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Homepage: Erinnerung ist trügerisch

Einstein Forum diskutiert Vergangenheit im Film

Auf großes Interesse stieß am vergangenen Sonntag eine Podiumsdiskussion des Potsdamer Einstein Forums. Vier Wissenschaftler tauschten sich zu dem Thema „Errettung der Erinnerung? Der mediale Blick in die Vergangenheit“ aus. Mit Themen aus Filmwissenschaft, Holocaust-Forschung und Hirnforschung hatten die Veranstalter gleich drei akademische Publikumsmagneten aufgeboten. So zielte auch die Frage „Errettung der Erinnerung?“ auf ein geisteswissenschaftliches Kernthema ab.

Prof. Régine-Mihal Friedman von der Universität Tel Aviv verwies auf die Dringlichkeit, die der Erinnerung an den Holocaust anhängt: Es bleibt nicht mehr viel Zeit, Überlebende zu befragen. Gerade hier wird deutlich, welchen Stellenwert Erinnerung hat. „Gegenerinnerungen“, so der Kulturwissenschaftler Harald Welzer, stellen inzwischen historische Tatsachen aus Krieg und Judenvernichtung in Frage. Erinnerung wird vor diesem Hintergrund zur Zeugenschaft für bestimmte Ereignisse. Die nachfolgenden Generationen wollen Gewissheit, so Friedman, über das, was ihren Eltern und Großeltern widerfahren ist.

Doch Erinnerung ist trügerisch. „Filme erinnern uns an unser Leben“, sagte die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch. So habe schon im Jahr 1967 eine Untersuchung gezeigt, dass Kriegsopfer Filmszenen und Erlebtes miteinander vermischen. Gerade wenn die Ereignisse in der Kindheit lägen, hätten Menschen Probleme, Fakt und Fiktion zu trennen. Hirnforscher Hans Markowitsch bestätigte dies. Er sprach von dem „false memory Syndrom“. Erinnerung sei eine Konstruktionsleistung des Gehirns. Sie sei immer subjektiv, emotional und an bestimmte Situationen gebunden. Die Frage hingegen, wie man nun mit der Problematik umgehen solle, blieb ungelöst.

Gerade die Erinnerung an den Holocaust liefert problematische Beispiele. So der „Fall Wilkomirski“. Der angebliche Holocaust-Überlebende hatte im Jahr 1995 eine Autobiographie bei einem namhaften deutschen Verlag veröffentlicht. Der Titel: „Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939-1948“. Der vermeintliche Pole Wilkomirski bediente schon im Titel das allgemeine Interesse an der Erinnerungsproblematik. Doch seine Erinnerung erwies sich nicht nur als bruchstückhaft, sondern als fiktiv. Was juristisch schlicht als „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ gelte, so Markowitsch, müsse bezüglich kollektiver Erinnerungen genauer hinterfragt werden. So wie in einem Film der jüdischen Schauspielerin und Autorin Gila Almagor. In dem Film muss die Protagonistin erfahren, dass ihre Mutter sie belügt. Die Erinnerungen an das Konzentrationslager sind auch hier Fiktion.

Die Diskussion brach nach zwei Stunden wegen der Komplexität des Themas abrupt ab. Damit ist bei kulturwissenschaftliche Reizthemen aber immer zu rechnen. „Wir reden aneinander vorbei“, stellte Harald Welzer augenzwinkernd fest. Dies sprach für ihn aber für die Qualität der Diskussion. Das Einstein Forum sieht laut Geschäftsführerin Inga Wellmann überdies keinen Bedarf, sich des Etiketts „Jahr der Geisteswissenschaften 2007“ zu bedienen. Für den Publikumszulauf sei dies nicht notwendig. Diese Einschätzung kann man nach der Diskussion am Sonntag nur teilen.

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