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Landeshauptstadt: Herr Lehrer, ich weiß zu wenig!

Potsdamer Schüler wissen wenig über die DDR. Schüler aus Neuruppin und Frankfurt/Oder konnten mehr Fragen richtig beantworten. Wissenschaftler ziehen ein vernichtendes Fazit aus dem Test.

Brandenburger Schüler wissen zu wenig über die DDR. Zu diesem Ergebnis kommen Monika Deutz- Schröder und Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin in einer aktuellen Studie. Vor allem das Nichtwissen – 80 Prozent der Schüler haben gesagt, sie wissen wenig oder nichts über die DDR – empfinden die Wissenschaftler als eklatant. Sie ziehen ein vernichtendes Fazit: Es sei problematisch, dass viele der befragten Brandenburger Schüler nicht wissen, wann die Mauer gebaut wurde oder wer sie errichten ließ und warum. Daher „sollte im Geschichts- und Politikunterricht größeres Augenmerk auf diesen Teil der deutschen Teilungsgeschichte gelenkt werden, um einer Entlastung und Weichzeichnung der DDR und der sie regierenden SED vorzubeugen“, sagt Schröder.

750 Schüler aus Frankfurt/Oder, Neuruppin und Potsdam sind befragt worden: „Anscheinend stammen ihre Kenntnisse über diesen deutschen Teilstaat vor allem aus familiären Gesprächen und Filmen und weniger aus dem Schulunterricht“, erklärte Klaus Schröder. Die befragten Schüler selbst, alle zehnte und elfte Klasse an Gymnasien und Gesamtschulen, sind in der Bundesrepublik geboren. Für sie sei die DDR terra incognita, sie kennen sie nur von Erzählungen, Büchern, Filmen oder aus dem Unterricht und haben sie nie selbst erlebt.

Das Interesse unter den Schülern an der DDR scheint groß, das Wissen und das Angebot in Schulen klein. 80 Prozent der Schüler haben angegeben, dass dieses Thema zu selten oder nie in der Schule behandelt worden sei. Zudem werde nicht einmal in der Hälfte der Familien darüber gesprochen. Aus dem Ministerium hieß es dazu, dass in Potsdam auch die Bevölkerungsstruktur für die Unwissenheit und Verharmlosung verantwortlich sei. Es habe viele typische DDR-Karrieren gegeben – Vater Soldat, Mutter Erzieherin oder Lehrerin. Das neue Potsdam aus Ost- und Westdeutschen komme bei der Befragung noch nicht zur Geltung, da die Kinder zugezogener Familien noch nicht unter den Befragten gewesen seien.

Nur eine Einrichtung in der Landeshauptstadt hat laut Klaus Schröder besser abgeschnitten als andere Schulen: das Evangelische Gymnasium Hermannswerder. Die Gründe dafür sehen die Wissenschaftler in der Geschichte der Schule. In der DDR ein kirchliches Oberseminar, wurde damals Schülern das Abitur ermöglicht, die aus politischen Gründen an einer erweiterten Oberschule der DDR nicht ihr Abitur ablegen durften. Deutlich häufiger hätten die Schüler dieses Gymnasiums den Repressionscharakter der DDR betont, so Schröder. Schüler zweier weiterer Gymnasien in Potsdam sowie einer Gesamtschule sind zur DDR befragt worden.

Ein städtisches Gymnasium, dessen Namen er nicht sagt, sei besonders aufgefallen. Immer wieder hätten dort die Schüler betont, an der DDR könne doch nicht alles schlecht gewesen sein. „Unserem Eindruck nach wollten sie uns damit provozieren“, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Bericht. Zumal einer der Schüler die Kenntnisse der Wissenschaftler über die DDR anzweifelte, weil diese dort nicht gewohnt hätten. Der Schüler habe jedenfalls keine zentralen Kenntnisse über die DDR nachgewiesen, so Schröder. Damit unterschied er sich kaum von seinen Mitschülern.

Wie Schröder sagte, seien die Schüler in Neuruppin von ihrer Einschätzung her deutlich schlimmer. Die Potsdamer würden dagegen seltener sagen, dass sie es nicht wüssten, sondern bei Wissensfragen einfach falsch antworten.

Dazu zählt auch zu unterscheiden, welche Politiker in der DDR und welche in der Bundesrepublik regiert haben. Der Klassiker unter den Fragestellungen, der gerne auch mal bei TV-Comedy-Shows in Fußgängerzonen für Erheiterung sorgt, hat erneut geklappt. Zwar haben 54 Prozent (59 Prozent Jungen) der Potsdamer Schüler gewusst, dass Adenauer Bundeskanzler der Bundesrepublik war – allerdings glaubte immerhin jeder Dritte befragte Schüler, Adenauer hat die DDR regiert. Danach befragte Lehrer konnten sich die Wissenslücken ausgerechnet bei Adenauer nicht erklären, da gerade er als Gründungsvater der Bundesrepublik häufig im Unterricht Erwähnung fände.

Schlusslicht ist Potsdam allerdings bei der Zuordnung von Helmut Kohl: 79,5 Prozent kannten zwar die richtige Antwort, immerhin 15,5 Prozent hielten ihn jedoch für den Staatsratsvorsitzenden der DDR. Da waren die Schüler in Neuruppin und Frankfurt/Oder besser. Im Vergleich der drei Brandenburger Städte fällt auf, dass die Frankfurter häufig mehr richtige Antworten gegeben haben, Potsdam am seltensten.

Im Geschlechterkampf sind bei den Wissensfragen nach Politikern die Jungen traditionell besser als die Mädchen. Den größten Unterschied zwischen Jungen und Mädchen bei der Frage nach Adenauer gab es in Frankfurt/Oder. 72 Prozent der Jungen wussten es, aber nur 48 Prozent der Mädchen. Walter Ulbricht kannten allerdings nur 35 Prozent der Potsdamerinnen richtig, bei den Jungen antwortete jeder Zweite korrekt. Selbst mit dem Namen Erich Honecker, von Schröder als „Feudalherrscher“ bezeichnet, wissen Mädchen weniger anzufangen als die Jungen. Ganz Aus ist es dann bei Egon Krenz, der heute in Dierhagen an der Ostsee lebt. Zehn Prozent der Brandenburger glauben, er hat die Bundesrepublik regiert – 45 Prozent kennen ihn überhaupt nicht. Schröder erklärt, dass die bundesdeutschen Politiker einen höheren Bekanntheitsgrad unter den Schülern haben, allerdings auch häufiger dem falschen Staat zugeordnet würden. Und noch eines glauben sie erkannt zu haben: Die Beurteilung der DDR-Geschichte gleicht sich bei Schülern, die sich entweder der NPD oder den Linken nahe fühlen. Denn den größte Zuspruch zur DDR-Sozialpolitik gibt es laut Schröder von Anhängern der extrem Linken und Rechten.

Das Nichtwissen Brandenburger Schüler über die DDR ist nicht neu: Bei einer Schülerbefragung zur DDR-Geschichte im Jahr 2005 durch das Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Berlin kam heraus, dass knapp ein Drittel der befragten Brandenburger Schüler das Thema DDR bis zur zehnten Klasse nicht behandelt hatten. Nur knapp die Hälfte der Schüler konnten damals die Wissensfragen nicht beantworten. Die Landesregierung schrieb damals dazu, diese Umfrage sei aufgrund nur zwei ausgewählter Gymnasien im Land nicht repräsentativ. Jetzt, gut zwei Jahre später, bei einer repräsentativeren Umfrage, konnten drei Viertel der Schüler die Wissensfragen nicht beantworten Jan Brunzlow

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