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Sport: Das geht los, geht nach vorne los

Gehen bildet einst wie heute das Rückgrat der Potsdamer Leichtathletik - eine Erfolgsgeschichte

Gehen bildet einst wie heute das Rückgrat der Potsdamer Leichtathletik - eine Erfolgsgeschichte Von Hans Groschupp Es war vor 20 Jahren bei den ersten Weltmeisterschaften der Leichtathleten in Helsinki. Im Wettbewerb der Geher über 50 Kilometer holte ein gertenschlanker junger Athlet im blauen Adidastrikot der DDR-Nationalmanschaft die führenden Mexikaner ein und ging ihnen davon. Ronald Weigel vom ASK wurde der erste Potsdamer Weltmeister in der Leichtathletik. Wieder ein Geher also. Schon elf Jahre zuvor hatte ein Geher in München die erste olympische Goldmedaille für Potsdams Leichtathleten errungen, Peter Frenkel. Was beide verbindet? Sie hatten den gleichen Trainer, Hans-Joachim Pathus. Aber das Kapitel Gehen in Potsdam fängt noch früher. Ende der 50er Jahre baut der ASK im Luftschiffhafen eine Trainingsgruppe Gehen auf. Trainer wird der ehemalige 400- Meter-Hürdenläufer Wilhelm Kustak. Aus Genthin holt er sich Gerd „Adi“ Adolph, aus Erfurt Dieter Neumüller, aus Oberhof Achim Pathus. Der kleine Pathus hatte es mal eben bei den Skilangläufern probiert. Eigentlich stammt er aus Senftenberg. Wenig später kommt ein zu kräftig gewordener Mittelstreckler aus Naumburg hinzu, Peter Frenkel. „Adi“, der später mit seiner Kindersendung „Mach mit, mach’s nach, mach’s besser“ berühmt wurde und „Kampfhahn Pathus“ – so nannte eine dänische Zeitung den kleinen ASK-Geher ob seiner hohen Igelfrisur – erreichten als erste die DDR-Spitze. Schon 1959 wurde Pathus in Leipzig DDR- Meister über die 20 Kilometer. Bei Peter Frenkel geht es in kleinen Schritten voran. Als erster erreicht Pathus die Weltspitze. In den Jahren 1965 und ’66 ist er jeweils Jahresweltbester über 20 Kilometer. Eine Qualifikation für internationale Meisterschaften gelingt ihm aber nicht. Ab 1968 wechselt er ins Trainerfach und übernimmt die 20-km-Geher. Peter Frenkel ist 1970 schon 30 Jahre alt. Er stellt bei den DDR-Meisterschaften einen neuen Weltrekord im 20 000 Meter Bahngehen auf. Trainer Pathus will mehr. Frenkel auch. Der Schüler nennt seinen Trainer gelegentlich Schinderhannes. Aber die Saat geht 1972 in München auf. Peter Frenkel bezwingt alle Konkurrenten und wird Olympiasieger. Zwei Jahre später kommt ein junger Bursche aus Hildburghausen in das Pathusteam, Ronald Weigel. Er ist 16 Jahre alt und für die Spiele von Montreal noch zu jung. Peter Frenkel erscheint dagegen vielen als zu alt. Aber der 36-Jährige ist in der Form seines Lebens und will noch einmal Gold. Fast hätte es geklappt. Er versucht unterwegs den Mexikanern, den inzwischen führenden Gehern in der Welt, wegzugehen. Daniel Baudista und Dynamo-Kollege Hans Georg Reimann bleiben dran und überspurten Frenkel bei dessen dritten Olympischen Spielen. Ronald Weigel wird derweil in Donezk Vize-Junioreneuropameister. In diesem Jahr 1977 erobert die DDR bei den Männern die Poleposition. Der Weltpokal wird in Düsseldorf eindeutig vor den USA gewonnen. Kugelstoßer Udo Beyer und Mittelstreckler Jürgen Straub hatten Anteil am Erfolg. In den Folgejahren wird es um die Geher des Verbandstrainers Pathus ruhiger, obschon mit Ralf Meisel und Andre Rubarth, junge Männer nach vorne drängen. Ronny Weigel ist 1982 der beste Geher über 50 Kilometer in der Welt. Ausgerechnet zu den Europameisterschaften in Prag wird er krank. Ein Jahr später bei den ersten Weltmeisterschaften ist er auch schon 25 Jahre alt. Niemand vermag ihm zu folgen – Achim Pathus kann seinen ersten Weltmeister umarmen. Im Olympiajahr 1984 ist Ronny noch besser in Form. Aber der Olympiaboykott des Ostblocks verhindert eine Demonstration der Vormachtstellung der DDR in der Leichtathletik. Ein gutes Jahr später im australischen Canburra wird diese mit dem Sieg im Weltpokal nachgeholt. Weigel beginnt ein Journalistik-Studium, Verbandstrainer Pathus schreibt an seiner Dissertation. Thema Höhentraining. Bei den Europameisterschaften 1986 in Stuttgart wird Weigel über 50 Kilometer disqualifiziert. Es siegt sein Freund und Dauerrivale Hartwig Gauder aus Erfurt. Wie auch bei den zweiten Weltmeisterschaften 1987 in Rom. Weigel kann seinen Titel nicht verteidigen und wird hinter Hartwig Gauder „nur“ Zweiter. Im Olympiajahr wird der Potsdamer 30 Jahre alt. Das ist kein Geheralter, um sich zur Ruhe zu setzen. Er weiß, dass er noch härter trainieren muss, um den Hartwig schlagen zu können. Achim Pathus lässt daher eine spezielle Weste mit kleinen Gewichten anfertigen, mit der sich Ronny nun 30 Kilometer durch den Wildpark quälen muss. Wie hatte doch Frenkel gemeint? Schinderhannes? Am 23. September 1988 wird in Seoul der Olympische Wettbewerb über 20 Kilometer gestartet. Mit Ronald Weigel. Nun will er mit einem Doppelstart nach den Sternen greifen. Er schlägt die Favoriten wie den Italiener Damilano, den Spanier Marin oder den Sowetrussen Schtschennikow deutlich. Nur Josef Pribilinec aus der CSSR kann er um drei Sekunden nicht halten. Silbermedaille, bravo. Eine Woche später wird der Wettbewerb über 50 Kilometer gestartet. Es wird der schnellste der olympischen Geschichte. Hartwig Gauder geht Bestzeit. Fast eine Minute schneller geht Mannschaftkamerad Weigel. Und trotzdem reicht es wieder nicht. Iwanenko aus der damaligen UdSSR ist noch einmal 25 Sekunden schneller. Zweimal Silber also, bravissimo. Bei den Europameisterschaften in Split treten ein letztes Mal zwei deutsche Mannschaften auf. Ronald Weigel und Hartwig Gauder sind noch einmal dabei. Ronny wird Neunter, der 36-jährige Hartwig Gauder holt noch einmal Bronze. Der Neuruppiner Bernd Gummelt aus dem Pathusteam kommt gar vor Hartwig ein und holt Silber. Wie haben Sie das wieder gemacht Dr. Pathus? Von nun an ist nicht mehr so, wie es einmal war. Die beiden deutschen Leichtathletikverbände vereinen sich. Im Präsidium des DLV gibt es nicht einen Vertreter aus den neuen Bundesländern. Aber Dr. Pathus wird neuer Bundestrainer für das Gehen. 1991 gewinnt Hartwig Gauder bei den Weltmeisterschaften wieder eine Bronzemedaille. Und Ronny? Holt sich eben diese bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona. Danach wird es still um die deutschen Geher. Weigel und Gauder treten ab und hinterlassen eine Lücke. Der studierte Journalist Weigel erhält 1997 das Angebot die australischen Geher zu trainieren. Es gibt Neider, die Weigels fachliche Kompetenz in Frage stellen. Das Sportinstitut in Canburra kontert, " 2 Olympische Silbermedaillen sind für uns Qualifikation genug". Inzwischen hat Weigel seine A-Trainerlizens längst erworben. Bei den Spielen von Sydney 2000 hätte es für Ronny Weigel fast zur Sensation gereicht. Seine Schülerin Jane liegt bis kurz vor dem Ziel klar in Front. Nun hat Ronald Weigel den Staffelstab von seinem ehemaligen Trainer und Schwiedervater Achim Pathus übernommen. Als Bundestrainer schaffte er für die Leichtathletikweltmeisterschaften in Paris in diesem Jahr drei Qualifikationen. Melanie Seeger, Sabine Zimmer und Andreas Erm. Das Schöne daran, alle drei gehören dem SC Potsdam an. Andreas gewann die Bronzemedaille und konnte an große Potsdamer Traditionen anknüpfen. Und will bei den Olympischen Spielen in Athen den Doppelstart – wie einst sein Trainer Weigel. Der Autor ist Freier Journalist und schreibt an seinem Buch über den Potsdamer Sport. Der Titel: „Die Welt des Sports von gestern“.

Hans Groschupp

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