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Brandenburg: Erste Hilfe

Ärzte-Streit: Innungs- und Betriebskassen zahlen Schulden – die großen Probleme bleiben noch ungelöst

Potsdam - Im seit Wochen tobenden Streit zwischen Brandenburgs niedergelassenen Ärzten und den Krankenkassen um die Arzthonorare bahnt sich eine leichte Entspannung, aber noch kein Durchbruch an. Bei einem Spitzengespräch sagten gestern Betriebs- und Innungskrankenkassen zu, ausstehende Honorare an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Brandenburg zu überweisen. Mit dem Geld soll die KV dann Praxen, die unter massiven Honorareinbußen leiden, unter die Arme greifen. Die Innungs- und Betriebskassen haben nach Angaben aus Verhandlungskreisen mehrere Millionen Euro Außenstände bei der KV, die die Kassenhonorare unter den Ärzten verteilt. An dem Spitzengespräch nahmen alle in Brandenburg vertretenen Kassen, die KV Brandenburg und Gesundheitsministerin Dagmar Ziegler (SPD) teil.

In den wesentlichen Punkten sind KV und Kassen gestern aber nicht wirklich vorangekommen. Hatten die Kassen zuvor zumindest gehofft, von der KV bis ins Detail aufgeschlüsselte Zahlen zur tatsächlichen Lage der Praxen in der Mark zu bekommen, so hieß es gestern aus Teilnehmerkreisen, die KV-Zahlen seien noch immer nicht ausreichend. Anders als geplant könnten die Probleme bei der Honorierung der Haus- und Fachärzte noch immer nicht auf der Fachebene analysiert und dann gelöst werden. Daher wurde für die kommende Woche ein erneutes Treffen der KV- und Kassenspitzen mit Ministerin Ziegler anberaumt. Die Kassen wollen, bevor über konkrete Hilfsprogramme für angeschlagene Praxen verhandelt werden kann, genau wissen, welche Praxen aus welchen Grünen Not leiden.

Die Kassen sind ohnehin verstimmt, da die KV ihrer Ansicht nach populistisch agiere. So sei die KV selbst Teil des Problems. Die Brandenburger Vereinigung der Kassenärzte habe Ausgleichsmöglichkeiten bei der Honorarverteilung nicht genutzt. Nach Angaben der AOK und der Angestellten-Krankenkassen hat die KV, die die Quartals-Honorarbescheide an die Ärzte verschickt, weder im Oktober noch Anfang November gegenüber den Kassen angedeutet, dass es Probleme bei der Honorarverteilung für das zweite Quartal 2005 gibt. Die KV habe auch nicht gesagt, dass ihre Rücklagen aufbraucht sind.

„Die KV erhält jetzt nur Geld, das den Ärzten ohnehin zusteht“, sagte ein Kassenchef gestern den PNN. Die Innungs- und Betriebskassen zahlen ihre Schulden bei der KV und die AOK überweist Geld, das die Ärzte früher oder später ohnehin bekommen hätten: 1,5 Millionen Euro, die sonst erst mit der Jahresendrechnung überwiesen worden wären.

Mit diesen Zahlungen kann nach Ansicht aller Beteiligten zunächst nur die akute Finanznot einzelner Ärzte gelindert werden. Ein Gesprächsteilnehmer beschrieb die Lage so: „Der Lösung der Grundprobleme sind wir kein Stück näher gekommen.“ Und diese Probleme betreffen im Wesentlichen drei Komplexe:

1. Die Auswirkungen der Hartz-Reformen – der einzige Punkt, in dem sich Kassen und KV einig sind, kann nur beim Bund gelöst werden. Seit Jahresanfang sind Arbeitslosengeld II-Empfänger nicht mehr selbst, sondern über die sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ehepartner mitversichert. Die Ärzte erhalten nur noch die Behandlungspauschale für den Hauptversicherten, die ALG II-Empfänger behandeln sie so nun im Prinzip kostenlos. Ziegler hat bereits angekündigt, Brandenburg werde Anfang 2006 eine Bundesratsinitiative starten, um diesen Missstand zu beheben. Wer dann aber die Beiträge für die ALG II-Empfänger zahlen soll, ist noch offen.

2. Mit dem zweiten Quartal trat in diesem Jahr ein neues, einheitliches Abrechnungs- und Vergütungssystem in Kraft, nach dem die von den Kassen überwiesenen Gelder nach einem Punktesystem an die Ärzte verteilt werden. Dieses neue System hat nach Ansicht von KV und Kassen in einigen Fällen zu weiteren, dramatischen Honorareinbußen geführt. Uneinig sind sich Kassen und KV über die Konsequenzen. Ziegler hofft nun, dass in der nächsten Woche eine Lösung herbeigeführt werden kann: KV und Kassen sollten sich für die beiden letzten Quartale dieses Jahres auf eine Korrektur einigen und dann einen neuen Verteilungsschlüssel für 2006 aushandeln. Dazu verlangen die Kassen aber die bis in die einzelnen Praxen aufgeschlüsselte Zahlen von der KV. Mehr Geld sei aber insgesamt nicht zu verteilen, ohne die Beiträge zur Krankenversicherung zu erhöhen, so die Kassen, für die nur eine Umverteilung in Frage kommt. Die KV will mehr Geld für die Ärzte.

3. Der Ärzteschwund in Brandenburg: Die überalterte Landärzteschaft findet für ihre Praxen keine Nachfolger mehr – ihr geht mit den fast unverkäuflichen Praxen ein Großteil der Altersversorgung verloren. Andere können wegen der sinkenden Honorare kaum noch die Kredite für die Praxiseinrichtung abstottern. Mit den Honoraren sinkt auch der Wert vieler Praxen – nach Ansicht von Experten haben viele Praxen innerhalb eines Jahres 30 Prozent an Wert verloren, weil potenzielle Käufer mit ihnen nicht mehr genug erwirtschaften könnten. Ministerin Ziegler und auch verschiedene Landtagsfraktionen haben angekündigt, sich Anfang 2006 auf die Suche nach Lösungsmöglichkeiten zu begeben. Immer wieder wird die Renaissance der Landambulatorien oder Polikliniken nach DDR-Vorbild genannt, in denen Kommunen Ärzte anstellen könnten. Auch der Gemeindeschwester wird ein Comeback prophezeit. Die Kassen würden sich freuen – der freien Ärzteschaft ist das Angestellten-Modell ein Graus.

Unabhängig von diesen drei Grundproblemen sucht Ziegler als Schlichterin zwischen Kassen und KV zunächst nach einer Nothilfe. So hält sie an ihrer Idee fest, notleidenden Praxen mit zinslosen Darlehen der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) zu helfen (PNN von gestern). Die ILB bestand aber am Dienstagnachmittag darauf, dass neben der KV auch die Kassen für die Arzt-Darlehen bürgen. Die Kassen lehnen eine Bürgschaft jedoch ab. Nach Aussage des Bundesversicherungsamtes in Bonn, dass die Oberaufsicht für die Angestellten-Krankenkassen ausübt, können die Kassen nicht mit Mitgliedsbeiträgen der Versicherten für Kredite anderer bürgen. Gleiches müsse auch dem Ziegler-Ministerium in Potsdam bewusst sein, das die Aufsicht für AOK sowie die Innungs- und Betriebskrankenkassen ausübt, hieß es.

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