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Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte soll umbenannt werden.

© Ottmar Winter PNN / Ottmar Winter PNN

Gegen die Verteufelung Preußens: Eine verstörende Debatte in Potsdam

Preußen als zentrale Brutstätte des Militarismus in Europa? Diese Darstellung hält Historiker Julius H. Schoeps für geschichtsfern. Das Bild Preußens sei sehr viel differenzierter zu sehen.

Ein Gastbeitrag von Julius H. Schoeps

Man reibt sich nur noch erstaunt die Augen. Jetzt also auch das HBPG, wie das „Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte“ in Potsdam in Kurzform genannt wird. Es soll wie die „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ in Berlin einen neuen Namen erhalten. „Alles steht zur Disposition“, erklärt die Leiterin des Hauses am Neuen Markt.

Was bedeutet das? Alles steht zur Disposition? Man sollte sich das genauer ansehen. Was steckt hinter dem Vorschlag der Namensänderung? Es scheint ein Trend zu sein. Die Bezeichnung „Preußen“ soll anscheinend endgültig aus dem öffentlichen kulturellen Leben getilgt werden. Erik Stohn, der kulturpolitische Sprecher der Brandenburger SPD, hat bereits zu Recht Kritik an dem Vorhaben geäußert, sich aus der Geschichte zu verabschieden und dem HBPG einen neuen Namen zu verpassen.

Als der seinerzeitige Ministerpräsident Manfred Stolpe, sowie ein Beraterkreis, zu dem meine Mitarbeiter vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum und ich gehörten, vor mehr als 20 Jahren in verschiedenen Gesprächsrunden zusammen mit Stolpe die Idee entwickelten, ein „Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte“ im Potsdamer Kutschstall zu etablieren, war das nicht ein blauäugiges Vorhaben, sondern das Ergebnis sorgfältiger Beratungen.

Preußen, so meinten wir damals, bedarf einer gerechteren Darstellung und Würdigung. Es sei verkürzt, Preußen nur als den „Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland“ (Alliierter Kontrollratsbeschluss Nummer 46, 25. Februar 1947) zu betrachten.

Ohne Preußen kein Brandenburg, ohne Brandenburg kein Preußen

Für das geplante Ausstellungsgebäude wählten wir bewusst die Bezeichnung „Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte“, weil wir der Ansicht waren, Brandenburg sei das eigentliche Kernland des preußischen Staates gewesen. Ohne Preußen kein Brandenburg, ohne Brandenburg kein Preußen.  

Es sollte heute eigentlich kein Zweifel daran bestehen, dass die Verteufelung Preußens in dieser Pauschalität nicht zutrifft. Das Bild Preußens ist sehr viel differenzierter zu sehen, als es manche Kritiker heute glauben. Säbelrasselnde Militaristen und Monokel tragende Junker gab es zwar zugegebenermaßen, aber es ist eine geschichtsferne Legende, Preußen als zentrale Brutstätte des Militarismus in Europa zu bezeichnen.

Preußen war ein Militärstaat, keine Frage. Andererseits waren Preußen und seine Politiker häufig genug bemüht, Konflikte friedlich am Konferenztisch zu regeln. „Ultima ratio regis“, so lautete die Inschrift auf preußischen Kanonen, was kurz und bündig etwa heißt: Der Waffengang ist der letzte Ausweg. Es ist ein Motto, dessen man sich gerade in unseren Tagen, in denen Europa zunehmend in kriegerische Auseinandersetzungen hineintaumelt, erinnern sollte.

Preußen konnte abgrundtief reaktionär, aber auch modern und fortschrittlich sein.

Julius H. Schoeps

Eine der Hypotheken des preußischen Erbes ist sicherlich der Sachverhalt, dass die „preußischen Tugenden“, wie wir Pflichtgefühl, Pünktlichkeit, Sparsamkeit beziehungsweise das Maßhalten können, Bescheidenheit und Gewissenhaftigkeit nennen, im Hitler-Deutschland pervertiert worden sind. Das hing zum einen damit zusammen, dass in der NS-Zeit die Form über den Inhalt gestellt wurde. Unter dem Deckmantel der äußeren Disziplinierung wurde die eine oder andere in Preußen hochgehaltenen Tugend nach 1933 in ihr Gegenteil verkehrt. So konnte es geschehen, dass aus Selbstbewusstsein Überheblichkeit, aus Ordnungsliebe kleinliche Pedanterie und aus Pflichterfüllung Unmenschlichkeit wurde.

Die häufig gebrauchte Metapher von der Doppelgesichtigkeit, die bei der Beschreibung des Phänomens Preußen benutzt wird, will besagen, dass in Preußen hell und dunkel eng beieinanderlagen. Preußen konnte abgrundtief reaktionär, aber auch modern und fortschrittlich sein. Es gab die obrigkeitlich-militärische Tradition, daneben aber auch, das sollte man nicht vergessen, das liberal-demokratische Bekenntnis, das Preußen der Verweigerung, des Nichtmitmachens.

Erbe von Manfred Stolpe würde mit Füßen getreten werden

Erinnert sei an die Generation der Aufklärer, an Immanuel Kant, Moses Mendelssohn, die Humboldts und viele andere, die den Boden für die sich vollziehenden sozialen und politischen Veränderungen bereitet haben. Erinnert sei an Ärzte, Schriftsteller, Publizisten und Politiker wie Johann Jacoby, Moritz Veit, Heinrich Heine, Eduard Bernstein. Oder man denke an den Sohn der Stadt Potsdam, Max Dortu, der in der 1848-Revolution demonstrierend auf die Straße ging. Sie alle waren Preußen und verkörperten das „andere“ Preußen, das demokratische Preußen.

Themen für Ausstellungen im HBPG gäbe es genug. Es setzt allerdings bei Kuratoren und Ausstellungsmachern den Willen voraus, sich mit der brandenburgisch-preußischen Geschichte zu befassen. In der Vergangenheit hat es zahlreiche gut konzipierte und gut besuchte Ausstellungen im HBPG gegeben, die nicht nur Ältere, sondern auch jüngere Menschen durchaus angesprochen haben. Eine Konzept- und Namensänderung, wie sie hier nun seitens der Leiterin des HBPG vorgeschlagen wird, würde das Erbe des einstigen Brandenburger Ministerpräsidenten mit Füßen treten. Das hat Manfred Stolpe nicht verdient.

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