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Landeshauptstadt: Die Unterwelt des Neuen Palais

Von Steinkohlebergen umgeben, befeuerten verrußte Männer 14 Gliederheizkessel

Von Steinkohlebergen umgeben, befeuerten verrußte Männer 14 Gliederheizkessel Von Erhart Hohenstein Ein Bild wie von der „Titanic“: Von riesigen Kohlebergen umgeben, füttern verrußte Männer in brennender Hitze die rot glühenden Schlünde der Heizkessel. Noch bei null Grad Außentemperatur werfen sie ihnen täglich 30 Zentner Steinkohle in den Rachen. Von hier steigt die Wärme freilich nicht auf in die Salons eines Luxusschiffs, sondern in die „Grotte“, den Marmorsaal oder das Bad „Ihrer Majestät“, verraten handgeschriebene Aufschriften an den Wänden. Mit Jörg Heide erkunden in einer neuen Spezialführung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Interessenten die Unterwelt des Neuen Palais, die heute wieder fast so kühl und leer ist wie zu Zeiten des großen Friedrich. Denn damals diente das Palais als Sommerschloss, und da gab es nur Kamine und einige Kachelöfen. Erst die aus dem technisch fortgeschrittenen England gekommene Kronprinzessin Victoria sorgte für hinlängliche Erwärmung des Riesenschlosses, das sie mit ihrem kranken Gatten, dem späteren 100-Tage-Kaiser Friedrich III., bis in den Winter hinein bewohnte. Eine mit Niederdruck betriebene Dampfheizung hielt Einzug in die Kellerwelt. Beispiele ihrer ummauerten Feuerstätten haben sich ebenso erhalten wie die 14 aus gusseisernen Gliedern zusammengesetzten frei stehenden Kessel, jeder mit eigenem Heizkreislauf. Damit hatte Kaiser Wilhelm II. ab 1895 die Heizungsanlage modernisieren und ergänzen lassen. In den Schlossräumen darüber zeigt Jörg Heide Fußbodengitter, aus denen warme Luft aufstieg, und die hinter Blindtüren und Wandverkleidungen verborgenen Heizkörper. Seinen fröstelnden Zuhörern nahm er jedoch die Illusion, dass es im Neuen Palais jemals richtig warm war. Höher als 16 bis 18 Grad stiegen die Temperaturen nicht. „Vicky“ und ihrem Sohn Wilhelm II. muss man zugestehen, dass sie beim Heizungseinbau pietätvoll vorgingen und die barocken Dekorationen nicht antasteten. Das trifft auch auf Feuerklingeln und Löschgeräte zu, die dahinter versteckt wurden. Am 15. Oktober 1882 gingen in einem Raum Gardinen und der Baldachin im Alkoven in Flammen auf, weil eine Bedienstete mit brennender Öllampe in der Hand ein Insekt jagte. Für größere Brände standen eigene Löschwagen bereit. Heute kommt die Feuerwehr, wenn einer der mehreren Hundert Brandmelder Alarm auslöst. Ganz so schlecht, wie manchmal behauptet wird, steht es um den Brandschutz des mit zentnerweise Papier der Plansammlung und anderen brennbaren Gegenständen voll gestopften Palais also nicht. Zudem wird an der Modernisierung der Infrastruktur gearbeitet. Der warme Bauch des Schlosses machte sich einst aber auch für andere Zwecke nützlich. Hier wurde gebacken, konditert und in Wärmeschränken, die noch immer an Ort und Stelle stehen, das Essen warm gehalten. Es kam aus der Hauptküche in den gegenüber liegenden Communs durch einen 1896 angelegten unterirdischen Gang, den Jörg Heide seinem staunenden Publikum ebenfalls zeigte. In Windeseile schoben die Bediensteten gummibereifte Wagen als Essentransporter in Richtung Palais. Auch auf eine kleine elektrische Eisenbahn gibt es einen Hinweis, aber das ist wohl „Schlosslatein“ Mit der Abdankung des Kaisers erloschen 1918 im Kellerreich die Feuer. Das Palais blieb über Jahrzehnte weitgehend unbeheizt. Lediglich ein Meisterwerk deutscher Mechanik verrichtete unablässig bis in die 70er Jahre seinen Dienst: die äußerlich einem Müllschlucker ähnelnde Pantoffelreinigungsmaschine. Sie steht heute noch. Ganz kalt konnte und kann das Palais aber nicht bleiben. So wurde in der DDR-Zeit die Heizung angeworfen, wenn ein Bestarbeiterball oder ein SED-Empfang stattfand. Auch das Schlosstheater braucht Wärme, die Treppenhäuser, ebenso die zahlreichen Depots, Restaurierungs- und Arbeitsstätten. Seit Anfang der 90er Jahre sorgt dafür eine vom Unigelände herangeführte Fernwärmeleitung. 5000 Quadratmeter Fläche werden beheizt, das kostet die Stiftung jährlich rund 110 000 Euro. Die weitgehende Räumung der Unterwelt, die vor Beginn der auf 140 Millionen Euro geschätzten Generalsanierung fortgesetzt werden muss, tut dem Neuen Palais gut. Durch die Einbauten in der Kaiserzeit und die späteren Materiallagerungen konnten die Keller ihre Hauptaufgabe nicht mehr erfüllen, zur Luftzirkulation im Schloss beizutragen.

Erhart Hohenstein

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