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Brandenburg: „Es geht nicht alles gleichzeitig“

Die Potsdamer SPD-Bundestagsabgeordnete über das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz, bezahlbaren Strom und warum es Kohlekraftwerke in Brandenburg weiter geben wird

Frau Wicklein, das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, tritt am 1. August in Kraft. Kritiker sagen, damit werde die Energiewende ad absurdum geführt. Ist die SPD der Bremsklotz auf dem Weg zur klimaneutralen Energieversorgung? Haben die Sozialdemokraten die Energiewende verraten?

(lacht) Das sehe ich natürlich ganz anders. Wir haben die Energiewende nicht verraten, sondern vom Kopf wieder auf die Füße gestellt. Diese Anpassungen waren schon lange überfällig. Für den Ausstieg aus der Atomenergie gibt es nach wie vor einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Das wird aber nur dabei bleiben, wenn die Strompreise bezahlbar sind, Versorgungssicherheit gewährleistet ist und unsere Klimaschutzziele erreicht werden. Das hinzubekommen ist eine riesige Herausforderung. Deshalb bin ich froh, dass die Energiepolitik in einem Ressort gebündelt ist und von einem sozialdemokratischen Minister verantwortet wird. Sigmar Gabriel macht einen guten Job.

Was bringt das neue EEG Brandenburg, dem mehrfach ausgezeichneten Spitzenreiter beim Ausbau der Erneuerbaren?

Brandenburg hat die Chancen beim Umstieg auf Erneuerbare Energien hervorragend genutzt. Und das soll auch so bleiben. Auch vom neuen EEG wird Brandenburg profitieren. Es ist ja nicht so, dass die Förderung der Erneuerbaren jetzt komplett abgeschafft wird und es den Vorrang bei der Einspeisung nicht mehr gibt. Auch zukünftig wird es sich lohnen, in Sonnenenergie oder Windkraft zu investieren. Der Anteil an Strom aus erneuerbarer Energie liegt heute in Deutschland bei 28 Prozent. Das ist beachtlich und darauf können wir stolz sein. Bis 2025 wollen wir 40 bis 45 Prozent erreichen. Also vom Abwürgen der Energiewende kann keine Rede sein. Die Herausforderung dabei ist, die Kosten gerechter zu verteilen, innovative Speichertechnologien zu entwickeln und den Netzausbau voranzutreiben, damit der Strom aus Sonne oder Wind auch zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zur Verfügung stehen kann. Also, es geht nicht nur um den Ausbau, sondern auch um eine marktgerechte Bereitstellung. Brandenburg hat viele innovative Unternehmen, die ihre Chancen auch zukünftig nutzen werden. Da bin ich mir ganz sicher.

Kommunen, Genossenschaften, die Bäckerei nebenan, Landwirte, Projekte wie Unisolar in Potsdam oder auf früheren Übungsplätzen können nun nicht mehr so leicht Solaranlagen bauen, weil nicht finanzierbar. Ab einer Leistung von über zehn Kilowatt müssen sie nun die EEG-Umlage zahlen. Das scheint nicht sehr durchdacht.

Im Gegenteil, die Belastung des Eigenverbrauchs gefährdet keineswegs die Wirtschaftlichkeit von Neuanlagen, da die zusätzliche Belastung auch in die Berechnung der Fördersätze eingeflossen ist. Wir reagieren mit der Belastung des Eigenverbrauchs auf den Trend der letzten Jahre, wonach der finanzielle Vorteil der Eigenversorgung mit steigender EEG-Umlage immer attraktiver wurde. Der Anreiz für die Industrie, aber auch für Anlagenbesitzer ist beinahe 20 Cent pro Kilowattstunde. Stichworte: Einsparung der EEG-Umlage, Netzentgelte, Konzessionsabgabe, Stromsteuer. Das ist so hoch, dass sich immer mehr Erzeuger der öffentlichen Finanzierung des EEG entzogen haben, die Stadtwerke mehr und mehr Probleme bekommen haben und die EEG- Umlage von denjenigen allein geschultert werden muss, die sich beispielsweise keine Fotovoltaik-Anlage oder industrielle Eigenversorgung leisten können. Aus Sicht der SPD musste diesem wenig solidarischen Trend Einhalt geboten werden. Zukünftig verteilen wir die Kosten des EEG wieder auf mehr Schultern. Wichtig ist auch, dass Eigenheimbesitzer von dieser Regelung ausgenommen sind, daher die 10-Kilowatt-Grenze. Dies ist durchdacht, gerecht und kommt den Bürgerinnen und Bürgern, die die Energiewende im Kleinen vorantreiben wollen, zugute.

Der Eindruck bleibt, dass die Energiewende von unten gebremst wird, Verbraucher die Hauptlast tragen, aber große Industrieunternehmen und die Kohlewirtschaft von der EEG-Umlage befreit werden. Sind die Sozialdemokraten eher die Genossen der Bosse als die des kleinen Mannes?

Ich bin sehr erleichtert darüber, dass wir die Umlagebefreiung für besonders stromintensive Unternehmen gegenüber der EU-Kommission erfolgreich verteidigt haben. Das war ein Kraftakt. Dabei ging es uns und den Gewerkschaften weniger um die Bosse als vielmehr um die Hunderttausenden Industriearbeitsplätze, von deren Fortbestand auch unzählige kleine und mittlere Unternehmen abhängig sind. Was wäre daran sozial, wenn wir sehenden Auges akzeptiert hätten, dass unsere Industrie in vielen Bereichen nicht mehr wettbewerbsfähig wäre und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Jobs verloren hätten? Spätestens dann hätten wir unsere gesamte Energiewende einpacken können. Aber Sie haben natürlich recht mit Ihrer Frage. Je mehr Unternehmen befreit sind, umso höher ist die Last, die alle anderen zu tragen haben. Auch da wurde in der Vergangenheit viel Unfug gemacht, den wir korrigiert haben. Im Vergleich zum EEG von 2012 wurde die Eintrittsschwelle in die Privilegierung gemessen an der Energieintensität heraufgesetzt.

Aber wie soll das die Energiewende voranbringen?

Die Energiewende wird doch nur dann erfolgreich sein, wenn die Menschen ausreichend Geld verdienen, um die Stromkosten zu bezahlen. Neben den Klimaschutzzielen ist doch gerade unsere Wettbewerbsfähigkeit, der Erhalt unserer Arbeitsplätze ganz entscheidend. Glauben Sie, dass die Unterstützung der Energiewende noch da wäre, wenn wir damit Industriearbeitsplätze in Deutschland vernichten? Ich glaube das nicht. Außerdem fokussieren wir uns in unserem Gespräch ausschließlich auf das EEG. Das Thema der Energieeffizienz, der Einsparung von Energie wäre mindestens genauso spannend. Auch da müssen wir eine große Schippe drauflegen. Da liegen wir weit hinter unseren Möglichkeiten zurück.

Das Ziel des EEG ist doch das Auslaufen der fossilen Stromerzeugung und der Ausbau der Erneuerbaren auf hundert Prozent. Wir können nicht recht erkennen, dass das neue EEG dieses Ziel noch verfolgt. Helfen Sie uns auf die Sprünge?

Das EEG wurde im Jahr 2000 mit dem Ziel der Markteinführung erneuerbarer Energien vom Deutschen Bundestag beschlossen und ist emotional eng mit dem Atomausstieg verbunden. Im Rahmen der Energiewende wollen wir unseren Energiebedarf ohne Atomstrom und auch langfristig ohne Kohle decken. Den Anteil von erneuerbaren Energien wollen wir auf 40 bis 45 Prozent im Jahr 2025 und auf 55 bis 60 Prozent im Jahr 2035 steigern. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Deshalb wurde und wird der Ausbau der erneuerbaren Energien massiv gefördert. Klar ist aber auch, dass wir aus Gründen der Versorgungssicherheit sowie Bezahlbarkeit zur Zielerreichung im Übergang auf Kohlestrom angewiesen sind. Stellen Sie sich mal vor, was in unserer hochkomplexen Gesellschaft passieren würde, wenn für mehrere Stunden der Strom ausfiele. Von Tagen will ich hier gar nicht reden.

Ihr Hauptargument ist die Bezahlbarkeit des Stroms. Auf der anderen Seite stehen die Wetterextreme, wir haben es in den vergangenen Tagen erlebt. Wie steht es mit der Bezahlbarkeit der Klimafolgekosten?

Die Klimaveränderungen sind das Ergebnis vieler Faktoren, darunter auch einer verfehlten Energiepolitik der letzten hundert Jahre, und das weltweit. Wir versuchen ja gerade mit unserer Energiewende dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Wir müssen global denken. Umso entscheidender ist es, dass uns dieses ehrgeizige Projekt der Energiewende gelingt, damit wir andere Länder motivieren, uns zu folgen. Die negativen Klimafolgen wie Wetterextreme sind ein globales Problem, das wir nur global lösen können. Wenn die Energiewende in Deutschland ein Erfolg wird, ist sie auch Vorbild für andere Länder.

Bei der EEG-Debatte konnte man nicht den Eindruck gewinnen, als ginge es der SPD um den Klimaschutz. Überzeugen Sie uns vom Gegenteil.

Da haben Sie den falschen Eindruck gewonnen. Auch der SPD geht es um die Einhaltung der Klimaschutzziele. Jedoch darf das nicht unsere einzige Motivation sein. Beim Ausstieg aus der Atomenergie ging es auch um die Sicherheit. Fukushima hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, was bei einem Nuklearunglück passieren kann. Auch der Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung bleibt unser Ziel. Aber es geht nicht alles gleichzeitig. Jedem normal denkenden Menschen ist klar, dass man nicht die Atomkraftwerke und die Kohlekraftwerke gleichzeitig abschalten kann, sondern die Energiewende geordnet erfolgen muss. Dieser Herausforderung stellen wir uns.

Die Fragen stellte Alexander Fröhlich

Andrea Wicklein, 56 Jahre, gebürtige Babelsbergerin, gelernte Verkäuferin und studierte Ökonomin, seit 1992 Mitglied der SPD und seit 2002

Abgeordnete im

Bundestag.

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