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Brandenburg: Polizei nahm sieben Kinder in Obhut Wohnung in Marzahn total verwahrlost

Ein „ekeliger Geruch“ drang über den Flur des Mietshauses in Berlin-Marzahn. Weil die Nachbarn wussten, dass in der Fünfzimmerwohnung auch Kinder leben, entschlossen sie sich am Montagabend, die Polizei zu rufen.

Ein „ekeliger Geruch“ drang über den Flur des Mietshauses in Berlin-Marzahn. Weil die Nachbarn wussten, dass in der Fünfzimmerwohnung auch Kinder leben, entschlossen sie sich am Montagabend, die Polizei zu rufen. Zu Recht, wie sich kurz danach herausstellte. Die Beamten trafen in der völlig verwahrlosten Wohnung auf eine 39-jährige Mutter mit ihren sechs Kindern im Alter von fünf, acht, zwölf, 16, 17 und 18 Jahren sowie einem zweijährigen Enkelkind.

Dreck, Müll, verschimmelte Essensreste und tote Fliegen waren in der gesamten Wohnung, die teilweise untapeziert war, verteilt. Die Kinder wurden in die Obhut des Jugendamtes gegeben. Als „menschenunwürdig und gesundheitsschädlich“ stuften die ermittelnden Beamten den Zustand der Wohnung ein. Gegen die 39-Jährige wird nun wegen Vernachlässigung der Fürsorgepflicht ermittelt.

Eine „merkliche Steigerung“ von Verwahrlosungsfällen hat es im Jahr 2006 in Berlin geben. Dies sagte Gina Graichen, Kommissariatsleiterin im Dezernat für Kindesvernachlässigung und -misshandlung gestern dieser Zeitung. Aber auch die Zahl der Misshandlungen habe im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Die Jahres-Bilanz würde in Kürze vom Polizeipräsidenten präsentiert werden. Seit Jahren steigt in Berlin die Zahl der gemeldeten Vorfälle. Im Jahr 2005 zählte das zuständige LKA-Dezernat 313 Vernachlässigungen und 472 Misshandlungen. Dass diese Zahl auch im vergangenen Jahr weiter gestiegen ist, liegt nach Graichens Angaben nicht daran, dass tatsächlich mehr Kinder misshandelt wurden. „Das hat es früher auch schon gegeben“, sagte die Hauptkommissarin. Vielmehr sei es so, dass die Leute sensibler für dieses Thema geworden seien und mehr Verdachtsfälle der Polizei gemeldet werden. Dazu habe auch eine umfangreiche Aufklärungskampagne der Polizei mit Plakaten beigetragen. Außerdem hätten die Medien in jüngerer Vergangenheit häufiger und ausführlicher über diese Fälle berichten. Selbst Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen, die ihre Vormittage vor dem Fernseher verbringen, „bekommen von diesem Thema etwas mit“, sagte Graichen. „Uns ist jegliches Mittel recht, um damit die Öffentlichkeit auf die Seite der Kinder zu bringen.“

Ein weiterer Erklärungsgrund sei, dass es zwar in den 80er und 90er Jahren ebenfalls verwahrloste Kinder gegeben habe, „doch damals hat man sich noch mehr bemüht, die Anzeichen irgendwie zu vertuschen“, sagte Graichen. Die „wachsende Unzufriedenheit“ in großen Teilen der Gesellschaft habe aber offenbar dazu beigetragen, dass bei überforderten Eltern häufig eine völlige „Egal-Stimmung“ herrsche. Man strenge sich gar nicht mehr an, irgendetwas zu vertuschen. Gleichzeitig habe früher in der Nachbarschaft noch viel stärker die Devise gegolten, dass man sich in Familienangelegenheiten nicht einzumischen habe. Graichen betonte, dass aber jeder Hinweis aus der Bevölkerung ein Kind retten könne. „Lieber fahren wir einmal zu viel in eine Wohnung und entschuldigen uns, wenn der Verdacht sich nicht bestätigt.“

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