zum Hauptinhalt

Von Jan Brunzlow: „Die lügen wie gedruckt“

Detlef Kaminski, einst gestürzter Baustadtrat, wurde geehrt für seine Verdienste in der ’89-Bürgerbewegung

Die Szene ist inzwischen legendär: Detlef Kaminski ist nach der Kommunalwahl im Mai 1989 in eine Veranstaltung der Potsdamer Stadtverordneten gestürmt, hat sich unautorisiert das Mikrofon gegriffen und gesagt: „Die lügen wie gedruckt.“ Die Szene wäre wohl weniger auffällig gewesen, wenn die Versammlung nicht Live im Radio übertragen worden wäre. Es ging um den Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen, den Kaminski mit anderen Potsdamern nicht länger hinnehmen wollte. In der Sitzung wurde erklärt, es gebe keinen Wahlbetrug. Dabei hatte sich schon längst Widerstand formiert: Bereits zwei Tage nach der Wahl am 7. Mai 1989 wurde eine „Wahleingabe“ an die staatliche Wahlkommission übergeben. Und Kaminski reichte gemeinsam mit Pfarrer Schalinski Klage gegen die Wahl ein. Das war damals ein „schlicht unerhörter Vorgang“, sagte Ministerpräsident Matthias Platzeck gestern in seiner Laudatio auf Kaminski beim Neujahrempfang des Potsdamer Oberbürgermeisters. Danach hat Kaminski wieder unautorisiert zum Mikrofon gegriffen und Wort gehalten.

Der heutige Projektleiter gehört zu den umstrittenen Personen, die sich ins Goldene Buch der Stadt eingetragen haben – wenn es um sein gesamtes Wirken in der Stadt geht. Kaminski und Jakobs kennen sich aus der SPD und aus der Potsdamer Verwaltung. Jakobs war Jugendamtsleiter, als Kaminski 1998 über eine Immobilienaffäre stolperte. Vorteilsnahme lautete der Vorwurf. Darf er sich mit diesem Fleck in der Vita noch ins Goldene Buch der Stadt eintragen? Die Antwort der Stadtverordneten lautete mehrheitlich Ja, weil es um seine Verdienste in der Bürgerbewegung 1989 ging, so die Argumentation. Nicht um die während seiner Amtszeit in Potsdam entstandene Bausünde Potsdam-Center. Daher gab es gestern fast ausschließlich Lob über Kaminski zu hören.

„Er hat Mut, ist manchmal auch ungestüm, ist eckig und kantig, aber verlässlich“, sagte Matthias Platzeck. Und auch diesmal konnten sich Platzeck und Jakobs auf Kaminski verlassen. Der hatte dem Oberbürgermeister gesagt, dass sich auch Reinhard Meinel ins Goldene Buch der Stadt eintragen müsse.

Zwei Versuche hat Jakobs unternommen, um Meinel, einen Bürgerrechtler der ersten Stunde in Potsdam, zum Besuch der Veranstaltung zu bewegen. Es hat nicht geklappt. Und Kaminski machte seine Ankündigung war, in diesem Fall das Protokoll des Neujahrsempfangs nicht zu beachten. Er griff nach seiner Ehrung vor den etwa 650 Gästen im Nikolaisaal zum Mikro und hielt seine kurze Rede. Dabei definierte er, „Initiative ist Disziplinlosigkeit die zum Erfolg führt. Manchmal ist so etwas heutzutage noch nötig.“ Es gibt viele, die „lange bevor es ungefährlich wurde Widerstand geleistet haben“ und sich ins Goldene Buch eintragen müssten, sagte Kaminski. Allen voran nannte er Reinhard Meinel und Rudolf Tschäpe, im April 2002 verstorben. „Das wird heute völlig vergessen“, so Kaminski.

Meinel ist heute 50 Jahre alt, Professor für Astrophysik an der Universität Jena und war wegen einer wichtigen Vorlesung verhindert, wie er selbst gestern auf Anfrage sagte. Selbst ein Anruf von Jakobs hatte Meinel nicht umstimmen können. Er sei zu bescheiden, um im Rampenlicht zu stehen, sagte Kaminski: „Heute wie früher.“ Und Kaminski selbst? Er schien glücklich in seiner Rolle, zumal öffentliche Auftritte seit den Vorwürfen vor einem Jahrzehnt, seiner Abwahl als Baustadtrat und den Gerichtsprozessen rar geworden sind. Gestern ließ er sich selbst zu einem Bild mit Saskia Hüneke hinreißen. „Wen das wohl mehr kompromittiert?“, fragte er. Die beiden ehemaligen Wegbegleiter hatten in den 1990er Jahren erbittert über die Stadtentwicklung gestritten. Gestern empfing er aber vor allem Glückwünsche für seine Ehrung – und seine Leistung in der Bürgerbewegung 1989. Einige der Potsdamer, denen er damals vorwarf zu lügen, waren auch diesmal im Raum.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false