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Zugestellt. Seit zweieinhalb Jahren fährt Gert Bujack sechsmal die Woche Zeitungen in Potsdam aus. Er ist einer der Zusteller der PNN in der Landeshauptstadt. Zwölf Kilometer fährt er dafür mit dem Rad jeden Morgen, 50 Kilogramm Zeitung bringt er zum Kunden  ob bei Schnee, Eis oder Regen. Sein Einsatzgebiet ist die Jägervorstadt und Alexandrowka, der 60-Jährige steckt auch die PNN für den Oberbürgermeister (re.). Um bei Eis überhaupt zu den Briefkästen laufen zu können, hat er Spikes unter den Schuhsohlen (li.).

© Manfred Thomas

Von Jan Brunzlow: 50 Kilogramm Zeitung auf dem Rad

Jeden Morgen liefert Gert Bujack die PNN in die Haushalte. Kaum einer kennt ihn oder seine Arbeit. Er kennt dagegen seine Kunden und manchmal auch deren Geschichte. Auf Tour mit dem 60-Jährigen

Das Stretching nach der Arbeit lockert die Muskeln. Es ist kurz vor sieben Uhr morgens, als Gert Bujack wieder zu Hause ankommt und sich ein wenig lockert, bevor er sich an den Frühstückstisch setzt. Aufwärmen und ausruhen ist angesagt. Vier Stunden war der 60-Jährige am gestrigen Wintermorgen unterwegs, als alle noch geschlafen haben. Knapp 300 Zeitungen hat er dabei in die Briefkästen einiger Zeitungsleser in der Nauener Vorstadt und Jägervorstadt gesteckt. Gesehen hat ihn keiner, in kaum einer der Häuser brannte Licht. Erst am Morgen wissen die Leute, dass Bujack wieder unterwegs gewesen ist. Wie jeden Morgen, egal ob es regnet, schneit oder Glatteis die Wege die beschwerlich macht. Seit zweieinhalb Jahren fährt der Ein-Meter-Neunzig-Hüne mit seinem blauen Dienstfahrrad jeden Morgen durch die Vorstädte, damit PNN und Der Tagesspiegel sowie einige Springer-Produkte pünktlich bei Abonnenten im Kasten liegen.

Es ist 2.45 Uhr und das Thermometer zeigt minus 5,8 Grad Celsius an, als Bujack am Donnerstag mit seiner Arbeit beginnt. Zwölf Kilometer Fahrradstrecke liegen vor ihm, 50 Kilo Zeitungen fährt er für den BZV, die Berliner Zustell- und Vertriebsgesellschaft für Druckerzeugnisse mbh, aus. Und es ist wie jeden Morgen in den vergangenen Wochen: Schnee, Eis, Unwägbarkeiten. „Das Wetterradar zeigt Niederschlag, ab sechs Uhr werden wir Probleme bekommen“, sagt er. Jeden Morgen, kurz nach dem Aufstehen, schaut er sich im Internet die Niederschlagsechos sowie aktuelle Temperaturen an und wählt danach seine Kleidung aus. Fäustlinge, eine dicke Jacke, deren Kapuze tief ins Gesicht gezogen ist, und Spikes an den Schuhen sind an diesem Morgen die Auswahl. Es ist ein harter Job im Winter und schlecht bezahlt. Sein Geld erhält er pro ausgetragener Zeitung, egal wie viele Stunden es dauert. An diesem Morgen werden es wegen der winterlichen Bedingungen fast vier Stunden sein. Die längste Tour, sagt er, seien einmal vier Stunden und 45 Minuten gewesen. Es war am Montag vor drei Wochen, als ein Schneesturm durch Potsdam fegte. Umso mehr freut er sich, dass einige der Abonnenten – obwohl sie ihn nicht persönlich kennen – zu Weihnachten einen Umschlag an die Briefkästen gehängt haben. „Dafür möchte ich mich bedanken“, sagt er. „Können Sie das in ihrem Artikel schreiben?“

Die Nägel an den Stiefeln schnallt er bei diesem Wetter immer um. Das Eis ist tückisch, zu viele Unfälle passieren in den Morgenstunden. Viele Zeitungszusteller sind deswegen ausgefallen, weil zu ihrer Arbeitszeit noch kein Weg gestreut ist. Knochenbrüche sind die Folge, andere Zusteller müssen die Touren dieser Mitarbeiter übernehmen, häufig kam die Zeitung daher in den letzten Wochen zu spät oder überhaupt nicht. Bujack sagt, er sei noch nicht krank gewesen, obwohl er schon häufig hingefallen sei. Viermal allein an einem Morgen, erzählt er. Es sei ein Januartag im letzten Winter gewesen. Blitzeis, so wie für den gestrigen Tag vorausgesagt.

Bujack muss sich konzentrieren. Zeitungen zählen. Damit er genug mit auf die Tour nimmt und nicht nochmal fahren muss. Fehler verlängern die Arbeitszeit und verärgern die Abonnenten. Er verstaut die Blätter in seinen Fahrradtaschen am Lenker und auf dem Gepäckträger und los geht es. Bujack fährt forsch, trotz des Eises. Der Rhythmus steht: Beschleunigen, bremsen, Zeitung stecken. Beschleunigen, bremsen, Zeitung stecken. Dann ein paar Meter laufen, weil mit dem Fahrrad der Wechsel der Straßenseiten bei dieser Witterung problematisch ist. Der Zusteller kennt die Namen seiner Kunden. Auf die Liste muss er nur schauen, wenn eine Zeitung neu dazukommt oder abbestellt ist. Und zu einigen Lesern weiß er auch eine Geschichte zu erzählen. Wer sie sind, was sie machen. Er liest Zeitung, in seinem Arbeitsbereich leben viele Promis oder in Potsdam bekannte Menschen. Und so, wie er seine Kunden kennt, kennt er auch deren Briefkästen und Eigenarten. Kleine oder große Schlitze, Farbe Wahrscheinlich könnte Bujack bei „Wetten, dass“ mit Thomas Gottschalk auftreten und einen Briefkasten am Schließton der Klappe erkennen.

Der Zeitungszusteller Gert Bujack erfüllt so gar kein Klischee. Er hat 1969 sein Abitur abgelegt, Volkswirtschaft sowie später Pädagogik und Mathematik auf Lehramt studiert, spricht verschiedene Sprachen, liebt Musik, spielt selbst ein Instrument und interessiert sich für Kunst. Warum er Zeitung austrägt? „Geld ist zweitrangig, andere Dinge machen das Leben aus“, sagt er. Was nicht heißen soll, dass er für diesen Job nicht gerne mehr bezahlt bekäme. Aber er setze andere Prioritäten im Leben. Es sei bescheiden, brauche nicht viel, sagt er über sich. Die neuesten Lautsprecher oder die modernsten Handys machen ihn nicht glücklicher. Und er bezweifelt, dass das bei anderen funktioniert. Jahrelang hatte er einen Laden in der Uhlandstraße in Berlin, hat Bilder verkauft und Rahmen selbst hergestellt. Vor fünf Jahren hat er aufgegeben, nach mehr als 20 Jahren. Die Zeit des Rahmen-Handwerks sei mit den großen Baumärkten vorbei gewesen, meint er. Obwohl der Laden neben dem Design-Kaufhaus „Stilwerk“ war, hat es sich am Ende nicht mehr gelohnt. Den Schritt von Berlin-Spandau vor fünf Jahren nach Potsdam hat er nicht bereut. Dass er künftig wieder etwas anderes macht, kann er sich gut vorstellen. Er habe wieder angefangen Schlagzeug zu spielen. „Musik trainiert das Gehirn“, sagt er. Musik sauge er ein, sei sie von Pianist Omar Sosa aus Kuba oder der Jazzer Herbie Hancock.

Es ist 6.42 Uhr, die letzte PNN in der Hessestraße ist gesteckt. Die Taschen sind leer, keiner wurde vergessen. Ein guter Morgen. Und auch um den Eisregen ist er herumgekommen – der kam später als vorhergesagt.

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