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Brandenburg: Weg von Scientology

Wird Aussteigern in Berlin genügend geholfen? Der Senat verweist auf bestehende Stellen

Berlin - Nach Berlins CDU und FDP kritisieren jetzt auch die Hauptstadt-Grünen das Hilfsangebot des Berliner Senats für ausstiegswillige Scientologen. „Es gibt dringenden Beratungsbedarf, das derzeitige Angebot ist aber nicht spezialisiert genug“, sagt Oliver Schruoffeneger, der religionspolitische Sprecher der Grünen. Vergangene Woche waren eine 14-Jährige und deren 25-jähriger Stiefbruder von Berlin nach Hamburg geflüchtet, um aus der umstrittenen Organisation auszusteigen. Anlässlich dieses Falls fordert Schruoffeneger ein verstärktes anonymes Beratungsangebot.

Stefan Liebich, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken, bestreitet Versäumnisse des Senats. „Wir haben genügend Anlaufstellen in den Bezirken und bei der Jugend- und Innenverwaltung und sind gut damit beraten, deren Angebot zu erweitern und publik zu machen. Es muss klar sein, wohin man sich im Problemfall wenden muss.“ Er bezweifelt die Notwendigkeit einer zusätzlichen Stelle wie der Hamburger „Arbeitsgruppe Scientology“, an die sich die Hilfesuchenden aus Berlin gewandt hatten. Liebich zeigt sich von diesem Vorfall unbeeindruckt. „Wir sind ein freies Land. Wenn sich jemand lieber in Hamburg beraten lassen will, dann soll er das machen.“

Die SPD spricht von einer Instrumentalisierung des aktuellen Falls. „Es ist skandalös, dass eine 14-Jährige benutzt wird, um eine Kampagne zu fahren“, sagt Thomas Kleineidam, der innenpolitische Sprecher der Fraktion. Die Berliner Verwaltung habe jahrelange Erfahrung im Umgang mit Sektenproblemen, sie brauche keine zusätzliche Stelle. Stattdessen müsse das vorhandene Lehr- und Infomaterial für Schulen überarbeitet werden.

„Eine Aufstockung der Angebote wäre dringend notwendig“, sagt dagegen Daniela Weber von der Berliner „Eltern- und Betroffenen-Initiative“. Die Selbsthilfegruppe beschäftigt sich seit 25 Jahren mit der Organisation. Seit Eröffnung der Scientology-Zentrale an der Otto-Suhr- Allee habe der Beratungsbedarf stark zugenommen. Jede Woche meldeten sich mehrere Betroffene. Thomas Gandow, Sektenbeauftragter der evangelischen Kirche, fordert die Einrichtung eines Aussteigerprogramms ähnlich wie für Rechtsextremisten. Die größten Schwierigkeiten für Aussteiger seien familiäre Verwicklungen, angehäufte Schulden sowie „die persönlichen Fallakten“: Scientologen würden Einzelbefragungen unterzogen, bei denen sie Privates preisgeben müssten. Dies bestätigt der Verfassungsschutz Baden-Württemberg. So gebe es „Checklisten“ mit Fragen nach Ehebruch, begangenen Straftaten oder „unfreundlichen Gedanken“ über den Scientology-Gründer L. Ron Hubbard. Auch Kinder müssten sich solchen „Sicherheitsüberprüfungen“ unterziehen. „Alle diese Informationen kommen in die Fallakte“, sagt Gandow. Später könne diese als Druckmittel verwendet werden. Scientology-Sprecherin Sabine Weber bestreitet dies. Informationen aus Befragungen würden zwar tatsächlich in den Fallakten vermerkt, allerdings nur, um den Betroffenen später helfen zu können.

In Extremfällen bräuchten Aussteiger einen Unterschlupf, auch hieran mangle es, sagt Gandow. Er selbst habe zwei Aussteiger acht Monate lang bei sich aufgenommen, weil sich sonst keine Stelle gefunden habe, bei der die Personen hätten untertauchen können. Der aktuelle Fall bedeutet nach Einschätzung von Gandow einen „Riesen-GAU“ für Scientology. Weil die Aussteigerin offenbar die Stieftochter der leitenden Direktorin der Berliner Zentrale sei, gerate nun auch diese intern unter Druck. Denn durch die Aktion der Tochter dürfte auch die Mutter als „Potential Trouble Source“ gelten – also als „potenzielle Problemquelle“. Scientology-Sprecherin Weber wollte sich „aus Respekt vor der Familie“ nicht zu dem Fall äußern. Sie erwarte aber, dass das Problem „auch zum Wohl des Mädchens gelöst“ werde. hey/sel

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