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Homepage: „Der Aufbruch war eine Sternstunde“

Nach 14 Jahren an der Fachhochschule Potsdam geht ihr Gründungsrektor Prof. Dr. Helmut Knüppel in den Ruhestand

Nach 14 Jahren an der Fachhochschule Potsdam geht ihr Gründungsrektor Prof. Dr. Helmut Knüppel in den Ruhestand Herr Prof. Knüppel, als Sie vor vier Jahren das Rektorat der FH abgaben, wünschten Sie sich für die hiesigen Hochschullandschaft eine neue Aufbruchsphase. Ist sie eingetreten? Vielleicht kann man vom Anbruch einer Konsolidierungsphase sprechen. Insofern, als den Hochschulen trotz allgemeiner Haushaltskürzungen begrenzte zusätzliche Handlungsspielräume zur Verfügung gestellt wurden. Aufbruch hätte geheißen, den Abstand zur bundesdeutschen Wissenschaftslandschaft auch finanziell auszugleichen. Davon kann keine Rede sein. Sie waren an der Gründung der Fachhochschule 1991 maßgeblich beteiligt. Sicherlich turbulente Zeiten. Turbulent insofern, als Potsdam gar nicht auf eine neue Hochschule vorbereitet war und angesichts der vielen Eigentumsvorbehalte auf verfügbare Liegenschaften für die Hochschule auch gar nicht über Handlungsfähigkeit verfügte. Die PNN hatte mich eingeführt mit der Schlagzeile „Prof. Knüppel immatrikuliert Studenten in einem Gebäude, was ihm nicht gehört“. Wenn man damals gewusst hätte, dass die Hochschule, in die die jungen Leute immatrikuliert wurden, noch gar nicht existierte, wäre der Skandal perfekt gewesen. Die FH nahm dennoch die Arbeit auf. 14 Tage später haben wir in der Schule des Autobahnkombinats in Neu-Fahrland und in der benachbarten Dorfkneipe den Studienbetrieb mit dem ersten, dritten und siebten Semester Sozialarbeit gleichzeitig aufgenommen, ohne Geld, ohne hauptamtlich Lehrende, mit ausgeliehenen Professoren und Verwaltungsangestellten. Es war offensichtlich erfolgreich. Unsere damaligen Studienanfänger haben heute Leitungspositionen bei verschiedenen Trägern im Land Brandenburg übernommen. Hatte die Aufbruchsstimmung und Euphorie der Wende auch Sie erfasst? Der Aufbruch war für mich eine Sternstunde. Wer hat schon die Möglichkeit in seinem Leben, mit so wenig Vorgaben an diesem Standort Potsdam eine Hochschule zu gründen und zu gestalten im Wissen um die Bedeutung dieser Einrichtung für die Stadt, die Region und das Land. Das ließ in der Tat Euphorie aufkommen. Allerdings traf ich in Potsdam auf eine große Verzagtheit. Der Oberbürgermeister brauchte die Liegenschaft, in der ich die Gründung vornehmen sollte, für sein Oberstufenzentrum. Der Baudezernent geriet fast in Panik, als er von 2000 neuen Studierenden für die Stadt hörte, die ja alle in der Stadt untergebracht werden müssten. Die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung reagierten mehr als reserviert. Nur der damalige Planungsamtsleiter, Richard Röhrbein, hatte begriffen, welche Chance auf die Stadt zukam. Zwei Tagen nach der Gründung verlegte der damalige Oberbürgermeister die FH von Potsdam nach Neu Fahrland. Dennoch sind Sie zurückgekehrt. Diese Rückkehr verdanke ich der Unterstützung meines Rektor-Kollegen Prof. Dr. Rolf Mitzner von der Universität Potsdam, der die Notsituation der FH sah und der Bitte des Ministers auf Abtretung des Gebäudes des Lehrerbildungszentrums in der Friedrich-Ebert-Straße kurz entschlossen entsprach. Ihr Büro soll in den Anfangstagen eine Telefonzelle gewesen sein. Das ist nicht ganz richtig! Da das alte Telefonsystem nur sporadisch funktionierte und wegen Überlastung ständig die Verbindung zusammenbrach, habe ich viele Gründungsvorgänge auf den frühen Abend verlegt, weil das Telefonieren dann preiswerter war. Ich führte auf eigene Kosten von der Glienicker-Brücke aus, wo die Telekom ein halbes Dutzend Telefonzellen installiert hatte, den ganzen Abend die versäumten Telefongespräche des Tages zur Organisation der Veranstaltungen, zur Vorbereitung von Berufungsverhandlungen, zur Akquise von Gutachtern, zur Abstimmung von Ausschreibungen und vielem mehr. Das verärgerte manche andere Wartenden. Häufig traf ich mit meinem Hinweis auf die Gründung der neuen Hochschule dann auf Verständnis. Sie waren aus dem Westen nach Potsdam gekommen. So war die Wende auch für Sie ein einschneidender Umbruch? Die Wende traf mich zu einem Zeitpunkt, wo ich selbst mich neu orientierte. Ich hatte 20 Jahre als Hochschullehrer gearbeitet und wollte mich einer neuen Herausforderung stellen. So stand ich vor der Wahl zwischen drei Angeboten aus meiner Geburtsstadt Dresden, aus Erfurt und aus Potsdam und der Alternative, in meiner alten Hochschule in Bielefeld als Rektor zu kandidieren. Die Entscheidung war für mich völlig klar. Nach der Wende konnte es nur der Osten sein. Was haben Sie aus der Auseinandersetzung mit der Ex-DDR mitgenommen? Das war durchaus zwiespältig! Als junger Mensch habe ich mich intensiv mit dem Sozialismus auseinander gesetzt, habe die Schriften von Rosa Luxemburg studiert und dann ernüchtert die Realität bei Besuchen in der DDR wahrgenommen. Die Öffnungspolitik Willy Brandts war für mich dann die überzeugende politische Entscheidung für die Entspannung zwischen den Militärblöcken Ost und West. Sie wurden in Dresden geboren, haben in Brandenburg gelebt, sind dann im Westen groß geworden, haben in Dortmund und Bochum studiert, in Bielefeld einen Studiengang mit gegründet, um schließlich in Potsdam die FH aufzubauen. Der Kreis hat sich also geschlossen? Geschlossen hätte sich der Kreis, wenn ich in Potsdam, wie ich das sehr lange sehr ernsthaft vorhatte, sesshaft geworden wäre. Die schwierige Wohnungssuche von 1991 bis 1997, die überteuerten Angebote völlig heruntergekommener Liegenschaften und die wenige Zeit, die ich neben meiner Gründungstätigkeit für die Suche nach einem adäquaten Wohnersatz hatte, haben dazu geführt, dass meine Familie 1998 entnervt entschieden hat, in Bielefeld zu bleiben. Das musste ich dann akzeptieren. Sie gehen nun zurück nach Bielefeld. Kehren Sie Potsdam endgültig den Rücken? In Potsdam habe ich 15 Jahre meines Lebens verbracht. Das bindet. Gewachsene Freundschaften muss man pflegen, fachliche Kontakte gedeihen nur durch beständigen Austausch. Auch Potsdams Kultur ist mir sehr ans Herz gewachsen. So werde ich auch die nächsten Jahre regelmäßig in Potsdam sein und nach dem sehen, was ich aufbauen durfte. Ich werde mir auch bezogen auf die Politik die eine oder andere Bemerkung erlauben. Sie haben sich immer stark für die Entwicklung von Potsdams Innenstadt eingesetzt. Am Alten Markt, an dem die FH noch ein Gebäude hat, ist seit ihrer Zeit als Rektor nicht viel geschehen. Wenn Stadt und Land sich frühzeitig hätten entscheiden können für den Standort der Hochschule am Alten Markt, dann wäre die ganze Diskussion über die Nutzung des Standortes der Mitte nicht mehr aufgeflammt. Insofern ist dieses Thema auch eines der vielen verpassten Möglichkeiten. Wenn sich heute statt des tiefen Lochs dort eine Hochschule befände mit 2500 Studierenden, den entsprechenden Geschäften, Kneipen etc., dann würde man über das Thema Urbanität an diesem Ort nicht mehr sprechen. Das was wir dort seit mehreren Jahren erleben an fehlendem Baufortschritt, Lärm- und Staubbelästigung ist eine Missachtung des wissenschaftlichen Auftrags der Hochschule und der Arbeit der dort Tätigen. Auf das von Ihnen favorisierte Science Center wartet Potsdam noch heute. Das ist in der Tat ein schwieriges Projekt, das nur mit externer Finanzierung und in Kombination mit anderen Nutzungen realisierbar ist. Da die öffentliche Hand zurzeit nicht einmal Geld für die Bücher in den Hochschulbibliotheken zur Verfügung stellt und ein privater Investor noch nicht gefunden ist, tun sich die beteiligten Wissenschaftseinrichtungen schwer, finanziell in Vorlage zu gehen, obwohl Räumlichkeiten im FH-Gebäude genutzt werden könnten, und die Bedeutung eines solchen Science Centers für Stadt und Region klar ermittelt ist. Mit welchen Gefühlen verlassen Sie die Stadt? Potsdam ist ein Sonntagskind. Sonntagskinder haben fast immer Glück. Und so fällt die Stadt von einem Glücksereignis in das nächste, selbst wenn mal ein Ereignis wie das der Kulturhauptstadt Europas an der Stadt vorbeigeht. Potsdam und seine Menschen sind in den letzten Jahren freundlicher und optimistischer geworden. Die Stadt hat trotz ihrer Sprödigkeit in der Vergangenheit weltweit viele Freunde, manchmal mehr als gut tut, was den Versuch der Einflussnahme anbetrifft. Es gibt eine beeindruckende soziokulturelle Szene. In der Stadt entwickelt sich so etwas wie Bürgersinn und Bürgerinitiative. Das heißt, die Bürger Potsdams wollen sich immer mehr beteiligen an der Gestaltung ihrer Stadt. Es entwickelt sich eine bürgerliche Öffentlichkeit, die das Geschehen in der Stadt sehr genau beobachtet und mitgestaltet. Was kann einer Stadt besseres passieren? Ihre berufliche Laufbahn haben Sie als Schlosser und Elektriker begonnen. Wie wird man so Professor? Das wusste ich damals auch noch nicht, als ich sonntags Turbinen reparieren musste. Wahrscheinlich war es die Lust, Neues auszuprobieren, mit Sicherheit gab es Zufälle und Glück. Aber auch Vorbilder haben für mich eine wichtige Rolle gespielt. Der Rest war Arbeit. Heute sind Sie Professor für Sozialpolitik, wie sehen Sie den gegenwärtigen sozialen Umbau? Hartz IV schafft keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz, verbessert in gewisser Weise die Situation der bisherigen Sozialhilfeempfänger zwischen 15 und 65 Jahren, aber verschlechtert auch die Situation vieler bisheriger Arbeitslosenhilfeempfänger. Hartz IV ohne entsprechende Beschäftigungspolitik macht die Arbeitslosen haftbar für die fehlenden Arbeitsplätze. Deutschland ist ja in den letzten 25 Jahren nicht ärmer geworden, im Gegenteil. Nur hat sich die Verteilung von Lohn- und Gewinneinkommen sehr deutlich zugunsten der Gewinneinkommen verändert. Alle Maßnahmen, die im Namen der Standortsicherung Deutschlands in den letzten Jahren die Steuerbelastungen der Unternehmen verringerten, haben nicht zu neuen Investitionen oder gar zu neuen Arbeitsplätzen geführt. Es sind ja auch nicht die kleinen und mittleren Unternehmen entlastet worden sondern die großen Konzerne. Die Zurückhaltung des Staates bei den Investitionen aufgrund fehlender Steuermittel führt auch nicht zu neuen Arbeitsplätzen sondern zu deren Abbau. Was muss passieren? Wir müssen endlich anfangen, den zurzeit nicht funktionierenden Ausgleich zwischen Arbeit und Kapital wieder herzustellen. Auch die Solidarität zwischen denen, die viel und denen, die nichts besitzen, muss wieder hergestellt werden. Wenn der Sozialismus als Korrektiv des Kapitalismus in der Systemkonkurrenz der vergangenen Epoche weggefallen ist, dann ist es Aufgabe der nationalen und der internationalen Politik, Alternativen zu entwickeln und nicht den Parolen des Neoliberalismus, die schon in der Vergangenheit zu unzuträglichen Ergebnissen geführt haben, besinnungslos hinterherzulaufen. Das bedeutet konkret? Warum starren wir auf das Mautdesaster und denken nicht über eine neue Verkehrspolitik und die dazu notwendigen Investitionen und deren Finanzierung nach? Warum investieren wir nicht in Wissenschaft und Forschung sondern bauen stattdessen stationäre Pflegeeinrichtungen im Übermaß für Menschen, die lieber zuhause gepflegt werden wollen, was auch noch preiswerter und menschenwürdiger ist? Warum stellen wir unisono die Bundesrepublik als ein Jammertal dar und vergessen unsere weltweit fast einmalige Leistungsfähigkeit nicht nur im Export sondern auch in der Weise, wie wir die Wiedervereinigung ökonomisch bewältigen? Statt zu jammern sollten wir in die Strukturen investieren, die unsere Qualität ausmachen wie Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung, Wohn- und Lebensqualität, Kultur und leistungsfähige Ballungsräume. Nur das schafft neue Produkte, hält die Menschen in unserem Land und veranlasst interessante Köpfe, zu uns zu kommen. Sie haben sich auch mit der alternden Gesellschaft beschäftigt, sozialer Brennstoff für die Zukunft? Je länger das Trommelfeuer durch die Medien dauert, umso größer ist die Gefahr, dass die Menschen das glauben. Oder dient der dramatisierende Sprachgebrauch vom „Krieg der Generationen“ in der „Bild-Zeitung“ nur der Abschiebung von Verantwortung. Der eigentliche Skandal liegt aber darin, dass weder Wirtschaft noch Politik die sich seit Jahrzehnten abzeichnenden Veränderungen der Lebensentwürfe junger Frauen bereit waren, zur Kenntnis zu nehmen. Versuchen Sie doch einmal als 25- oder 30-jährige Frau in einem Unternehmen oder in einer Anwaltskanzlei eine unbefristete Stelle zu bekommen. Welcher Vater stellt bei seinem Unternehmen den Antrag auf Erziehungsurlaub. Damit dürfte die Karriere vorerst abgeschlossen sein. Wer glaubt, die absolut mobilen, allzeit voll einsetzbaren Mitarbeiter fordern zu müssen, darf sich nicht wundern, wenn diese ihre Entscheidung dann zugunsten der Karriere treffen und nicht für die Erziehung des Nachwuchses. Wie sieht Ihre Rechnung aus? Wer die Belastungsfaktoren der Beschäftigten für die Zukunft errechnen will, muss nicht nur die auszuhaltende Rentnergeneration in Rechnung stellen sondern auch die Generation der Kinder und Jugendlichen, die zu versorgen sind und die auch heute von den Familien versorgt werden. Die entscheidende Frage bei der Finanzierung der Alters- und Kinderlasten ist die Entwicklung der Produktivität. Gleichzeitig müssen wir in diese Berechnung einbeziehen den ungeheuren Kapitalstock an Vermögen und Investitionen in die Infrastruktur, der von den Älteren erwirtschaftet unmittelbar an die junge Generation übergeht. Es gibt kaum ein Land, das uns nicht darum beneidet. Sie waren wiederholt Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz. Ist Brandenburg heute für die Zukunft gewappnet? Eindeutig nein! Nach einem furiosen Start 1991 haben wir seit 1995 sowohl im Hochschulbau durch Verzicht auf zur Verfügung stehende Bundesmittel als auch im personellen Ausbau den Anschluss an die internationale Entwicklung verpasst. Dies konnte auch nicht durch die Konsolidierungsbemühungen der letzten Jahre wettgemacht werden. Die jungen Leute verlassen immer noch in Größenordnungen unser Land und die wissenschaftlichen Einrichtungen haben aufgrund ihrer finanziellen Ausstattung große Probleme, mit anderen Bundesländern um gute Fachkräfte zu konkurrieren. Die Landesregierung nutzt nicht einmal die Kompetenzen und Kapazitäten ihrer Wissenschaftseinrichtungen zur Politikberatung. Die Arbeit des Landtags leidet unter der viel zu starken kommunalpolitischen Orientierung seiner Abgeordneten. Es fehlt der Blick für das gesamte Brandenburg. Was nehmen Sie persönlich aus ihrer Potsdamer Zeit mit? Die Bekanntschaft und Freundschaft mit vielen unglaublich interessanten Menschen, die höchst unkonventionell den Aufbau des Landes vorangetrieben haben. Den Glauben an eine höchst kreative, junge Generation, die ihre Zukunft selbst gestalten will, die dazu auch die nötige Kraft hat, und die Hoffnung, dass die aktuelle Politik dies zulässt und zum richtigen Zeitpunkt die Macht aus der Hand gibt. Potsdam und Brandenburg waren bisher meine intensivste Lebenszeit. Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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