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Brandenburg: Oma und Opa ziehen in die Stadt

Landflucht im Oderbruch: Auch Senioren verlassen verstärkt ihre Heimatorte und -gehöfte

Landflucht im Oderbruch: Auch Senioren verlassen verstärkt ihre Heimatorte und -gehöfte Von Bernd Kluge Seelow - Plaudernd schlendern Ella Hamann und Marlies Schulz vom Supermarkt den kurzen Weg zurück nach Hause. Die beiden älteren Damen sind Nachbarinnen. Zuhause sind sie in schmucken, pastellfarbenen Häusern, die um einen ruhig gelegenen grünen Innenhof gruppiert sind. Und dass mitten in Seelow. Beide sind sich einig: Es ist einfach herrlich hier – kurze Wege und eine entspannte Atmosphäre. Was für die Seniorinnen fast noch wichtiger ist: Man kennt sich in der altersgerechten Wohnanlage „Rotkäppchen“, knüpft schnell Kontakte und ist – wenn man es denn will - nie allein. Bevor die beiden Frauen nach Seelow kamen, war das Leben für sie eher einsam und beschwerlich. Beide stammen aus kleinen Dörfern im Oderbruch, waren nach dem Tod des Ehepartners allein mit einem großen Bauerngehöft. „Die Kinder sind schon längst der Arbeit hinterhergezogen. Den Hof übernehmen wollten sie nicht“, seufzt Hamann. Wer wie sie nicht Autofahren könne, sei auf dem Lande aufgeschmissen, fügt Nachbarin Schulz hinzu. „Da gibt es keinen Arzt, keine Post, keine Sparkasse, keinen Supermarkt mehr.“ Das gut erschlossene Seelow hat sich schon seit Jahren auf betagte Zuzügler aus dem dörflichen Umland eingestellt. Schließlich ist in der kleinsten Kreisstadt Deutschlands praktisch alles zu Fuß erreichbar, sagt Bürgermeister Udo Schulz. „Wir haben ein frisch saniertes Krankenhaus der Grundversorgung und praktisch alle Fachärzte im Ort. Dazu ein Kulturhaus, mehr als 40 Vereine, eine engagierte Kirchengemeinde sowie eine sehr aktive Volkssolidarität“, erklärt er. Vor allem aber gibt es in Seelow eine Wohnungsbaugesellschaft, die den Bedarf an Wohnraum für Ältere schon früh erkannt hat. So entstand nicht nur die Wohnanlage „Rotkäppchen“, deren 48 Wohnungen vollständig belegt sind und für die es sogar Wartelisten gibt. „Wir waren Ende der 90er Jahre das erste kommunale Wohnungsunternehmen in Brandenburg, das dafür Fördermittel vom Land bekam“, erklärt Rainer Drost, Chef der Seelower Wohnungsbaugesellschaft (Sewoge). Für gut betuchte Senioren, die wegen ihrer hohen Rente nicht in geförderte Wohnungen ziehen können, ließ Drost zehn eingeschossige Bungalows mit Garten bauen – alle sind vermietet. Drei Elf-Geschosser mit Fahrstuhl, Ende der 80er Jahre errichtet und inzwischen mit modernen Fenstern versehen, hat die Sewoge dem Landkreis abgekauft und ebenfalls vermietet. Und schon jetzt gibt es Voranmeldungen für „Rotkäppchen II“, ein weiteres Seniorenprojekt mit 24 Wohnungen, das im nächsten Jahr bezugsfertig sein soll. „Unsere Mieter sind überwiegend keine Seelower. Die Leute kommen verstärkt aus dem Umland“, bestätigt Drost. So hat die Kreisstadt von Märkisch Oderland seit Jahren konstant 6000 Einwohner. In 20 bis 30 Jahren, vermutet der Seelower Bürgermeister, wird es so manchen kleinen Ort im Oderbruch gar nicht mehr geben. Die nächstfolgende Generation ist der Arbeit wegen schon längst weggezogen oder hat sich ein eigenes Haus gebaut. In vielen Orten fallen Verkaufs-Schilder an bereits verlassenen Gehöften auf. „Aufgrund des Überangebotes sind die Immobilienpreise im Oderbruch überaus niedrig“, weiß Schulz. Dass die Jugend aus den abgelegenen Dörfern meist gleich bis in den Westen abwandert, ist angesichts einer regionalen Arbeitslosenquote von 31 Prozent längst kein Geheimnis mehr. „Allein 500 junge Seelower haben in den vergangenen drei Jahren Seelow verlassen“, erklärt Schulz. So sehr ihn der verstärkte Seniorenzuzug mit Blick auf die gewachsene Kaufkraft in Seelow auch freut, befürchtet er doch ein Vergreisen des Ortes. Ella Hamann und Marlies Schulz ficht das nicht an: Auch wenn es schwer gefallen sei, die Heimat zu verlassen – wenn man seinen Lebensabend genießen wolle, sollte man den Schritt wagen.

Bernd Kluge

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