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Homepage: Hinter der Fassade

Wie Studierende der Fachhochschule Potsdam DDR-Alltagskultur ins Museum bringen wollen

Im Ruhezustand ist das Zimmer einfach weiß. Einziges reales Möbelstück ist ein abgewetzter Sessel. Ein weißes Rechteck an der Wand markiert ein Fenster, im Raum verteilt stehen einige weiße Kästen in verschiedenen Größen. Auf einem von ihnen steht ein Plattenspieler. Wenn der Besucher hier eine Platte auflegt, erschallt nicht nur Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“, sondern erwacht die ganze Szenerie zum Leben – per Videoprojektion: Die Wände ziert plötzlich eine braun-gelb-gemusterte Tapete, die Kisten verwandeln sich in Regale, Schränke, Tische. Und dann kommt, was kommen muss: Ein lautes Klopfen vom Nachbarn obendrüber. Denn dem wird es mit der lauten West-Musik zu bunt. Der ganz normale DDR-Alltag eben.

Die Idee für eine solche begehbare und interaktive Rauminstallation entstand bei einem interdisziplinären Projekt an der Fachhochschule Potsdam (FH). Dabei haben die angehenden Interfacedesigner zusammen mit Studierenden der Fächer Soziale Arbeit, Informationswissenschaften und Kulturarbeit Konzepte für eine Ausstellung über DDR-Alltagskultur in Potsdam entwickelt. Die Ergebnisse wollen sie am heutigen Freitag dem Potsdam Museum vorstellen.

Drei Monate lang arbeiteten die 30 Studierenden in drei Arbeitsgruppen intensiv an dem Projekt, wie Hermann Voesgen, Professor für Kulturarbeit erzählt. Dabei sei es nicht um eine „offizielle“ Geschichte der DDR, sondern um Alltagskultur gegangen: „Wir haben uns dafür interessiert, wie sich jenseits der sozialistischen Gesellschaft der Alltag organisiert hat“, erklärt Voesgen. Denn mit den materiellen Spuren der DDR verschwinde auch die Erinnerung an den Alltag.

Der eingangs beschriebene „Spielraum“ wurde aus der Auseinandersetzung mit dem Thema Kunst und Zensur entwickelt, berichtet Sebastian Schmitt, einer der Studierenden. Dazu habe man Zeitzeugen – einen Künstler und eine Kuratorin des ehemaligen Kulturhauses „Hans Marchwitza“, das heute wieder Altes Rathaus heißt – befragt.

Die Arbeit mit Kunst, so ein Ergebnis, war einer der Bereiche, in denen mit teils großer Kreativität Spielräume erkämpft wurden – gegen mehr oder weniger offene Schikanen vom Staat. So wurden etwa Ausstellungen in Privatwohnungen organisiert – zu denen dann aber auch uneingeladene Gäste erschienen, bei denen ohne Worte klar war, dass sie für die DDR-Staatssicherheit kontrollierten.

Eine zweite Arbeitsgruppe widmete sich dem ehemaligen Institut für Lehrerbildung (IFL), dem mittlerweile zum Abriss vorgesehenen Haus der FH am Alten Markt. Dort wurden Unterstufenlehrer und Pionierleiter ausgebildet – Eindrücke zum Alltag am Institut und in den Grundschulen holten sich die FH-Studenten im Gespräch mit ehemaligen IFL-Studenten. Auch wenn das Studium hoch politisch gewesen sei, hätten die Studierenden Freiräume gefunden, so ihr Ergebnis.

Besuchern einer möglichen Ausstellung zur DDR-Alltagskultur wollen die Studierenden davon ebenfalls mit einer interaktiven Installation berichten, in der buchstäblich „hinter die Fassade“ geschaut werden kann: Wie Origamifiguren liegen vierzackige, weiße Sterne aus Plastik auf einer Art Tischplatte, die ein berührungsempfindlicher Bildschirm ist – Interfacedesigner nennen das einen Multitouchtisch. Die Plastik-Sterne bilden das charakteristische Muster der Fassade des ehemaligen IFL-Gebäudes. Werden die Sterne einzeln angehoben oder aufgelegt, kommen Zeitzeugen zu Wort oder werden Dokumente sichtbar. Bei dem Modell sei es darum gegangen, die auch am IFL herrschende Doppelmoral zu verdeutlichen, erklärt eine FH-Studentin: die früheren Studierenden hätten zwischen offizieller und inoffizieller Meinung wohl unterschieden.

Als dritte Idee entwickelten die FH-Studierenden eine Art interaktiven Stadtrundgang: „Wir wollen Vergessenes sichtbar machen“, erklärt Andreas Lutz, der das Projekt als Lehrbeauftragter im Fach Interfacedesign begleitete. Touristen und Potsdamer könnten sich dann jeweils vor Ort Bilder oder Videos zur DDR-Geschichte verschiedener Potsdamer Gebäude oder Komplexe machen. Den Beginn machten die Studenten mit dem verschwundenen „Ernst-Thälmann-Stadion“ im heutigen Lustgarten: „Hier waren viele Potsdamer sportlich aktiv“, sagt Hermann Voesgen. Die Studenten wollen diese Erinnerungen unter anderem mit alten Filmaufnahmen bewahren.

Die Idee könne zu einem digitalen kollektiven Gedächtnis erweitert werden, erklärt Andreas Lutz: Denn Zeitzeugen können Berichte und Fotos einstellen, Enkel etwa auch ihre Großeltern über deren Erlebnisse an verschwundenen DDR-Orten befragen: „So wird nach und nach ein Fundus aufgebaut.“ Ob die drei Ideen weiterentwickelt und realisiert werden, hängt nun auch vom Interesse der Verantwortlichen des Potsdam Museums ab.

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