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Landeshauptstadt: „Da ist so ein großer Eifer“

Ein Gespräch mit Andrea Palent über das Erfolgsmodell Musikfestspiele und fehlende Profilschärfe

Frau Palent, Ihnen muss es gut gehen, denn der Kartenvorverkauf für die Musikfestspiele im Juni läuft sehr gut?

In den ersten zwei Wochen wurde die Hälfte der Karten verkauft, jetzt, nach drei Wochen sind wir bei 65 Prozent. Mir geht es also wirklich ganz gut.

Die Oper „King Arthur“ ist sogar schon ausverkauft.

Bei „King Arthur“ haben wir nur drei Vorstellungen. Aber auch andere Veranstaltungen sind schon ausverkauft, bei vielen Konzerten gibt es wiederum noch Karten.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Das hat mich schon überrascht. Ich kann Ihnen aber nicht wirklich eine Antwort geben, woran es liegt. Auch in den letzten Jahren lief der Verkauf in den ersten Wochen immer gut. In diesem Jahr ist da so ein großer Eifer. Die einen sagen, das kommt, weil wir von Jahr zu Jahr immer europäischer werden. Ich glaube, es liegt aber am Thema der diesjährigen Festspiele „Musica Britannica“.

Ein so guter Vorverkauf, obwohl der Kartenpreis gestiegen ist?

Nicht wirklich, nur bei einzelnen Veranstaltungen. Wir haben beispielsweise das Eröffnungskonzert um zehn Euro angehoben, weil Händels „Messiah“ mit dem renommierten britischen Ensemble The Sixteen unter Harry Christophers zur Aufführung kommt. Die Konzertpreise in den Schlössern sind alle gleich geblieben. Bis auf das Konzert mit Steven Isserlis, aber die Tatsache, dass dieses Konzert schon nach einer Woche ausverkauft war, bestätigt die Entscheidung.

Mit „Jazz in the Garden“ haben Sie ein neues Openairkonzert im Neuen Garten geplant.

Das ist für mich persönlich eine große Überraschung, denn diese Veranstaltung scheint wirklich den Nerv unserer Besucher in besonderer Weise anzusprechen. Die Idee habe ich im vergangenen Sommer aus England mitgebracht. Wir haben schon knapp 1000 Karten verkauft. Das ist für ein neues Openairprojekt doch erstaunlich.

Mit „Venedig“ steht das Thema für die Musikfestspiele 2008 schon fest. Wie weit sind Sie mit den Planungen?

Wir sind gerade mittendrin in den Planungen. Wir wollen Venedig machen, weil es ja auch eine Beziehung zwischen Potsdam und Venedig gibt. Das Wasser, die Schlösser, die Villenstruktur und es gab im 18. Jahrhundert sehr viele venezianische Künstler, die hier tätig waren. Unser Ziel ist es, dass wir im nächsten Jahr zeitiger mit dem Festspielprogramm an die Öffentlichkeit gehen können.

Für Sie steht also mehr die Planung als das aktuelle Programm im Mittelpunkt Ihrer Arbeit?

Ich lebe ja in Potsdam und werde auch beim Einkaufen immer wieder von unseren Gästen gefragt, was heute oder morgen im Nikolaisaal läuft. Oft weiß ich das nicht im Detail. Denn ich bearbeite zusammen mit meinen Kollegen ja schon das Programm für die kommenden zwei Jahre. Jetzt sind wir neben den Musikfestspielplanungen 2008 ganz in der Hochphase für die nächste Konzertsaison im Nikolaisaal und dann laufen schon die konzeptionellen Vorbereitungen für die Musikfestspiele 2009.

Sie haben erst vor kurzem die Verhandlungen für die mehrjährigen Verträge für die städtische Finanzierung der Musikfestspiele Sanssouci und Nikolaisaal Potsdam gGmbH abgeschlossen.

Wie Sie schon berichtet haben, soll nicht nur unser Einnahme deutlich erhöht, sondern auch unsere Rücklagen eingeschmolzen werden, die wir als Sicherheit für den Ausfall von Openairkonzerten zurückgelegt hatten. Es ist ein großes Risiko für uns und die Stadt. Wenn jetzt so eine Veranstaltung wegen Regen ausfällt, ist das gleich eine Angelegenheit der obersten Spitze der Stadt. Das sind Riesenkosten, die an den Openairveranstaltungen im Park Sanssouci hängen und es gibt auch keine Ausweichspielstätten in der Stadt für 2000 bis 3000 Gäste. Dieses Risiko wird jetzt von der Stadt getragen.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie?

Wir sind mit mir 14, die alle gleichermaßen für den Nikolaisaal und die Musikfestspiele arbeiten. Das ist das Ergebnis unserer neuesten Umstrukturierung, denn wir können die beiden Bereiche einfach nicht mehr trennen. Allein im Jahr 2006 hat das Team 330 Veranstaltungen im Nikolaisaal und bei den Musikfestspielen begleitet. Und diese teilen Sie mal durch 14, dann wissen Sie, was hier jeder an Konzerten realisieren muss.

Wie hat sich die Anzahl der Veranstaltungen seit Eröffnung des Nikolaisaals im August 2000 verändert?

Die hat sich erweitert. Am Anfang waren es 178, jetzt sind es 215 nur im Nikolaisaal. Mit den Festspielen 330. Das ist schon beachtlich. Nur die Mitarbeiter haben sich nicht verdoppelt. Und diese Anzahl ist nur möglich, weil wir in unserem Team eine so große Effizienz gefunden haben. Aber wir sind mittlerweile an der Grenze des Möglichen angekommen.

Das heißt?

Die Monate November bis Ende Januar sind arbeitstechnisch einfach der Wahnsinn. Wir haben fast täglich Konzerte im Nikolaisaal und dazu kommt noch die Vorbereitungsphase für die Musikfestspiele. Die Arbeit besteht ja nicht nur in der Organisation der Konzerte. Hotels müssen gebucht, die Künstler vor Ort betreut werden, und und und...

Die Musikfestspiele Sanssouci und Nikolaisaal Potsdam gGmbH ist eine städtische Einrichtung. Ist die ständig wachsende Zahl der Veranstaltungen eine Auflage seitens der Stadt?

Nein, das hat sich einfach ergeben. Wir haben im Jahr 2000 schon in unserem Konzept ein Drittel mehr Veranstaltungen festgeschrieben, als üblich waren. In der Zwischenzeit sind zwar nicht unsere Eigenveranstaltungen aber dafür die Fremdvermietungen gestiegen.

Laufen Sie nicht Gefahr, durch die vielen Fremdvermietungen das Profil als Konzerthaus zu verlieren?

Da müssen wir jetzt sehr aufpassen, dass wir die programmatische Gradwanderung zwischen Konzertsaal und Veranstaltungsort für alle Musikgenres gut bewältigt bekommen. Wir wollen und müssen unsere Subventionen gezielt unter dem selbstgesetzten Motto „Intelligente Unterhaltung für alle Generationen“ insbesondere für anspruchsvoll-innovative Produktionen einsetzen. Die Unterhaltungssegmente liefern ja oftmals die Einmietungen. Wichtig ist uns, dass wir auch Eigenproduktionen realisieren. Bei den Musikfestspielen sind das vor allem die Opernproduktionen und die Openairkonzerte. Im Nikolaisaal entstehen neue Konzertproduktionen mit dem Ziel der Verjüngung unseres Publikums unter anderem in der Reihe Potsdamer Crossoverkonzerte. Ohne Steuergelder ist das nicht möglich.

Trotzdem gab es den Vorwurf, dem Nikolaisaal fehle eine gewisse Profilschärfe.

Ja, die großen Klassikfans befürchteten das. Letztendlich war das aber ein Problem der Außendarstellung. Wir hatten in manchen Monaten einen großen Teil von Populärveranstaltungen im Programm und weniger klassische Konzerte. Tatsächlich ist aber auch die Zahl der Klassikkonzerte insgesamt gewachsen. Doch wird die Wahrnehmung durch die Vielzahl der Fremdvermietungen verwischt. Wir diskutieren darüber gerade intern.

Viele Konzerthäuser haben das Problem der Überalterung des Publikums. Wie stellt sich der Altersdurchschnitt Ihrer Gäste dar?

Wir haben relativ zeitig damit angefangen, mit unterschiedlichen Angeboten gegen eine Überalterung anzusteuern. Derzeit haben wir ein Durchschnittsalter von 45 Jahren. Wir wollen gleichermaßen die Generation 5 plus erreichen wie die 70 plus. Diesem Spagat stellen wir uns tagtäglich. Wir haben mit unserem frei wählbaren Abo ein komplett anderes, dafür sehr flexibles Abosystem als andere Konzerthäuser und sind damit mittlerweile beispielgebend für viele andere deutschlandweit.

Wie viel Gäste nutzen diese Abonnements?

Knapp 1000. Und das nutzen jetzt auch immer häufiger junge Leute, die sonst nur zu „The voice in concert“ oder zu den Crossoverkonzerten gekommen sind und durch das Abonnement einen Querschnitt durch unser Angebot auch im sinfonischen Bereich frei wählen. Gerade bei Buchbinders Beethovenzyklus vor einigen Tagen zeigte sich diese erfreuliche Tendenz.

Es gab die Befürchtungen, mit dem neuen Kulturstandort Schiffbauergasse würde einen Publikumsschwund in Potsdams Mitte eintreten. Mussten Sie derartig Erfahrungen machen?

Im Gegenteil, wir haben mehr Besucher in diesem Jahr. Es entstehen gegenseitige Synergieeffekte. Das Theater macht Theater und wir machen Musik.

Wie wichtig sind Kooperationen für Ihre Arbeit?

Im Grunde basiert unser gesamtes Programm auf Kooperationen. Wir haben die Kammerakademie und das Filmorchester Babelsberg als enge Kooperationspartner, daneben das Staatsorchester Frankfurt/Oder und die Brandenburger Symphoniker. Mit allen Orchestern arbeiten wir immer wieder gern zusammen.

Wie sieht Ihre Arbeit neben dem Konzert- und Veranstaltungsbetrieb aus?

Wir wollen den Nikolaisaal als Probenstätte von knapp 500 Musikliebhabern aller Generationen, die hier tagtäglich proben, mehr nach Außen kommunizieren. Die Ensemble der Singakademie, der Musikschule oder der Potsdamer Männerchor – sie sind hier alle sehr glücklich und arbeiten intensiv und fleißig. Begonnen haben wir am Anfang dieser Saison ja überaus erfolgreich schon mit dem Familientag, wo sich neben der Kammerakademie auch die Kinderensembles präsentieren konnten. Auch gibt es immer mehr Bedarf nach Räumen. Darum bewerben wir uns auch selbstbewusst um die Eigenbespielung der Ticketgalerie. Es ist doch schade, wenn so ein Fenster zur Öffentlichkeit zum Teil leer steht.

Welche Ideen haben Sie für die Ticketgalerie?

Wir sitzen gerade mit der Kammerakademie an einem Konzept. So könnten beispielsweise Musiker der Kammerakademie sich mit ihrer Schülerschaft präsentieren. Oder eine Hörlounge den Ticketkauf erleichtern. Oder wir haben die missliche Situation, dass der Jugendkammerchor der Singeakademie oft wegen Mangel an Probenräumen im Büro proben muss. Alles natürlich in Verbindung mit der Bildenden Kunst. Warum soll es uns nicht gelingen, Räume, die wir auch mitfinanzieren, selbst erfolgreich zu bespielen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

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