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Homepage: Die liberale Exotin

Alina Treyher ist die einzige Frau, die sich am Abraham Geiger Kolleg zur Rabbinerin ausbilden lässt

Es begann in der Ukraine, in dem Land, das 1991 unabhängig wurde. Alina Treyher war zwölf Jahre alt, als alles anders wurde und plötzlich vieles möglich war. Von heute auf morgen zeigte das Judentum ganz öffentlich sein Gesicht in ihrer Stadt Poltawa. Neue Gemeinden gründeten sich – und sie war mittendrin. Damals hat sie nicht im Traum daran gedacht, welche Rolle die Religion und Kultur einmal für sie spielen würde.

Die junge Frau mit dem rotbraun leuchtenden Haar und dem lächelnden Gesicht hat einen langen Tag hinter sich. Jüdische Religionsgeschichte, Hebräisch, Thora lesen. Ihr Kopf brummt. Eigentlich würde sie lieber nach Hause, oder raus in den Park in die Sonne, als in dem stickigen Seminarraum über der Paris Bar in Berlin zu sitzen und wieder einmal über ihr Leben zu reden. Vielen Journalisten hat sie ihre Geschichte schon erzählt. Sie ist von öffentlichem Interesse, die Frau, die sich an dem 1999 gegründeten Abraham Geiger Kolleg Berlin-Potsdam, der einzigen Rabbiner-Schule Deutschlands, ausbilden lässt. Damit ist sie eine Exotin im weltweiten Judentum. Denn Frauen, die Rabbiner werden, sind eine Seltenheit. In Deutschland werden drei der etwa hundert jüdischen Gemeinden von einer Frau geleitet.

Interviews fallen ihr nicht mehr so schwer, ihr Deutsch ist besser geworden, sagt Alina. Sie redet lange an einem Stück, als würde sie in einer Synagoge irgendwo in Deutschland einen Gottesdienst halten. Zwischenfragen dringen kaum bis zu ihr durch. Sie lacht.

Warum sie so gefragt ist, weiß Alina nicht. Sie selbst findet sich ziemlich normal. Sie sieht normal aus, schulterlanges Haar, trägt enge Jeans und T-Shirt. Sie ist eine normale Studentin, geht zur Uni nach Potsdam, besucht Vorlesungen, schreibt Hausarbeiten. Und sie lebt normal, wohnt mit ihrem Freund in einer Zweizimmerwohnung in der Nähe vom Bahnhof Zoo, geht auf Partys und ins Kino, kocht gern, trifft sich mit Bekannten.

Nur, dass sie eben koscher isst: kein Schwein, Milch und Fleisch getrennt. Und, dass für sie am Freitagabend der Sabbat, der jüdische Ruhetag, anfängt. Dann fährt sie gewöhnlich in die Gemeinde, die ihr das Kolleg zugeteilt hat, nach Hameln oder Göttingen, und macht Gemeindearbeit. Wenn sie frei hat, ist am Sabbat auch für sie Ruhetag. Sie faulenzt, liest, ist mit ihrem Freund zusammen. Wenn sie es schafft, kocht sie vor. Denn am Sabbat soll man nicht arbeiten. Und die Regeln sind da sehr streng. Schon den Startknopf der Kaffeemaschine zu drücken, ist Arbeit. Zumindest für orthodoxe Juden, erklärt Alina.

Sie ist da eher pragmatisch. Der Computer und der Fernseher bleiben aus. Aber wenn nichts zu Essen da ist, stellt sie sich eben an den Herd und kocht. Jüdisches Leben ist für sie kein Zwang, keine Regelung, an die man sich ohne Ausnahme halten muss. Jüdisch zu leben hat für sie vielmehr mit Wohlfühlen zu tun. Und damit, für sich selbst zu entscheiden, welche Regel man für richtig hält. das hat für sie auch etwas mit Bewusstheit zu tun. Der Dogmatismus der Orthodoxen liegt ihr fern, sagt die künftige Rabbinerin. Ihr Weg ist das liberale Judentum.

Einen anderen allerdings kann sie auch nicht gehen. Orthodoxe Juden akzeptieren keine Frau als Rabbiner. „In orthodoxen Gemeinden gehören Frauen an den Herd“, sagt Alina. Zweifel an dem strengen Judentum hatte sie zum ersten Mal in Poltawa, als die neu gegründeten Gemeinden plötzlich Juden und Nichtjuden unterschieden. Auch sie fiel bei der Auswahl raus, nur Alinas Vater ist jüdisch. Nach orthodoxer Auslegung aber gehört man nur dazu, wenn die Mutter jüdisch ist. Oder wenn man konvertiert. Alina hat eine „Übertritts-Prüfung“ gemacht, ist nun jüdisch nach der „Halacha“, dem jüdischen Gesetz. Trotzdem hat sich Alina Treyher für den liberale Richtung entschieden. Zunächst wollte sie immer mehr wissen über die Religion und Kultur, von der sie in der Familie nicht mehr mitbekam, als die „Gefilten Fisch“, die bei Festen mit Verwandten auf dem Tisch standen. Später kam dieses Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit dazu, das ihr das Judentum gab. Sie fand neue Werte für ihr Leben, einen neuen Sinn. Als Kind war sie stolz darauf, anders zu sein. Ohne zu wissen, was dieses Anderssein ausmacht. Wenn sie mit „Du Jude“ beschimpft wurde, hat sie nur die Schultern gezuckt und „stimmt“ gedacht. Sie hatte nie Nachteile, weil sie Jude war, sagt sie heute. Weder in Poltawa, noch in Moskau, wo sie sich an einer jüdischen Universität zur Gemeindearbeiterin ausbilden ließ. Die Beschimpfungen von damals zählt sie nicht mit.

Von der Moskauer Uni wurde sie für das Rabbinerstudium ausgewählt. Sie musste keine langen Aufnahmeprüfung machen, wie ihre elf Kommilitonen, um in Berlin zu studieren. Sie bekam ein Stipendium, hatte keine Geldsorgen. Alles war perfekt, nur das Deutschlernen fiel ihr schwer. In zwei Jahren ist Alina Rabbinerin. In einer Gemeinde mit jüdischen Aussiedlern vielleicht. Irgendwann muss sie dann den jüdischen Männern nicht mehr beweisen, dass sie als Frau ihre Arbeit gut macht. Irgendwann wird das normal sein. Hofft sie.

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