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"Die größten Feinde der Erinnerung sind die Verdrängung und die Lüge", sagte Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD).

© J. Bergmann

Holocaust-Gedenken in Potsdam: „Auschwitz macht mich fassungslos“

Die Stadt Potsdam gedenkt in der Lindenstraße 54 der Opfer des Holocaust. Oberbürgermeister Jann Jakobs warnt vor Folgen von Fremdenhass.

Von Peer Straube

Potsdam - Die nachdenklichste Geschichte erzählt Uta-Ulrike Gerlant. Sie habe eine Bekannte, die seit vielen Jahren mit dem Tagebuch ihres verstorbenen Großvaters auf Spurensuche geht, sagt die Leiterin der Gedenkstätte Lindenstraße. Der Mann war zwischen 1939 und 1945 Arzt in einer ostdeutschen Kleinstadt. Was er damals genau gemacht hat, darüber gibt das Buch keinen Aufschluss. „War er verstrickt, war er Täter oder gar Mörder?“, fragt Gerlant. Ihre Bekannte wisse es nicht „und auch nicht, ob sie es wirklich wissen will“. 

Schwieriger Umgang mit dem grausigen NS-Erbe

Die Geschichte zeigt, wie schwierig der Umgang mit dem grausigen Erbe des Nationalsozialismus für viele Menschen auch heute noch ist. Gerlant hat sie am Freitag beim offiziellen Holocaust-Gedenken der Stadt in der Gedenkstätte Lindenstraße 54 erzählt, zu der rund 60 Menschen gekommen waren. „Die Taten der Täter haben Folgen für uns bis heute“, mahnte Gerlant. Man dürfe nie aufhören, nach den Opfern zu fragen. 

Gerlant erinnerte an die mehr als 3300 Menschen, die in dem Haus in der Lindenstraße zwischen 1935 und 1939 zur Zwangssterilisation verurteilt wurden. In dieser Zeit diente das Gebäude den Nazis als sogenanntes Erbgesundheitsgericht. Nach 1939 seien Menschen mit „tatsächlichen oder angeblichen Erbkrankheiten“, mit psychischen Erkrankungen, mit Behinderungen dann systematisch bei Menschenversuchen in zu Tötungsanstalten umfunktionierten Kliniken gequält, gefoltert und schließlich ermordet worden, sagte die Gedenkstätten-Leiterin.

Bilder von Tod und Zerstörung ins kollektive Gedächtnis eingegraben

Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) erinnerte in seiner Rede an die Millionen Opfer der Nazidiktatur. Allein im Vernichtungslager Auschwitz seien mehr als eine Million Menschen gestorben. Am Tag der Befreiung des Vernichtungslagers, dem 27. Januar 1945, wird seit 1996 auf Anregung des kürzlich verstorbenen damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog (CDU) der Opfer des Holocaust gedacht. „Auschwitz macht mich fassungslos und sprachlos“, sagte Jakobs. Die Bilder von Tod und Zerstörung hätten sich tief ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingegraben.

Angesichts der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit und des Erstarkens des Nationalismus sei die Erinnerung an die daraus resultierenden Folgen besonders wichtig. „Die größten Feinde der Erinnerung sind die Verdrängung und die Lüge“, sagte Jakobs. 

Bei der Veranstaltung, die von der Stadt gemeinsam mit der Fördergemeinschaft und der Gedenkstättenstiftung Lindenstraße organisiert wurde, legten Vertreter aller großen Stadtfraktionen Kränze nieder. Auch am Willi-Frohwein-Platz und am Portal der Nagelkreuzkapelle wurde gestern der Holocaust-Opfer gedacht. Zu letzterer Veranstaltung hatten Nagelkreuz-Pfarrerin Cornelia Radeke-Engst, Nikolai-Pfarrer Matthias Mieke und die jüdischen Gemeinden der Stadt eingeladen.

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Bei der Gedenkfeier des Landes Brandenburgs für die Opfer des Nationalsozialismus warnt Landtagsvizepräsident Dieter Dombrowski vor Unwahrheiten, die durch Rechtsextremisten verbreitet werden. Man dürfe nicht zulassen, dass NS-Verbrechen verharmlost werden.

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