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Landeshauptstadt: Alles wird gut

Kassandra-Rufe im Sterncenter: Eine Wahrsagerin sieht in den Karten die Zukunft. Demnach fällt hier und da ein Urlaub ins Wasser

Ein Sternenzelt im Sterncenter. Über dem Eingang steht „Madame Dubina“. Aber es ist „Madame Kassandra“, die in ihrem blauen Refugium zwischen „Super Cut“ links und „Tom Tailer“ rechts den Leuten in die Zukunft schaut. „Madame Kassandra“ ist die Tochter von „Madame Dubina“. Die schaut gerade in Neubrandenburg in die Glaskugel, während „Madame Kassandra“ in Potsdams größtem Einkaufscenter Skatkarten mit der Aufschrift „Boomtown Casino“ bevorzugt.

Eine ältere Dame tritt aus dem Zelt und muss sich erst einmal sammeln. „Alles, was sie gesagt hat, stimmt“, versichert sie. Dass ihr Mann gestorben ist, dass sie sich jetzt sehr allein fühlt, dass sie ein Mensch ist, der sich ohnehin viele Gedanken macht. Sie ist aufgewühlt, „sie hat gesehen, wie es in meinem Innersten ist.“ Centerkunden gehen vorbei und winken ab. Die Rentnerin aber ist froh, sie hat einen Satz gehört, der ihr wohl seit langem zusteht: Sie sei ein Mensch, der schon immer alles für andere getan und erst zuletzt an sich gedacht habe.

Die Zukunft bei „Madame Kassandra“ ist dieser Tage kostenlos, „aber das Sterncenter hätte sie wohl nicht engagiert, wenn es Humbug wäre“, vermutet die Dame. Sie ist zufrieden, „auch wie sie es macht, fand ich gut“.

Eine andere ebenfalls ältere Dame ist an der Reihe. Sie ist sehr abergläubisch, wie sie erklärt. Eine alte Volksweisheit besage, dass alles, was man zwischen Neujahr und dem 6. Januar träumt, in Erfüllung geht. Deshalb fürchte sie sich dieser Tage vor Alpträumen. Nachdem sie ihre Zukunft gesehen hat, will sie kein Wort verraten. Wie ein Schatz trägt sie sie nach Hause. Sie wirkt heiter. Eine junge Frau eilt ins Zelt. „Warum?“ hört sie noch und sagt schnell „weil momentan alles ein bisschen schief läuft“.

Die Seance dauert eine halbe Stunde pro Client. Ein Mann mittleren Alters wartet in verschmutzten Arbeitsklamotten darauf, dass sich das blaue Zelt für ihn öffnet. Von der Zukunft erwartet er nicht, was allgemein so von ihr erwartet wird. „Geldprobleme hatte ich noch nie“, sagt er, deshalb spiele er kein Lotto und daher müsse ihm Kassandra auch kein Lottogewinn weissagen. Glück in der Liebe? Auch nicht nötig. „Mit Frauen hatte ich schon immer viel Glück.“

Ihr Urlaub fällt ins Wasser. Die junge Frau, bei der momentan alles schief läuft, hat Kassandras Zukunft hinter sich. Sie wollte im Sommer in die Sonne fliegen, aber die Wahrsagerin las aus den Karten, dass das nichts wird. Dafür bleibt sie gesund. „Da steht nichts Ernsthaftes an.“ Dass mit ihrem Privatleben, dass werde „sich einrenken“. Sie müsse aber „darum kämpfen“. So stehe es in den Karten. Ihre Schwester habe sich weissagen lassen und alles sei in Erfüllung gegangen. Schon vor Tagen habe sie daran gedacht, sich ebenfalls in dieser Weise Rat zu holen. Dass sie nun beim Einkaufsbummel plötzlich vor dem blauen Zelt landete, sei schon irgendwie „ein Zeichen“. An irgendetwas, sagt sie verschmitzt, „muss man ja glauben“, auch wenn es nicht wissenschaftlich abgesichert ist. Sonnencreme und „einen schicken Bikini“ kaufe sie sich trotzdem, das brauche man ja mittlerweile auch in Deutschland – falls das mit dem Urlaub im Süden tatsächlich nichts werden sollte.

Der Arbeiter ohne Geldsorgen und dem Glück bei den Frauen tritt mit Tränen in den Augen aus dem Zelt. Kassandra habe erkannt, dass er reingelegt worden ist, „und zwar, weil ich ein gutgläubiger Mensch bin, mit dem könne man das ja machen“. Er habe einen Widersacher und der „muss weg“, verkündeten die Karten. Aber nicht mit Gewalt, sondern juristisch. Tatsächlich habe er längst einen Anwalt in der Sache, von der er nichts Näheres sagen wolle, die aber gut ausgehen werde. Das weiß er nun: „Die hat echt keinen Müll erzählt.“

Der Moment der Wahrheit ist gekommen, die Karten liegen auf dem Tisch, Selbstversuch oder „Ich-Reportage“ heißt die Methode im Journalismus. „Sie haben Streit“ sagt Kassandra sofort, was keine schlechte Nachricht ist für jemanden, dessen Motto es ist, nur keinen Streit zu vermeiden. Außerdem wurde „eine Todessache“ nicht verarbeitet – tatsächlich ist die Geschichte mit dem „Jäger“ noch ungesühnt. Der hatte vor Jahrzehnten die geliebte Katze erschossen, weil sie angeblich herumstreunte. Der Sauhund! Mit dem kleineren Urlaub zwischen März und Juni wird es nichts, sagt Kassandra nun und weckt Erinnerung an die junge Frau, die sich trotzdem Sonnencreme kaufen will. Dafür sieht die Wahrsagerin „eine große Reise am Ende des Jahres, die Sie glücklich machen wird“. Und wirklich: Der Urlaubsplan der Redaktion ist für den Herbst noch völlig ohne Eintrag. Wer macht auch schon im November Urlaub? Na, wer in den warmen Süden will! Schau''n wir mal.

„Wahrsagen“ mit „Madame Kassandra“ im Sterncenter noch bis Sonnabend, 7. Januar, täglich von 9 bis 20 Uhr.

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