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Sport: 226 Kilometer harte Arbeit

Am Sonnabend startet Jens Lehmann zum vierten Mal beim Ironman auf Hawaii. Danach soll Schluss sein.

Am Sonnabend startet Jens Lehmann zum vierten Mal beim Ironman auf Hawaii. Danach soll Schluss sein. Der Mumuku kann zermürben. Wenn dieser Herbstwind gnadenlos über Hawaii tobt, wird die Strecke auf dem Queen Kaahumanu Highway zur Tortur. Jens Lehmann hat den Mumuku vor drei Jahren kennen gelernt. Nach den 3,8 Kilometern Schwimmen in der Kailua-Bay ging es für 180 Kilometer aufs Rad. Und der Wind gab sich maßlos wie selten zuvor. „Da habe ich mir dreimal überlegt, ob ich eine Hand vom Lenker nehme und zur Trinkflasche greife“, erinnert er sich. Doch Lehmann ließ sich nicht beirren. Kilometer um Kilometer arbeitete er sich über den Asphalt. Das Feld um ihn wurde dünner, irgendwann waren die Startnummern zweistellig. Wenn alles gut läuft, so wusste er, reicht es für eine der begehrten Top-100-Platzierungen. Am Ende, nach den 42 Laufkilometern und einer Zeit von 9 Stunden und 51 Minuten, war Jens Lehmann Fünfter in seiner Altersklasse, belegte insgesamt Platz 74 beim legendären Ironman auf Hawaii. Am Sonnabend wird der 27-Jährige Potsdamer wieder auf Hawaii die knapp 226 Kilometer in Angriff nehmen. Zum vierten Mal auf dieser Insel, zum elften Mal insgesamt in den vergangenen zehn Jahren. Der Start auf Hawaii soll sein vorläufiger Abschied von der Langdistanz sein. Und der Abschied von einer Saison, die ihm alles geboten hat, was Triathlon bieten kann. Vom Glück der Bestätigung bis hin zum Frust, wenn man an den eigenen Erwartungen scheitert. Eigentlich wollte Jens Lehmann schon 2003 seine Karriere in diesem besonderen Dreikampf beenden. Für 2004 stand das Examen auf dem Programm und damit der Weg in die Berufstätigkeit als Lehrer für Sport und Geschichte. Doch sein Bruder Thomas, der mit ihm schon 2001 in Roth über die Langdistanz startete, wollte es noch einmal wissen. Hinzu kam, dass die von ihm geleitete Triathlonsektion der Universität, das Certudo Racing Team, neue Mitglieder fand, die sich den 226 Kilometern stellen wollten. Anfänger, aber auch Hawaii-Aspiranten hatte er auf den entscheidenden Tag im Juli in Frankfurt vorzubereiten. Eine neue Erfahrung für ihn, der nun die vielen, oftmals einsamen Trainingskilometer nicht mehr allein abspulen musste. „Es war nicht immer leicht, vier unterschiedliche Typen zu betreuen.“ Doch bevor es in die Mainmetropole ging, kamen die üblichen Vorbereitungswettkämpfe. Beim Sachsenman in der verkürzten Version von 1 Kilometer Schwimmen, 100 Kilometern Rad und 10 Kilometern Laufen konnte Jens Lehmann seinen Erwartungen nicht gerecht werden. Nach 80 Kilometern musste er eine Ausreißergruppe auf dem Rad ziehen lassen. Ein Fahrradsturz wenige Tage vor dem Wettkampf steckte nicht nur in den Gliedern, sondern auch im Kopf. Gut drei Wochen danach die Generalprobe für Frankfurt. Beim 15. Spreewald-Triathlon in Briesensee, der gleichzeitig Landesmeisterschaft im Land Brandenburg war, ging Lehmann über die Mittelstrecke an den Start. „Es war ein Wettkampf wie im Rausch“, erzählt er rückblickend. Nach den 1,9 Schwimm-Kilometern, den 90 Rad- und anschließenden 21 Laufkilometern kam Jens Lehmann als Erster ins Ziel. Mit 3 Stunden und 58 Minuten blieb er unter den magischen vier Stunden. Die Zeichen standen günstig. „In Frankfurt ging ich ohne Druck an den Start. Die Hawaii-Qualifikation stand für mich nicht im Mittelpunkt.“ Frei von allzu großen Selbsterwartungen kam er nach 9 Stunden und 17 Minuten ins Ziel: Neue Bestzeit und die Qualifikation sicher in der Tasche. Auf dem 3-Runden-Laufkurs sah er die vier von ihm trainierten Teamkollegen wieder. Bruder Thomas lief mit 9 Stunden und 43 Minuten ein „perfektes Rennen“. Auch von den anderen wusste er zu diesem Zeitpunkt, dass sie früher oder später durchs Ziel laufen würden. Für ihn in seinem ersten Jahr als Trainer ein sehr gutes Gefühl. Als Trainer will er auch weiterhin aktiv bleiben. Einige kleine Wettkämpfe, längere Radtouren, das kommende Jahr wird ihm als Sportler einiges bieten können. Doch die totale Unterordnung über Monate hinweg unter einen rigiden Trainingsplan will er sich nicht mehr antun. Die zurückliegenden zehn Jahre, in denen er auch für das Zeppelin-Team über die Olympische Distanz am Start war, sind genug. Der Beruf des Lehrers und das umfangreiche Training lassen sich kaum miteinander verbinden. „Wer für einen Ironman trainiert, braucht eine Familie, die hinter einem steht.“ Lange genug haben die Eltern und die Freundin seinen Weg unterstützt. Doch sind es auch äußere Faktoren, die seinen Rückzug befördern. Mit Skepsis beobachtet er die Entwicklungen der vergangenen Jahre. Immer mehr wurde der Wettkampf zur Massenveranstaltung, trat der Sport hinter Vermarktung und Geld zurück. „Doch Triathlon und gerade die Ironman-Distanz haben nichts mit Breitensport zu tun“, betont Lehmann. Den Vorwurf des Elitedenkens weist er zurück. „Die 226 Kilometer sind ein hartes Stück Arbeit, das ist nun mal kein Spaziergang.“ Während des Wettkampfes reduziere sich alles auf das Wesentliche. Es sei ein Kampf gegen ein ganzes Rudel von inneren Schweinehunden, dazu immer zu früh der Kampf gegen die Kilometer und den Schmerzen in den Muskeln. Eine ständige Gradwanderung am körperlichen und mentalen Grenzbereich, die nur durch ein vernünftiges Training zu kontrollieren sei. Sollte am Sonnabend der Mumuku wieder wild toben, wird Jens Lehmann das alles früh genug zu spüren bekommen. Dirk Becker

Dirk Becker

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