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Da dröhnen einem die Ohren. Dem Schallschutzprogramm liegt zugrunde, dass in den Häusern um den Flughafen ein Schallpegel von 55 Dezibel am Tag 16-mal überschritten werden darf. Der Planfeststellungsbeschluss sieht aber nicht eine Überschreitung vor.

© Kai-Uwe Heinrich

Brandenburg: Opposition: Parlament wurde getäuscht

Im Landtag und vor Gericht wird derzeit um den Schallschutz rund um den BER-Flughafen und die frühere Billigpraxis gestritten. Brandenburgs Verkehrsministerium ist weiter in Erklärungsnöten.

Potsdam - Um den Schallschutz am Hauptstadt-Flughafen in Schönefeld wird weitergestritten, vor Gericht und in Brandenburgs Politik. Das Oberverwaltungsgericht Berlin Brandenburg (OVG) verhandelt ab heute, wie der Neustart des BER-Schallschutzprogramms ausfallen muss. Nötig ist er, nachdem die von 2009 bis 2012 vom Flughafen verschickten 17 000 Bewilligungsbescheide alle ungültig sind, weil darin der Lärmschutz-Standard nach einem ersten Urteil des OVG vom Mai 2012 „systematisch“ gegen den Planfeststellungsbeschluss verstieß. Vom für Freitag erwarteten neuen OVG-Urteil hängt noch ab, ob der von Beginn an unterfinanzierte Schallschutz-Etat in Höhe von 139 Millionen Euro nun um 305 Millionenen Euro oder sogar um 591 Millionen Euro aufgestockt werden muss. Wie es bei dem staatlichen Projekt der Länder Brandenburgs, Berlins und des Bundes überhaupt zu diesem Fiasko kommen konnte, welche Rolle das Infrastrukturministerium dabei spielte, sorgte am Mittwoch im Landtag erneut für einen heftigen Streit.

Im Infrastrukturausschuss warf die Opposition aus CDU, Grünen und FDP der Regierung vor, trotz frühen Hinweisen im Jahr 2008 auf die Pläne die Billig-Praxis des Flughafens bis 2011 ignoriert und geduldet zu haben.

Wie berichtet war jetzt ein Aktenvermerk über ein Treffen von Flughafen-Verantwortlichen mit dem MIL vom November 2008 aufgetaucht. Dort hatte der Flughafen mitgeteilt, dass im Etat für Schallschutz nur 139 Millionen Euro vorgesehen waren. Und zwar berechnet auf Grundlage von täglich 16 Grenzwert-Überschreitungen des zulässigen Maximalpegels in den Wohnungen der Umgebung – statt keiner einzigen Überschreitung. „Es war wie eine Selbstanzeige“, sagte dazu der CDU-Abgeordnete Rainer Genilke. Zwar wies die Planfeststellungsbehörde damals laut Vermerk darauf hin, dass es nach dem Planfeststellungsbeschluss „keine“ Überschreitung geben darf. Darauf pochen jetzt Minister Jörg Vogelsänger (SPD), damals noch nicht im Amt, und Rainer Bretschneider, damals zuständiger Staatssekretär und seit Kurzem neuer Flughafen-Koordinator für Ministerpräsident und BER-Aufsichtsratschef Matthias Platzeck (SPD): Versäumnisse habe es nicht gegeben. Dass das Ministerium dann jahrelang nicht einschritt, begründete Bretschneider so: Es habe vor Mai 2011 keine Hinweise gegeben, dass sich der Flughafen im Schallschutz-Programm nicht an die Vorgabe der Behörde hielt. Im Widerspruch dazu steht unter anderem, dass im Juni 2009, nur acht Monate nach dem Treffen im Ministerium, beim offiziellen Start des BER-Schallschutzprogramms durch den damaligen Flughafenchef Rainer Schwarz offiziell das Volumen mit 138 Millionen Euro beziffert wurde. Zeitungen berichteten darüber. Diese Summe aber, so die Auskunft des Flughafens gegenüber Brandenburgs Verkehrsministerium acht Monate zuvor, reichte gerade für den allerschlechtesten Standard von 16 Grenzwert-Überschreitungen am Tag – im Widerspruch zum Planfeststellungsbeschluss. Im Schallschutz-Programm legte der Flughafen dann zwar ein etwas besseres Niveau mit immer noch sechs Überschreitungen zugrunde, wovon das Ministerium erstmals im Mai 2011 laut Bretschneider aus einem Bericht des Flughafens erfahren haben will. Gestoppt wurde diese Praxis erst vom OVG. Dass jahrelang die nie ausreichende Summe von 138 Millionen Euro niemandem auffiel, verteidigte Bretschneider so: „Kostenüberlegungen, Geld hat die Planfeststellungsbehörde nicht zu interessieren. Sie ist allein für die rechtlichen Fragen zuständig.“

Landtagsabgeordnete hatten mehrfach Anfragen zum BER-Schallschutz gestellt, ohne dass es in Antworten jemals einen Hinweis auf das Treffen vom November 2008 gab. Der CDU-Abgeordnete Sven Petke warf der Regierung vor, „das Parlament getäuscht zu haben“.

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