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Der Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz ist wahrscheinlich auch nicht so, wie ihn sich Hatice Akyün wünscht.

© dpa

Alle Jahre wieder: Von den drei Weihnachts-Traumata

Eintritt für den Weihnachtsmarkt bezahlen - um dort rot gefärbten Alkohol zu trinken und Gedöns zu kaufen, das niemand braucht? Hatice Akyün wünscht sich das Weihnachten ihrer Kindheit zurück.

Weihnachten löst bei mir gleich drei Traumata aus. Als anatolisches Gastarbeiterkind musste ich jahrelang darauf verzichten, bis meine Geschwister und ich uns Weihnachten gegen unsere Eltern erkämpften. Wir wollten das auch haben, mit allem Drum und Dran. Und hier beginnt mein zweites Dilemma: Ich habe eine millimetergenaue Vorstellung davon, wie Weihnachten sich anfühlen muss. Aber das Schlimmste: Immer um Weihnachten herum bekomme ich höllisches Heimweh nach Duisburg, und ich möchte wieder Kind sein.

Fressbuden, Glühweinstände und Gedöns, das niemand wirklich braucht. Das ist mein erstes Fazit, das ich dieses Jahr von den Weihnachtsmärkten machen kann.

Selten hat mich das so vor den Kopf gestoßen wie dieses Mal. Liegt das an meiner hartnäckigen Erkältung? Oder doch am rot eingefärbten Glykolalkohol aus dem Kanister, den ich nicht als Glühwein einzuordnen vermag? Fehlen die Kollegen, mit denen man früher noch ein Heißgetränk mit Schuss genommen hat, um entspannt nach Hause zu schlendern? Oder will in dem Rummel einfach keine besinnliche Stimmung aufkommen?

Warum nur muss man für den Weihnachtsmarkt Eintritt zahlen?

Gut, der Weihnachtsmarkt am Schloss Charlottenburg nimmt einem mit der Schloss-Illumination kurz den Atem. Wirklich nett, aber für mich leider auch nichts, um mich in dauerhaft gute Laune zu versetzen. Bis heute erschließt sich mir nicht, warum man für den Weihnachtsmarkt auf dem Gendarmenmarkt Eintritt bezahlen muss. Es ist nur ein Euro, aber dafür kostet auch alles andere in der schicken Mitte das Doppelte. Was aber genau das sein soll, was auf der Wilmersdorfer Straße angeboten wird, bleibt mir ein Rätsel. Vielleicht liegt der tiefere Sinn darin, Holzbuden mittig auf die Straße zu stellen, damit die Leute in die Geschäfte ausweichen. Meine größte Hoffnung liegt auf dem Weihnachtsmarkt in der Domäne Dahlem. Aufwärmen im Herrenhaus bei Gänsekeule und Glühwein, und für die Kinder Basteln, Kerzenziehen und Baumschmuck aus Bienenwachs.

Was ist Weihnachten ohne richtigen Streit?

Mir kann es im Moment aber auch niemand recht machen. Und da kommt mir der Gedanke an zu Hause. Weihnachten war für meine Eltern eine Art vorgezogenes Silvester mit Baumdeko. Die deutschen Nachbarn sollten sehen, dass auch wir als Muslime Freude am Christenfest hatten, ohne es zu sehr verherrlichen zu müssen. Eine Gelegenheit, das Haus zu putzen, Unmengen Essen zu kochen. Sogar den obligatorischen Weihnachtsfamilienstreit hatten wir verinnerlicht. Alle offenen Rechnungen, unausgetragenen Konflikte und Missverständnisse kamen auf den Tisch.

Wahrscheinlich geht mir heute genau das gegen den Strich. Zu viel Konsens, zu viel Eintracht, zu viel Tun als ob. Ich glaube, ich muss diese Woche einigen Mitmenschen mal so richtig meine Meinung sagen. Wenn ich zum Jahresende meine inneren Zählerstände ausgenullt habe, dann fühlt sich Weihnachten bestimmt wieder wie etwas an, das einem Hoffnung nach vorne gibt. Oder wie mein Vater sagen würde: „Her bulutta yagmur olmaz.“ Nicht jede Wolke bringt Regen.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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