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Neue Erkenntnisse. Ronny Heidenreich, Daniela Münkel und Elke Stadelmann-Wenz (rechts) haben ihr Buch über den „Geheimdienstkrieg in Deutschland“ in der Gedenkstätte Leistikowstraße vorgestellt. Sie war als Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes auch Schauplatz des Geschehens.

© Johanna Bergmann

Gedenkstätte Leistikowstraße: Die Schlacht der Geheimdienste

"Aktion Feuerwerk": Historiker stellen in der Leistikowstraße Buch über Geheimdienstaktionen im Kalten Krieg vor.

Es begann in der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 1953. Eine Verhaftungswelle rollte durch die DDR. Allein in dieser Nacht sollten mehr als 100 Menschen verhaftet werden. Bis zum Ende des Jahres waren es bereits mehr als 200. Als „Aktion Feuerwerk“ bezeichnete das Staatssekretariat für Staatssicherheit der DDR die Operation, die kurz nach dem Volksaufstand am 17. Juni stattfand. Mit der Aktion trat offen zutage, was bis dahin hauptsächlich im Verborgenen stattgefunden hatte: der Krieg der Geheimdienste.

„Die Aktion war ein erster großer Schlag der Staatssicherheit gegen die Organisation Gehlen“, erklärt die Historikerin Daniela Münkel. Sie gehört gemeinsam mit Elke Stadelmann-Wenz und Ronny Heidenreich zu einem dreiköpfigen Forschungsteam, das die Ereignisse genauer unter die Lupe nimmt und dabei Zugang zu bisher völlig unbekannten Akten des BND und der Staatssicherheit bekam. Möglich machte dies ein großangelegtes Forschungsprojekt der 2011 gegründeten Unabhängigen Historikerkommission (UHK) zur Geschichte des westdeutschen Geheimdienstes und der Forschungsabteilung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Die Forscher fanden neue Informationen über die Struktur der Geheimdienste, ihre Arbeitsweise und auch über die Spione, deren Schicksale sie im Einzelnen beleuchten.

Ihre Ergebnisse schrieben die Forscher in dem Buch „Geheimdienstkrieg in Deutschland“ nieder, das sie nun in der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße vorstellten. „Es ist ein Buch, auf das wir gewartet haben“, erklärt Ines Reich, Leiterin der Gedenkstätte, die als Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes ebenfalls Schauplatz des Geheimdienstkrieges war. Denn erstmals würde nun im Detail deutlich, wie die Geheimdienste tatsächlich gearbeitet haben, wie sie Agenten rekrutiert und Aktionen geplant und umgesetzt haben. Möglicherweise sind durch die Forschungen auch neue Erkenntnisse über die in der Leistikowstraße inhaftierten Gefangenen möglich. Denn über deren Schicksale ist häufig ebenfalls wenig bekannt.

„Der Kalte Krieg war ein wirklicher Krieg, der auf Ersatzfeldern ausgeführt wurde“, erklärt Bernd Stöver von der Universität Potsdam, Historiker und Experte des Kalten Krieges. Zu seinen Waffen zählten Militärspionage, Attentate und Entführungen, verdeckte Operationen, Umsturzversuche und Flugblattaktionen. Eine „kleine, aber bedeutende Rolle“ in diesem Kräftemessen spielte ab 1946 die Organisation Gehlen, die vom amerikanischen Geheimdienst CIA unterstützt wurde und aus der 1956 der BND hervorging. Sie wurde nach dem früheren Wehrmachtsgeneral Reinhard Gehlen benannt, der die Organisation und später auch den BND leitete.

Die Agenten der Organisation Gehlen stammten zu einem großen Teil aus Flüchtlingen in den Westlagern und auch desertierten Angehörigen der Sowjetarmee. Doch auch direkt in der DDR sprach man Menschen an, die man für empfänglich hielt – und die vorzugsweise bereits Erfahrungen in der Militärtechnik hatten. „Oft waren die rekrutierten Agenten unerfahren, naiv, idealistisch oder erpressbar“, erklärt Historiker Bernd Stöver. „Und häufig liefen sie unausgebildet ins offene Messer.“

Vor allem das Schicksal der im Herbst 1953 Verhafteten nahmen die Historiker in ihrem Buch genauer unter die Lupe. „Erstmalig konnten wir die Akten beider Seiten sehen“, erklärt Daniela Münkel. „Und dabei auch erkennen, wer tatsächlich für die Organisation Gehlen gearbeitet hat und wer nicht.“ Dabei hielten die Dokumente so manche Überraschung parat: „Einige Personen galten bei der Stasi als große Fische, waren tatsächlich aber unwichtig. Und umgekehrt gilt das Gleiche“, verdeutlicht Münkel. Auch mit Doppelagenten und Maulwürfen arbeiteten die Geheimdienste. „Das ist ein richtiger Spionagekrimi, da braucht man sich nichts weiter auszudenken.“

Von den 218 Verhafteten – überwiegend junge Männer unter 35 Jahren, unter denen auch sechs Potsdamer waren – konnten die Forscher schließlich 93 identifizieren, die tatsächlich Spionage betrieben hatten. „Die Propaganda der DDR übertrieb die Zahlen in den Folgejahren“, betont Historikerin Elke Stadelmann-Wenz. „Es ist von mehreren Hundert Menschen die Rede. Aus den Unterlagen kann man diese Zahlen aber nicht nachvollziehen.“

Das nun veröffentlichte Buch der drei Historiker ist der dritte Band einer Folge, die sich mit der Erforschung der westdeutschen Geheimdienste befasst und die Anfangsgeschichte des BND aufarbeitet. Die „Aktion Feuerwerk“ war dabei nur der Auftakt zu weiteren spektakulären Geheimdienstoperationen, die sich gegen die Organisation Gehlen wandten. Auch die danach folgenden Ereignisse werden die Historiker aufarbeiten und aufschreiben. „Die Fortsetzung folgt“, verspricht Daniela Münkel.

Heike Kampe

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