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Die Fischereibiologen Christian Wolter, Lutz Wende und Jan Hallermann vom Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) sammeln mit Hilfe von Elektroangel und Kescher Fische aus dem Fluss Oder bei Reitwein.

© dpa / Frank Hammerschmidt

Sorge um seltene Fischpopulation : Europaweit geschützte Art nach Umweltkatastrophe in der Oder nicht mehr nachweisbar

Der Baltische Goldsteinbeißer scheint aus der Oder verschwunden zu sein. Wissenschaftler befürchten, dass die Population im August ausgerottet wurde.

Von Jeanette Bederke, dpa

Christian Wolter weiß genau, wo er suchen muss, doch er wird nicht fündig. Gemeinsam mit zwei Kollegen schwingt sich der Wissenschaftler des Leibniz-Institutes für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Höhe Reitwein (Märkisch-Oderland) in einen Angelkahn, um mit Elektroangel und Kescher auf Fischjagd zu gehen. In Höhe eines sogenannte Parallelbauwerkes, das vor sechs Jahren die alten Buhnen ersetzte, hofft er, dass ihm, rund zwei Monate nach dem verheerenden Fischsterben an dem Grenzfluss, der seltene Baltische Goldsteinbeißer ins Netz geht.

Im August waren Hunderte Tonnen toter Fisch in der Oder entdeckt worden. Durch Einleitungen unterschiedlicher, offenbar sehr salzhaltiger Abwässer, in Kombination mit hohen Temperaturen und extremem Niedrigwasser hatte sich laut Experten eine normalerweise Brackwasser bevorzugende Alge vermehrt, deren Blüte toxisch für die Lebewesen im Fluss war.

Der Baltische Goldsteinbeißer wird nur etwa acht bis zwölf Zentimeter groß, ist dunkel marmoriert und hat goldglänzende Schuppen an den Flanken. Was jeden Angler wohl eher abwinken lässt, sorgt bei Wissenschaftlern für Begeisterung. Fischökologe Wolter hat die Oder, die nicht durch Wehre verbaut ist, zu seinem bevorzugten Forschungsareal erkoren, um Fische in ihrer Dynamik zu untersuchen. „Einen Goldsteinbeißer entdeckte ich 2003 erstmals im uckermärkischen Abschnitt der Oder, eine ganze Population dann fünf Jahre später in Höhe Reitwein“, erzählt er.

Anders als die gewöhnlichen Steinbeißer (Cobitis taenia) im Bild haben die Baltischen Goldsteinbeißer (Sabanejewia baltica) goldglänzende Schuppen an den Flanken.

© dpa / Frank Hammerschmidt

Dass sich diese Art gerade in diesem Oderabschnitt heimisch fühlte, ist für ihn nicht verwunderlich: Die alten Buhnen waren über Jahrzehnte versandet, der Fluss im Uferbereich sehr flach. Baltische Goldsteinbeißer würden die vom Wasser durchströmten Sande lieben. „Beheimatet ist dieser europaweit geschützte Fisch eigentlich in Teilen Osteuropas und Westasiens. Die Oder ist sein westlichstes Verbreitungsgebiet“, erklärt Wolter.

Um diesen wertvollen ökologischen Lebensraum nicht zu zerstören, wurden die alten Buhnen 2016 mit Millionenaufwand durch ein Regulierungsbauwerk parallel zur Strömung ersetzt – der entstandene Flachwasserbereich blieb dadurch erhalten, der Baltische Goldsteinbeißer fühlte sich weiterhin wohl, hatte Biologe Wolter im vergangenen Jahr überprüft.

Gemeinsam mit seinen zwei Kollegen ist Wolter seit Wochen entlang des Brandenburger Oderabschnitts unterwegs, um die Fischpopulation nach der Umweltkatastrophe zu analysieren. „Wir finden viele Jungfische, aber kaum größere, mehrjährige Tiere, die es wohl überwiegend erwischt hat bei der Giftkatastrophe“, macht er deutlich. Noch in diesem Frühjahr seien an den 52 überprüften Stellen im Flussabschnitt des Nationalparks „Unteres Odertal“ 40 Prozent der gefangenen Fische große, teils ausgewachsene Exemplare gewesen. „Jetzt sind das nicht mal drei Prozent“, sagt Wolter.

Ernüchterndes Ergebnis

Ein Ergebnis, das auch Nationalparkleiter Dirk Treichel stark interessiert. „Gerade weil wir durch die aktuellen Untersuchungen den direkten Vergleich zur Bestandsaufnahme im Frühjahr bekommen, lässt sich daran gut ableiten, wie schwer die Schäden sind, die durch die Umweltkatastrophe in der Oder entstanden sind“, sagt der Naturschützer. Die Oder sei nun einmal das Rückgrat des einzigen deutschen Auen-Nationalparks und habe gravierende Auswirkungen auf Flora und Fauna, so Treichel.

Zweimal fährt Wissenschaftler Wolter zur Fischjagd bei Reitwein hinaus, in großen Wasserbottichen werden die durch die Elektroangel kurz betäubten Fische ans Ufer gebracht, bestimmt, vermessen und anschließend wieder ins Wasser gesetzt. Ein Dutzend unterschiedliche Arten wie Döbel, Plötzen oder Hechte werden entdeckt, darunter auch wenige größere Exemplare. „Die haben während der Giftkatastrophe wohl in den üppigen Schilfbeständen und Nebenarmen überlebt“, vermutet der Fischökologe. Baltische Goldsteinbeißer sind jedoch nicht dabei.

Wir finden viele Jungfische, aber kaum größere, mehrjährige Tiere, die es wohl überwiegend erwischt hat bei der Giftkatastrophe.

Christian Wolter, Wissenschaftler

„Dieses Ergebnis ist tatsächlich ernüchternd“, sagt Wolter. Im Frühjahr 2023 will er erneut in der Oder nach den Goldsteinbeißern suchen. Der Wissenschaftler zeigt auf das polnische Flussufer, wo an neuen Buhnen gebaut wird. „Die neuen Bauwerke sind höher und länger als die Vorgänger. Dadurch können sich die Strömungsverhältnisse in der Oder bereits so verändert haben, dass es die versandeten Inseln gar nicht mehr gibt und damit keinen Lebensraum mehr für den Baltischen Goldsteinbeißer“, erklärt er.

Was ihn bei seiner abschließenden Wasseranalyse besonders entsetzt: Der Salzgehalt in der Oder ist fast so hoch, wie während der Umweltkatastrophe im August. Nach Einschätzung von Wolter ein Beleg dafür, dass noch immer nährstoffreiche Abwässer in den Fluss geleitet werden. „Wird da nicht endlich gegengesteuert, erholt sich das Gewässer gar nicht mehr“, macht er deutlich.

Lars Dettmann, Geschäftsführer des Brandenburger Landesfischereiverbandes sieht das ähnlich. „Diese hohen Salzwerte haben im Süßwasser nichts verloren. Vor allem bei Niedrigwasser verdünnen sich diese Einleitungen nicht und haben verheerende Auswirkungen“, mahnt er. Ähnliche Probleme wie in der Oder gebe es auch in anderen deutschen Flüssen wie Saale oder Werra, so Dettmann. „Wir brauchen einen anderen Umgang mit unseren Gewässern“, fordert er. (dpa)

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