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Landeshauptstadt: Ein Schloss für alle

Vor einem Jahr wurde das neue Landtagsgebäude übergeben. Rund 22 000 Besucher kamen damals zur feierlichen Eröffnung. Längst ist das Parlament im Schlosskleid eine Sehenswürdigkeit geworden, die Politiker und Besucher gleichermaßen begeistert

W enn Gerrit Große im Plenarsaal des Landtags sitzt, schaut sie noch häufig auf den leeren Platz an der weißen Wand über dem Präsidium. „Ich vermisse den weißen Adler“, sagt die 60-jährige Linken-Abgeordnete wehmütig. „Ich vermisse aber auch die heißen Debatten darüber – die waren so identitätsstiftend für Brandenburg“, findet sie. Wie berichtet hatte Landtags-Architekt Peter Kulka aus künstlerischen Gründen einen großen weißen Adler durchgesetzt. Statt eines Wappentiers in der eigentlichen Landesfarbe Rot hing der 1,80 Meter große Greifvogel anfangs über der großen Bronzetür des Plenarsaals hinter dem Rednerpult. Wochenlang hatten daraufhin die Proteste empörter Brandenburger die Debatte über den neuen Landtag nach der Eröffnung vor einem Jahr bestimmt. Heute ist der Platz über der Tür verwaist. Seit Juni hängt dafür ein deutlich kleinerer Adler, allerdings im Brandenburger Rot, auf der Stirnseite des Rednerpults.

„Der weiße Adler ist im Keller eingelagert“, sagt Andreas Behnicke, bei der Landtagsverwaltung zuständig für das Gebäudemanagement. Zusammen mit Johannes Eberle von der BAM Immobilien- Dienstleistungen GmBH, eine Tochter der bauausführenden BAM Deutschland, sorgt Behnicke für einen möglichst reibungslosen Betrieb. Ihr Fazit nach einem Jahr fällt positiv aus. „Das Gebäude hat sich auf jeden Fall bewährt. Anfangs gab es noch ein paar Babykrankheiten und wir mussten an einigen Feinheiten drehen, doch mittlerweile hat sich alles eingeschliffen“, sagt Eberle. „Das heißt nicht, dass es gar keine Probleme mehr gibt, aber die lassen sich immer alle lösen“, schränkt Behnicke ein. Doch heute seien es oft Kleinigkeiten, die sich aus dem Alltag ergäben und für die dann spontan eine Lösung gefunden werden müsse.

Grundsätzliche Probleme hatten zumindest anfangs dem Vernehmen nach manche Abgeordnete und Mitarbeiter mit der Temperatur in ihren Büros. Entweder war es zu warm oder zu kalt. „Das ganze Haus ist mit einer Dachheizung ausgestattet. Die ist etwas träge“, räumt Behnicke ein. Eberle zeigt auf einen kleinen weißen Steuerungskasten neben ihm, wie er in jedem Büro direkt neben der Eingangstür in der Wand eingelassen wurde. „Hier wird die aktuelle Raumtemperatur angezeigt und über diese beiden Schalter kann man die Wunschtemperatur eingeben. Weil dabei so viele Komponenten zusammenspielen, kann es aber ein Weilchen dauern“, sagt auch der BAM-Gebäudemanager. Aber unter 21 Grad sollte die Temperatur in der Regel eigentlich nicht fallen.

Laut Behnicke haben die Beschwerden über die Raumtemperatur stark nachgelassen. Vielleicht haben mittlerweile einfach auch mehr Abgeordnete und Mitarbeiter der Fraktionen und der Verwaltung den rund 20 Seiten starken Nutzungsleitfaden für das neue Landtagsgebäude gelesen.

Auch die Bürger haben längst ihren Frieden mit dem 120 Millionen Euro teuren Parlamentsbau mit der rekonstruierten Fassade des historischen Potsdamer Stadtschlosses der preußischen Herrscher-Dynastie gemacht – auch ohne weißen Adler. Die Besucher strömen jedenfalls regelrecht in den neuen Landtag. Er ist eine echte Sehenswürdigkeit geworden. Rund 164 000 Besucher sind nach Angaben der Landtagsverwaltung seit der Eröffnung mit einem Bürgerfest Mitte Januar 2014 gezählt worden, mehr als 31 000 von ihnen hätten an den regelmäßigen Führungen teilgenommen. Allein im vergangenen August kamen mehr als 23 000. „Im alten Landtagsgebäude auf dem Brauhausberg waren vielleicht gerade einmal ein paar Tausend pro Jahr da“, erinnert sich Behnicke.

Am neuen Landtagsgebäude können sich dagegen manche gar nicht satt sehen. „Ich gehe hier regelmäßig mit Freunden und Bekannten hin, die mich besuchen kommen“, erzählt Gabriele Rosenau aus Hennigsdorf. „Für mich ist es das neue Aushängeschild für die Landeshauptstadt.“ Toll findet sie, dass die Kantine mittags jedem offensteht. „Da kann man auch schon mal einen Minister sehen.“ Ähnlich sieht es Wolfgang Herkholz aus Berlin-Spandau, der im großen Innenhof des Schlosses Erinnerungsfotos macht. „Früher schaute man sich das Holländische Viertel an, und heute geht man erst mal zum Landtag.“ Auch Renate Korten ist überzeugt. „Es ist alles so hell und freundlich hier“, meint die Brandenburgerin.

Die Grünen-Abgeordnete Ursula Nonnemacher fühlt sich wohl im Schloss – und ist froh, dass die Grünen wegen langjähriger außerparlamentarischer Opposition an dieser Entscheidung nicht beteiligt waren. „Ich hätte auch Bedenken gegen das Schloss gehabt“, gibt sie zu. „Aber in diesen sehr nüchtern gehaltenen Räumen fühlen wir uns nicht als Schlossbewohner.“ Wichtig sei, dass der Landtag vom Berg ins Zentrum gerückt sei. „Ich freue mich, dass wir so viele Besucher haben – auch wenn es in der Kantine dann manchmal eng wird.“

Der große Andrang hat aber offenbar auch seine Schattenseiten. „Spurenbeseitigung“, sagt Eberle und zeigt auf einen Handwerker, der mit einem Spachtel an einer Wand Folgen der großen Auslastung beseitigt. Vor allem im Bereich der Treppenaufgänge sind an den Wänden überall mehr oder weniger starke schwarze Schleifspuren zu sehen – vermutlich vom Kontakt mit schwarzen Schuhsohlen. „Die unerwartet hohen Besucherzahlen haben bestimmte Kosten anstiegen lassen, mit denen wir nicht gerechnet haben. Bei der Reinigung oder den Ausbesserungen zum Beispiel“, sagt Eberle.

Für den Architekten Kulka ist die Entwicklung des Landtags-Schlosses zum Besuchermagneten ein kleines Wunder. „Die Stimmung ist regelrecht gekippt“, sagt Kulka. „Im Vorfeld hat es viel Kritik an den Kosten und an der historischen Schlossfassade gehagelt.“ Er selbst könnte sich auch bis heute ein modernes Parlamentsgebäude an diesem Platz vorstellen. „Aber ich freue mich, dass die Leute heute mit dem Schloss leben wollen.“

Künftig könnte es sogar noch voller werden. Bei ihrer Antrittsrede als neue Landtagspräsidentin im Oktober hatte die SPD-Politikerin Britta Stark angekündigt, künftig jedes Jahr ein „Fest der Demokratie“ ausrichten zu wollen. Angesichts der mauen Wahlbeteiligung von gerade einmal knapp 48 Prozent hatte Stark die Politik selbst in die Pflicht genommen und gefordert: „Wir müssen wieder Lust auf Demokratie wecken.“ So soll es künftig vor allem mehr Angebote für Jugendliche geben. Extra entwickelt wurden etwa Planspiele für Schüler, die den gesamten parlamentarischen Willensbildungsprozess einschließlich der Fraktions- und Ausschussarbeit abbilden sollen. Ferner soll der Kontakt zwischen Jugendlichen und den Politikern verstärkt werden. Lehrern wird in Vorbereitung dazu unter anderem ein entsprechender Methodenkoffer zur Verfügung gestellt. Schließlich sollen künftig auch Besuchergruppen die Möglichkeit erhalten, an den Sitzungen der Fachausschüsse und Gremien teilzunehmen. Den Innenhof will die Landtagsverwaltung für gelegentliche Kulturveranstaltungen zur Verfügung stellen. Und selbst der Landesrechnungshof, der ebenfalls im Schloss sitzt, bietet jetzt Führungen an.

Für Eberle wenigstens kann gar nicht genug los sein. „Ohne die vielen Menschen wäre es hier vielleicht ein bisschen sehr weiß. Das Gebäude lebt von dem, was in ihm passiert“, meint er. „Wirklich ein schöner Arbeitsplatz.“

Architekt Kulka dagegen hängt noch ein wenig an dem weißen Adler. „Der weiße Adler war eine gute Lösung, aber ich kann nun mit diesem demokratischen Kompromiss leben“, sagt Kulka. „Ein großer roter Adler hätte dagegen den Plenarsaal optisch erschlagen.“

nbsp;Matthias Matern, Klaus Peters

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