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Landeshauptstadt: „Ein Problem ist die weitgehend gleichgebliebene Lehrerschaft“

Manfred Kruczek über Elternhäuser, Doping-Zeitzeugen an Sportschulen und einen ARD-Korrespondenten, der ausgewiesen wurde

Herr Kruczek, warum ist das Bild der Brandenburger Schüler von der DDR so lückenhaft?

Die Gründung unseres Forums vor drei Jahren war eine Reaktion auf unübersehbare Defizite in diesem Bereich, die letztendlich die Landespolitik zugelassen hat. Allerdings ist der Grad der Ahnungslosigkeit so groß, dass in den betroffenen Elternhäusern weder Tageszeitungen noch Nachrichtensendungen eine Chance haben.

Wie bewerten Sie die Situation an den Schulen?

Den Schulen kommt damit eine noch größere Verantwortung zu, das Wesen einer Diktatur, die staatliche Willkür zu vermitteln. Ein Problem ist allerdings, dass die weitgehend gleichgebliebene Lehrerschaft, die bis 1989 gehalten war, dem durch westliche Medien und teilweise auch Elternhäuser bei Schülern verinnerlichte Vorwissen über die SED-Diktatur durch ideologische Umerziehung zu begegnen, jetzt angehalten ist, diese Diktatur zu erläutern.

Wie kann das funktionieren?

Der Bildungsminister Holger Rupprecht macht es vor. Er baut diesen Lehrern eine Brücke, indem er erklärt, selbst ein Teil dieses Systems gewesen zu sein. Dabei appelliert er gleichzeitig daran, ohne Befangenheit das Thema offensiv aufzugreifen und zu vermitteln. Es ist auch wichtig, dass sich der Bildungsminister nicht wie einige Politiker von SPD und CDU an der Pflege von DDR-Folklore, zum Beispiel mit Jugendweihe-Reden, beteiligt.

Die Vermittlung der SED-Diktatur im Geschichtsunterricht ist vom Bildungsministerium seit 2002 verpflichtend festgeschrieben.

Und daher kann es nicht hingenommen werden, dass Teile der Lehrerschaft das Rundschreiben von 2002 offenbar folgenlos unbeachtet lässt. Ob über die abgrundtiefen Gegensätze von Diktatur und Demokratie aufgeklärt wird oder nicht darf nicht an der Lust und Laune eines Lehrers liegen. Die Studie der FU rechtfertigt, dass das Aufsichts- und Beratungssystem der Schulämter über die Fachberater intensiviert wird, einschließlich Erfolgskontrollen. Zur DDR gehört übrigens auch das Thema Sportschule. Zu begrüßen wäre es daher, wenn die Eliteschulen des Sports ihren Schülern die Opfer des DDR-Dopingsystems als Zeitzeugen zumuten. Das wäre ein Beitrag zur wirksamen Geschichtsvermittlung und zugleich Dopingprävention, wie sie inzwischen sogar vom Deutschen Olympischen Sportbund empfohlen wird.

Laut des Forschungsverbundes SED-Staat haben 78 Prozent der Potsdamer Schüler große Wissenslücken bei Fragen zur DDR.

Die Zahl der Ahnungslosen in Potsdam ist sehr hoch, obwohl es gerade hier an authentischen Orten mit Gedenkstättencharakter nicht mangelt. Dazu gehören das KGB-Gefängnis Leistikowstraße und der Stasi-Knast Lindenstraße. Das ist ein Widerspruch.

Werden die Angebote genutzt?

Mit 14 Gedenkstättenlehrern sichert das Land an solchen Orten wichtige Angebote, nur müssen sie intensiver genutzt werden. Wenn man mit den Gedenkstättenverantwortlichen spricht, dann bekommt man bestätigt, dass einige Schulen und Lehrer regelmäßig das Angebot nutzen, andere aber noch nicht aufgetaucht sind. Als positive Beispiele fallen mir die Lenné-Schule und das Evangelische Gymnasium auf. Dort wird auf direkte Weise das Schülerinteresse geweckt.

Wer wäre für Sie ein noch nicht gehörter Zeitzeuge?

Lothar Loewe, der ARD-Korrespondent in der DDR war und so kritisch über die Zustände an der Mauer berichtet hat, dass er zu Weihnachten 1976 aus der DDR ausgewiesen wurde. Er hatte in der Tagesschau gesagt, dass die DDR-Grenzer auf Menschen schießen würden wie auf Hasen. Er ist in Potsdam zur Schule gegangen. Bis heute ist leider keine Begegnung mit Schülern seiner alten Schule zustande gekommen. Unser Forum hat ihn für dieses Jahr als Zeitzeugen nach Potsdam eingeladen. Ich freue mich, dass die Helmholtzschule, meine ehemalige Schule, an ihm sehr interessiert ist.

Kürzlich wurde von der Landesregierung das Konzept zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur verabschiedet. Was versprechen Sie sich davon?

Grundsätzlich begrüßen wir dieses Konzept. Dabei ist es wichtig, dass nicht erst – wie bislang – in der 13. Klasse der Besuch authentischer Orte im Geschichtsunterricht vorgeschrieben ist, sondern spätestens ab der 10. Klasse. Es ist wichtig, das Wesen von Diktaturen nicht durch abstrakte Begriffe, sondern im Dialog mit Zeitzeugen an diesen Orten begreifbar zu machen. Durch diese Praxis wird auch Interesse bei den Schülern geweckt. Sie werden dann ihre Eltern fragen, inwieweit sie es sich in der DDR eingerichtet haben. Beispielsweise ob sie auch daran beteiligt waren, Repressalien auszuüben. Oder ob sie sich nur eine Nische gesucht haben, wo es schön kuschelig war und in der sie zwar bedauert haben, weder Alpen noch Ku-Damm zu sehen, aber am 1. Mai die Fahne rausgehängt haben. Oder ob sie sich ab einem bestimmten Punkt verweigerten, denn Zivilcourage ist auch heute unverzichtbar.

Auch die Kommunen werden in dem Konzept aufgefordert, Zeitzeugnisse zu sichern.

Deshalb ist es wichtig, die letzten Mauerreste am Griebnitzsee zu sichern. Das ist wesentlich, weil zwei Drittel der Schüler nicht wissen, dass es der Wohlfühlstaat DDR war, der die Mauer errichtet hat. Vielleicht kann die Stadt Potsdam in dem Zusammenhang auch die Frage beantwortet, speziell Gabriele Fischer, wo denn die Ausstellung über die Glienicker Brücke abgeblieben ist, die bis vor einigen Jahren im Bundesvermögensamt zu sehen war und dann von der Stadt abgebaut wurde.

2009 ist der 20. Jahrestag der friedlichen Revolution. Welche Erwartungen knüpfen Sie daran?

Dass bis dahin eine Trendwende von Verklärung zur Aufklärung erkennbar wird ist wichtiger als Politiker-Schaulaufveranstaltungen zum Jubiläum. Unser Forum ist gern bereit, das Landeskonzept zu unterstützen, aber nur zum Kurs von eins zu eins.

Die Fragen stellte Jan Brunzlow

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