solange die Generationen, die in der DDR gelebt haben, die sich dort einrichten mussten, die sich dort engagiert haben, noch aktiv sind und die Geschicke in Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur oder Politik bestimmen - mindestens so lange wird es wichtig sein, voneinander zu wissen, was wer in der DDR gemacht hat, wo wer stand, wie man sich gegenüber anderen verhalten hat.

Das Lebenselixier der repräsentativen Demokratie ist das Vertrauen. Menschen müssen denen, die sie repräsentieren und die auf dieser Grundlage Entscheidungen für sie treffen, vertrauen können.

Deswegen müssen politische Biografien in aller Breite auf dem Prüfstand stehen, nicht allein Verstrickungen in die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit. Geheimdienstliche Tätigkeit geht immer mit einem Stück Vertrauensbruch einher. Besonders dramatisch war das in der DDR, wo die geheimdienstlich Überwachung und Steuerung der Bevölkerung ein gigantisches Ausmaß und in vielen Fällen dramatische Folgen hatte.

Vertrauen oder Nicht-Vertrauen lassen sich aber nicht so einfach daraus ableiten, ob jemand IM war oder nicht. Vertrauen leitet sich auch daraus ab, wie jemand zu seiner politischen Vergangenheit in der DDR steht, welche Schlussfolgerungen daraus abgeleitet werden, wie und wofür sich jemand engagiert und wie sehr das für die Bürgerinnen und Bürger selbst nachvollziehbar ist.

Wenn wir also die Vertrauensbasis für diesen Landtag und damit die repräsentative Demokratie stärken wollen, dann müssen wir das Feld kritischer und selbstkritischer Auseinandersetzung in verschiedener Hinsicht erweitern: Über das Stasi-Thema hinaus und unter Einbeziehung der zurückliegenden zwei Jahrzehnte wie auch der Gegenwart. Und es geht dabei auch nicht nur um individuelle Schuld, sondern nicht minder um Fehlkonstruktionen im gesellschaftlichen System, um strukturelle Defizite, die nie wieder zugelassen werden dürfen. Es geht um Demokratie und um Freiheitsrechte, um die Einheit von bürgerlichen Freiheitsrechten und sozialen Menschenrechten.

Das ist der Ansatz, dem meine Partei seit den neunziger Jahren folgt. Der Weg dorthin war für viele mit bitteren Selbsterkenntnissen gepflastert. Wir sind ihn auch nicht alle mit gleicher Intensität gegangen.Er ist auch nicht erledigt, wenn man ihn einmal gegangen ist. Wenn es eine Generation getan hat.

Das haben wir im Herbst 2009 bitter erfahren müssen.

Aber alles in allem geht meine Partei einen Weg, der sich vor schwierigen Biografien nicht scheut und zugleich geeignet ist, Vertrauen zu schaffen. In der LINKEN (ehemals PDS) gibt es seit Juni 1991 die Pflicht zur Offenlegung der politischen Biografie für Kandidatinnen und Kandidaten für Partei – und Wahlmandate von der Kreis – bis zur Bundesebene auf Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Erst nach Offenlegung und ernster Debatte sollen die verantwortlichen demokratischen Gremien für oder gegen eine Kandidatur entscheiden. Dieser Beschluss wandte und wendet sich klar und nach lesbar gegen jede Verharmlosung der Rolle des MfS als Institution.

Dies haben wir auf dem Landesparteitag erneut bekräftigt.

Meine Damen und Herren -

was den offenen, kritischen und auf den Einzelfall bezogenen Umgang mit belasteten DDR-Biografien anbelangt, sehe ich durchaus auch ein wichtiges Stück Gemeinsamkeit hier im Landtag.

1994 – nach der ersten und bislang einzigen Überprüfung der Landtagsabgeordneten – gab es den von Vertretern aller Parteien getragenen Parlamentsbeschluss „Die Vergangenheit mit menschlichem Maß bewerten“. Er zog die Bilanz einer Debatte, die unter sehr besonderen Bedingungen stattfand und setzte Zeichen, deutlich über die damalige Situation hinaus wiesen. Unumstritten waren sie nie – genauso wenig, wie sie ein getreuliches Abbild der Praxis im Lande waren.

Wir haben heute wieder die Chance auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag – nach einer erneuten, langen und harten Auseinandersetzung im Land. Ich halte diesen Entwurf für einen wichtigen Schritt für unser Land.

Das ist ein Entwurf, der moralische Schuld klar benennt und doch auf problematische Instrumente wie die Abgeordnetenanklage oder Erklärungen über die Mandatsunwürdigkeit verzichtet. Ein Entwurf, der das differenzierte Meinungsbild der Bürgerinnen und Bürger aufgreift und der den betroffenen Kolleginnen und Kollegen vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem Werdegang ihrer aktuellen Rolle nahelegt.

Ein Entwurf, der noch einmal den anhaltenden Handlungsbedarf im Interesse derjenigen deutlich macht, die in der DDR verfolgt und bedrängt worden, um Lebenschancen gebracht worden. So, wie das auch die Mehrheit der Bevölkerung empfindet.

Dieser Antrag kommt aus der Mitte des Parlaments - das ist gut. Ich weiß es zu würdigen, Herr Dombrowski, dass gerade Sie die Initiative dafür ergriffen haben und dass gerade Sie auch noch einmal in der Sache viele Schritte gegangen sind, die für jemanden mit ihrem politischen Werdegang nicht selbstverständlich sind. Sie haben meinen Respekt, Herr Dombrowski!

Mit ihrer Initiative geht es Ihnen, so habe ich gelesen, auch darum, den Blick stärker auf die in der DDR Verfolgten und Benachteiligten zu richten. Dafür haben Sie meine, haben Sie unsere volle Unterstützung. Es ist dringend notwendig, dass für die ehemals Verfolgten und Benachteiligten mehr getan wird – und das beginnt ja auch. Und es gehört sich auch, dass wir alle zusammen deren legitime Interessen ernst nehmen sie aus dem parteipolitischen oder ideologischen Schlagabtausch heraus halten und die Kraft statt dessen darauf richten, ihnen praktische Genugtuung und Wiedergutmachung zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren,

die Debatte der letzten Tage bezog sich auch auf Vaclav Havel.

Für mich ist Vaclav Havel ein Mensch, der dem verfallenden Staatssozialismus vor allem als ein Ermutiger des Menschseins haushoch überlegen war.

Havels Vision war nicht eine apokalyptische Endschlacht zwischen Gut und Böse, seine Vision war ein "Leben in Wahrheit", vor dem das Böse zerfällt. Wo dieses Leben in Wahrheit, so Havel, „anfängt, sich selbst auf eine gewisse Art schöpferisch zu artikulieren, ist der Ort, an dem das geboren wird, was man das 'unabhängige geistige, soziale und politische Leben der Gesellschaft' nennen könnte."

Das war Havels Vision.

Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR war Teil jenes Apparates, der das "Leben in Wahrheit" verhindern sollte, der Menschen am Leben in Wahrheit hindern sollte.

Havel sprach zu Recht von einem ganzen System der "komplexen tiefen und dauernden Vergewaltigung beziehungsweise Selbstvergewaltigung der Gesellschaft".

Michael Schumann – wir waren in den 90er Jahren Fraktionskollegen hier im Landtag Brandenburg – hatte dies in seinem Schlüsselreferat auf dem Außerordentlichen Parteitag im Dezember 1989 in ganz ähnliche Worte gekleidet:

"Stalinismus bedeutete Demoralisierung und Entartung des geistigen Lebens sowie Zerstörung menschlicher Werte."

Dies war für Schumann kein anonymer Vorgang. 1995 erklärte er: "Es bleibt die bittere Erkenntnis, ... dass wir für eine Überwindung restaurativer Strukturen und diktatorischer und inhumaner Praktiken in der DDR und in der SED das uns Mögliche nicht getan haben ... Und wir können in der heutigen Gesellschaft nicht den Anspruch auf das Prinzip des aufrechten Ganges glaubwürdig erheben, wenn wir über eigenes Versagen mit dem Hinweis auf strukturelle Zwänge und vermeintliche Notwendigkeiten hinweg reden."

Das ist die Dimension, der sich meine Fraktion stellt und stellen muss.

Meine Damen und Herren,

als politischer Mensch und als Vertreter einer Generation, die die DDR noch bewusst erlebt, aber nicht mehr mit gestaltet hat, wünsche ich mir, dass wir diesen Geist, diesen Anspruch eines "Lebens in Wahrheit" und des „aufrechten Ganges“ auch nach eigenem Versagen hier in diesem Hause teilen. Jeder auf seine Weise, mit seinen Zielen, Idealen und Erfahrungen - aber gemeinsam gewichtet durch das Vermächtnis von Menschen wie dem Weltbürger Vaclav Havel und auch dem für Brandenburg und die deutsche LINKE so wichtigen Michael Schumann.

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