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Zurück in den Hörsaal. Nach 30 Jahren lernt Axel Schönke wieder an einer Universität. Auf diesem Weg soll er zurück ins Arbeitsleben finden. An der Universität Potsdam gibt es seit mehreren Jahren ein eigenes Projekt dazu.

© Ralf Hirschberger

Homepage: Die eigenen Potenziale erkennen

Akademiker gelten nicht gerade als Sorgenkinder des Arbeitsmarktes. Dennoch finden manche älteren Fachkräfte keinen Job mehr. Die Uni Potsdam hilft ihnen

Axel Schönke fällt auf, wenn er im Hörsaal sitzt. Sein sauber gestutzter Bart und sein kurz geschnittenes Haar sind leicht angegraut. Sein Studienabschluss in technischer Kybernetik und Automatisierungstechnik liegt länger zurück als die Geburtsjahre der Studenten um ihn herum. Und doch drückt Schönke sich an der Universität Potsdam nun wieder in einen schwarz gepolsterten Sitz und lauscht der Vorlesung „Einführung in das Marketing“. Der 59-Jährige nimmt am „Campus der Generationen plus“ teil – weil er einen Job sucht.

Das Projekt richtet sich an arbeitslose Akademiker über 50 und besteht aus drei Teilen, die sich über ein Semester erstrecken: Workshops, in denen es um Bewerbungen, Unternehmensgründungen oder Managementtechniken geht, eine Vorlesung und ein Projekt zusammen mit Studenten und einem Unternehmen. Die Hoffnung ist, die Teilnehmer wieder in Arbeit zu bringen. Die Professorin in der Vorlesung könnte indes Schönkes Tochter sein, so jung ist sie.

Axel Schönke hat 1981 seinen Abschluss an der Universität Rostock gemacht. Von Potsdam aus entwickelte er danach lange Zeit die Datenverarbeitung von Möbelhändlern. Nach dem Ende der DDR organisierte Schönke für die Deutsche Bank den technischen Aufbau der Filialen in Brandenburg. „Das war eine richtige Pionierzeit“, schwärmt er. Als die Anfangseuphorie sich gelegt hatte, wurden viele Filialen allerdings wieder abgebaut oder zusammengelegt. Es folgte die Auslagerung der Technikabteilung. 2007 landet IT-Experte Schönke schließlich bei einer Siemens-Tochter. „Irgendwann begannen dann in dieser Firma auch die Schwierigkeiten“, erzählt er. „Man stellte fest, dass unsere Arbeit weggebrochen war.“

2010 nahm Schönke deshalb das Angebot an, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Er machte Coachings mit, verbesserte sein Englisch und fing an, sich zu bewerben. Heute – nach drei Jahren – stellt er fest: „Je älter ich werde, desto weniger Einladungen zu Vorstellungsgesprächen kommen.“ Die These, die Industrie brauche ältere Arbeitnehmer, spiegele sich in seinem Leben nicht wider.

In das Unternehmen, bei dem sein Projekt angesiedelt ist, passt Schönke mit seinem Hintergrund auf den ersten Blick ganz gut hinein. Skai Mobile Solutions aus Potsdam entwickelt Lösungen für mobile Datenerfassung, zum Beispiel mit digitalen Stiften, Barcodes oder kleinen Funkchips (RFID). „Wir machen bereits zum dritten Mal beim Campus mit“, erzählt Geschäftsführer Jürgen Busacke. „Das Alter ist für mich nicht so interessant“, sagt er. Es gehe um die Fähigkeiten. Schönke, eine Biologin und zwei Studentinnen sollen als Projektaufgabe den Internetauftritt der Firma neu konzipieren.

Zwei Tage nach der Marketing-Vorlesung trifft sich das Team mit Busacker. In einem kleinen funktionalen Sitzungsraum am Firmenstandort in einem Gründerzentrum im Potsdamer Stadtteil Bornstedt präsentieren sie zwei Varianten. Busacker hört sich alles an, nickt, schüttelt den Kopf, lobt, macht Anmerkungen. Es geht um Details wie die Farbe von Knöpfen oder die Schreibweise von Referenzkunden. Die Atmosphäre ist locker. Schönke schreibt eifrig mit – er ist sehr genau und korrekt. „Wir haben hier schon viele Unternehmen kommen und gehen sehen“, sagt Busacker am Rande der Präsentation. Hoffnungen sind geplatzt – oder sie haben sich erfüllt und die Firmen sind aus dem Zentrum herausgewachsen.

Auch Busacker will 2014 umziehen. Er hofft auf weiteres Wachstum, dann könnte er weitere Mitarbeiter einstellen. Vielleicht auch Axel Schönke? Es wäre ein erneuter Wandel in seinem Berufsleben. Als Schönke studierte, steckte die Mikroelektronik noch in den Anfängen. Dann kam die Wende. Der rasante technische Fortschritt änderte das Arbeitsfeld von IT-Spezialisten zuletzt quasi alle paar Jahre grundlegend. Den Ansatz von Skai Mobile Solutions findet Schönke trotzdem spannend. Und sollte nicht der überall prophezeite Fachkräftemangel Experten wie ihm in die Hände spielen?

Arbeitsminister Günter Baaske (SPD) nannte arbeitslose Akademiker über 50 im vergangenen Sommer eine wichtige Fachkräftereserve, die bislang zu wenig genutzt werde. Sein Haus fördert den „Campus der Generationen“ mit 285 000 Euro aus europäischen Fördertöpfen. „Diese Frauen und Männer wollen ihre Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen, haben jedoch gegenüber Jüngeren häufig das Nachsehen“, sagte der SPD-Politiker. Baaske ist selbst 56 Jahre alt und Lehrer. Seit der Wende ist er in der Politik. Rund 4000 Akademiker über 50 gibt es in Brandenburg, die nach Arbeit suchen. Etwa 40 Prozent von ihnen tun dies – wie Schönke – schon länger. In früheren Durchgängen des „Campus der Generationen“ hatte gut jeder zweite Teilnehmer 100 Tage nach Projektende wieder Arbeit.

Insgesamt gelten Akademiker nicht gerade als Sorgenkinder des Arbeitsmarktes: Die Arbeitslosenquote in ihrer Gruppe liegt deutlich unter dem Schnitt. Allerdings weist das Ministerium darauf hin, dass gerade Ältere vom positiven Trend des Arbeitsmarktes zuletzt weniger profitierten – daher die Investition in das Projekt. Nach Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit blockiert sich manch Älterer selbst, weil er der jüngeren Generation Platz machen wolle. Umgekehrt existierten in den Köpfen von Unternehmern oder Personalern noch viele Vorurteile über ältere Arbeitnehmer: Sie leisteten weniger, seien nicht so mobil und wollten zu viel Geld. Kerstin Grothe-Benkenstein, Projektleiterin des „Campus der Generationen“, hält das alles für „haltlose Vorurteile“. Manche Teilnehmer müssten ihre Potenziale aber erst erkennen, sagt sie. Viele wüssten gar nicht, welche Qualifikationen sie neben dem formellen Wissen im Laufe ihres Lebens erworben hätten. Daher würden sich viele Akademiker stets auf die gleichen Stellenausschreibungen bewerben, sagt die Projektleiterin. „So mancher läuft damit immer wieder gegen die gleiche Wand.“

Beim „Campus der Generationen“ gehe es darum, den Weg um die Mauer herum zu zeigen. Außerdem würden die Teilnehmer bei Aufbau und Pflege eines professionellen Netzwerks unterstützt. Diesen Austausch untereinander schätzt Schönke. Er kommuniziert mit den anderen Teilnehmern per E-Mail und Videotelefonie, geht regelmäßig zum Stammtisch. Parallel zu seinen Bewerbungen hat er bei der Industrie- und Handelskammer eine Prüfung für das Sicherheitsgewerbe abgelegt – für alle Fälle. „Zur Not könnte ich auch Museumswärter in Sanssouci werden“, sagt er im Scherz.

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