zum Hauptinhalt

Brandenburg: Statt märkischer Landschaften

Eine Ausstellung im Landtag sorgt kurz vor der feierlichen Eröffnung für Missstimmung. Hitler, Goebbels, Stalin, aber auch Hannah Arendt und Anne Frank sind zu sehen. Kritiker finden es eine Zumutung für Parlament und Volk, Befürworter fordern die Auseinandersetzung um Demokratie und Diktatur

Potsdam - Adolf Hitler im Parlament? Eine Woche vor der feierlichen Eröffnung des neuen Potsdamer Landtagsschlosses mit mehr als 12 000 Gästen aus ganz Brandenburg am nächsten Wochenende hat eine Ausstellung heftige Kontroversen ausgelöst. An den Wänden in den Landtagsfluren hängen 112 Porträts in Öl des Berliner Malers Lutz Friedel, darauf zu sehen sind Persönlichkeiten der Geschichte und der Gegenwart: Altkanzler Helmut Schmidt, der Außenminister der Weimarer Republik Walther Rathenau, Rosa Luxemburg, RAF-Terroristin Susanne Albrecht, die Dichter Heinrich von Kleist und Franz Kafka, selbst Bob Dylan, aber auch Adolf Hitler, NS-Propagandaminister Joseph Goebbels, SA-Sturmführer Horst Wessel oder Walter Ulbricht – und auch die jüdische Publizistin Hannah Arendt und Anne Frank.

Es ist die erste der jährlich wechselnden Ausstellungen im neuen Parlamentsgebäude in den Formen des früheren Stadtschlosses, mit dem zentral der Wiederaufbau der historischen Stadtmitte vorangetrieben wird. Nach jahrelangem Bau, nach dem Umzug vom Sitz der früheren SED-Bezirkszentrale auf dem Brauhausberg ins Zentrum gibt es am Wochenende Tage der offenen Tür. Am 21. Januar tagt das Plenum erstmals in dem Landtagsschloss. CDU und FDP finden die Ausstellung unangemessen für diesen Anlass.

Friedel, Jahrgang 1948, der 1984 die DDR verließ, gekürt mit dem Brandenburgischen Kunstpreis, der in Berlin und seit mehr als zehn Jahren im havelländischen Schönholz lebt und arbeitet, hat die Bilder als Selbstporträts angelegt. Die Reihe heißt „Ich! Meine Selbstporträts zwischen 1635 und 2003“. Gemeint sind sie als Selbstbefragungen, was aus ihm auch hätte werden können. „Andere Zeiten, Verhältnisse, soziale Umstände, und aus mir wäre Lenin, Haarmann, Goebbels, Elser oder Lagerfeld geworden“, schrieb Friedel selbst. Das Hitler-Bild heißt denn auch „Selbst als Helge Schneider als Hitler“. Es sei keine Verherrlichung von Hitler, sondern stelle diesen infrage.

CDU und FDP im Landtag laufen aber Sturm und wollen noch vor der Eröffnung das Landtagspräsidium einschalten, selbst bei SPD und Linke herrschte am Wochenende Unruhe wegen der Hitler- und Goebbels-Bilder. Die CDU, die nahe ihren Fraktionsräumen Wladimir Putin, Walter Ulbricht, Muammar al-Gaddafi und Uwe Barschel ertragen muss und deren Abgeordnete bei der Entscheidung für die Schau in der Kunstkommission fehlte, spricht von einer Diktatoren- und Verbrecher-Ausstellung. Während in Brandenburg wieder Asylbewerberheime brennen, stelle der Landtag Hitler und Goebbels aus. „Über Kunst lässt sich immer streiten, Bilder von Hitler oder Stalin sind aber in einem Parlament unerträglich“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Ingo Senftleben.

FDP-Fraktionschef Andreas Büttner findet die Ausstellung nicht angemessen für den Landtag. Aber die Vorstellung, dass Tausende Besucher am kommenden Wochenende an Hitler und Goebbels vorbeigehen, ohne dass es eine Kommentierung der Bilderreihe gibt, sei nicht vorstellbar. „Man muss darüber nachdenken, ob man die Bilder wieder abhängt“, sagte Büttner. „Mörder und Tyrannen haben im Landtags nichts verloren.“ Und die CDU hat auch Alternativvorschläge: Grundsätzliche Ausstellungen im Landtag über die Kultur, Vielfalt und Geschichte Brandenburgs seien viel angemessener.

Gegen Bilder mit märkischen Landschaften und Blumen aber hat sich Landtagsvizepräsidentin Gerrit Große (Linke), die auch die Kunstkommission des Parlaments leitet, ganz bewusst entschieden – stattdessen war die Kunstkommission mehrheitlich für Friedels verfremdeten Selbstporträts. „Das ist keine Ahnengalerie deutscher Geschichte. Man muss die Kunstwerke hinterfragen und sich damit auseinandersetzen. Sie sollen Kontroversen auslösen.“ Die Bilder sollen gerade provizieren, sagte Große. „Dass müssen wir den Bürgern auch zumuten. Man unterschätzt die Leute, die sind wahrscheinlich viel weiter als wir denken in unserem Schloss. In der DDR war es genau die Frage, welche Kunst darf gemalt und gehängt werden. Dahin will ich nicht zurück.“ Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Marie Luise von Halem, die ebenfalls in der Kunstkommission sitzt erklärte: „Kunst ist gut, wenn sie provoziert.“ Es gehe im Fall des Hitler-Bildes genau darum, warum heute wieder Asylbewerberheime brenne.

Die Werke seien keine Aufarbeitung von Geschichte im Sinne eines Historikers, sondern Kunst, sagte die Kuratorin der Ausstellung Brigitte Rieger-Jähner vom Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder). Im Begleittext zur Ausstellung schreibt die Kuratorin: „Alle diese Männer und Frauen haben den Künstler in ihrer Großartigkeit oder Schrecklichkeit, mit ihrem Mut oder ihrer Feigheit positiv wie negativ beeindruckt.“

Die Potsdamer Abgeordnete und SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz aber hält wenig von Hitler im Landtag. Das sei kein Debattenbeitrag, sondern eine gezielte Provokation. „Wer den Führer ins Stadtschloss hängt, hat eine 100-prozentige Skandalgarantie. Das Konzept ist so übersichtlich wie blanke Brüste auf der Weihnachtsmesse“, sagte Geywitz. Für sie selbst könne Hitler eine abstrakte Chiffre für das Böse sein. „Für viele Menschen ist er das nicht. Hitlers Bild in einem deutschen Parlament ist für viele eine emotionale Zumutung.“ Die aktuelle Ausstellung verdrehe das Verhältnis von Politik und Kunst. „Sie lässt die Bilder dominieren. Schwer vorstellbar, dass ich mit einer Schülergruppe ohne Erklärung an einem Goebbelsbild vorbei in den Plenarsaal gehe. Nicht denkbar, dass ich meinem polnischen Gesprächspartner nicht erläutere, warum das Hitlerbild in meinem Landtag hängt“, sagte Geywitz. „Wahlweise kann ich noch einen nazifreien Weg von der Tiefgarage in mein Büro erkunden. Kunst belastet hier die Abläufe im Landtag, anstatt sie zu beflügeln.“ Geywitz stößt sich an den gesamten Debatten um den Bau und die Kunst darin: „Kutschauffahrten, Skulpturen, weiße Adler, Holzköpfe und Nazibilder – das alles lässt fast übersehen, dass hier ein neues Parlament eröffnet wird.“

Am Ende aber wird es wohl bei der Ausstellung bleiben. SPD und Linke, die gemeinsam regieren, sowie die Grünen halten daran fest. Selbst wenn Grünen-Fraktionschef Axel Vogel die Bilder von Hitler und Stalin unpassend findet und sich sogar Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) bei seiner Genossin Gerrit Große gemeldet hat.

„Es gibt keinen Anlass, die Ausstellung um- oder abzuhängen“, sagte ein SPD-Fraktionssprecher am Sonntag. Die Kunstkommission des Landtages habe sich für diese Präsentation entschieden. Mit dem Umzug in die Mitte Potsdams sollte der Landtag auch stärker für die Gesellschaft wahrnehmbar werden und das Parlament sich mehr in ihr wiederfinden. „Wer einen lebendigen Landtag will, muss solche Diskurse aushalten“, sagte der Sprecher.

Weniger Meter entfernt vom Landtagsschloss am Alten Markt werden gerade Fundament und Grundmauern für das Palais Barberini gebaut. Dort entsteht auch das neue Kunstmuseum von Software-Milliardär und Mäzen Hasso Plattner, darin ausgestellt wird auch Plattner Sammlung ostdeutscher Kunst: Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig, Arno Rink, Willi Sitte und Werner Tübke. Auch die monumentale Bronzeplastik „Der Jahrhundertschritt“ von Wolfgang Mattheuer soll gezeigt werden. Die rechte Hand der Figur ist zum Hitlergruß gestreckt, die linke Hand zur Faust geballt – Kunst über deutsche Diktaturen gleich gegenüber vom neuen Landtag.

nbsp;Alexander Fröhlich

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false