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Brandenburg: Morde in der Charité: Chefarzt gibt Fehler zu

Gert Baumann wurde nach fünf Wochen informiert / Klinik hat jetzt noch weitere Mitarbeiter versetzt

Berlin - Es geht um sechsfachen Mord – doch für den Professor im Zeugenstand steht noch etwas ganz anderes auf dem Spiel. Gert Baumann kämpft hier um den Ruf der Berliner Charité, seine eigene Reputation und die Karriere seiner Mitarbeiter. Bescheidenheit scheint dem Chef der Kardiologie da eine falsche Zier“ zu sein. „Das ist ein Team of Excellence mit extrem hoher Erfolgsquote und hohem wissenschaftlichen Output“, sagt der 57-jährige Mediziner. Er selbst sei ein „Chef zum Anfassen“, mit „sehr gutem Draht zu den Schwestern“ und Mitarbeitern, die „keine Geheimnisse“ vor ihm hätten.

Große Worte, doch der Richter wirkt nicht sonderlich beeindruckt. Peter Faust stützt sein Kinn in die Hand und schaut mit unbewegter Miene zu dem Zeugen hinab. Seit nunmehr drei Prozesstagen versucht der Vorsitzende herausfinden, weshalb auf der Intensivstation keiner der Kollegen die 54-jährige Krankenschwester früher gestoppt hat, warum nach dem ersten konkreten Verdacht noch drei weitere schwer kranke Patienten sterben mussten. Dass die zum Teil schockierenden Aussagen der Pfleger, Schwestern und Ärzte im Prozess jetzt personelle Konsequenzen in der Charité nach sich gezogen haben, hat Richter Faust am Wochenende aus der Zeitung erfahren. Doch Baumann hat auch Neues zu berichten: Nicht nur die Pflegedienstleiterin habe man suspendiert, sondern nun auch den Stationsarzt und drei der Pfleger versetzt.

Zuweilen scheint es, als würden sie in Saal 700 mit vertauschten Rollen spielen. Irene B., die sechs ihrer Patienten zu Tode gespritzt haben soll und der jetzt eine lebenslange Freiheitsstrafe droht, wirkt seltsam zufrieden auf der Anklagebank – während sich ihre einstigen Kollegen im Zeugenstand winden, nach Rechtfertigungen und Erklärungen suchen. Denn fast jedem auf der Station war im Laufe der letzten Jahre aufgefallen, dass Irene B. immer „rabiater“ mit den Patienten umging, sie zuweilen aus Wut sogar schlug. Unter den Ärzten galt Irene B. als aufsässig, ihre Arbeit als oft fehlerhaft. Man sprach über Schwester Irene zuweilen, klagte über ihre Art, änderte aber nichts. Auch nicht, als längst die Gerüchte über eine erhöhte Todesquote kursierten und einer der – jetzt versetzten – Pfleger eine verdächtige Ampulle aus dem Papierkorb fischte.

Baumann erfuhr erst fünf Wochen später von dem Vorfall – rief dann aber noch am selben Tag die Polizei. Er habe kein Verständnis für die Verzögerung, sagt Baumann, aber: „Das war ganz sicher kein Versuch, etwas zu vertuschen.“ Er glaubt, dass die Mitarbeiter „das Unfassbare“ nicht glauben konnten und wollten. Noch ist offen, ob es auch gegen einige von ihnen später eine Anklage und einen Prozess geben wird.

Als Irene B. im Oktober 2006 aufflog, hatte der Chefarzt nur Gutes von Irene B. zu berichten. „Zu keinem Zeitpunkt“ habe er vorher auch nur ein schlechtes Wort über die 54-Jährige gehört, sagt Baumann. Wenige Tage nach der Verhaftung hat er die Schwester im Gefängnis besucht, um sie zu „einem umfassenden Geständnis“ zu bewegen – vergeblich. Heute, im Saal 700, dreht sich Baumann zu der Angeklagten um und sagt: „Was Sie diesen Menschen angetan haben, ist nicht zu entschuldigen.“ Katja Füchsel

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