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Aus dem GERICHTSSAAL: „Ich bin an diesem Tag nicht gefahren!“

Sachverständigengutachten belegte: Bußgeldbescheid traf den Richtigen

Ortwin O.* ist offenbar gern schnell unterwegs. In seinem Verkehrszentralregister sind drei Einträge wegen Geschwindigkeitsüberschreitung vermerkt. Und auch am 3. März vorigen Jahres soll der Fünfzigjährige einmal mehr zu viel Gas gegeben haben. Statt 50 Stundenkilometer zu fahren, wie innerhalb geschlossener Ortschaften vorgeschrieben, wurde er mit 77 Sachen „geblitzt“. Ortwin O. erhielt einen Bußgeldbescheid über 110 Euro. Dagegen legte er Einspruch ein. Seine Begründung während der gestrigen Verhandlung: Er sei an diesem Tag überhaupt nicht mit dem Auto unterwegs gewesen. Folglich könne er auch nicht die Person auf dem Blitzerfoto sein. Ortwin O. mutmaßte, der Mann am Steuer sei eventuell sein Bruder gewesen. Der sähe ihm sehr ähnlich, sei nur zwei Jahre jünger. Vielleicht habe aber auch jemand ganz anderes sein Fahrzeug genutzt.

Amtsrichterin Birgit von Bülow machte Nägel mit Köpfen, schaltete einen forensischen Sachverständigen ein. Der verglich anhand eines aktuellen Fotos von Ortwin O. u. a. Haartracht, Stirn, Nase, Augenbrauen, Mund und Kinnpartie mit den Gesichtszügen des abgelichteten Rasers. Dann kam er zu dem Schluss: Die Wahrscheinlichkeit einer Verwechslung beträgt 1: 150 000 . Oder anders ausgedrückt, Ortwin O. ist mit 99,9993-prozentiger Sicherheit der rasante Fahrer.

Auf dem Fahrerbild habe er 42 „beschreibbare Merkmale“ gefunden. 30 von ihnen würden mit dem aktuellen Vergleichsfoto übereinstimmen, so der Gutachter. Zwar seien die Gesichtszüge des „Geblitzten“ eher unauffällig, die Stirnform mit dem „zurückgezogenen Haaransatz“ sei bei gut der Hälfte aller Männer dieses Alters so, doch seine Nase sei länger als durchschnittlich, der Nasenrücken breiter als gewöhnlich. Da die Ohren auf dem Polizeifoto nicht sichtbar sind, müssen sie extrem eng anliegen. Dies habe sich beim Vergleich bestätigt. Nur 25 Prozent aller Männer hätten derart enganliegende Ohren. Der Sachverständige schaute sich auch Fotos vom Bruder des Ortwin O. an. Doch das waren Partybilder, für eine Begutachtung nicht geeignet. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sind der Fahrer auf dem Foto und der Betroffene ein und dieselbe Person“, fasste der Experte seine Erkenntnisse zusammen.

„Mein Mandant sagt nach wie vor, er war es nicht“, wandte Rechtsanwältin Alexa Graeber ein. Sie stellte den Antrag, ein ergänzendes Gutachten einzuholen. Dies solle belegen, dass der Bruder von Ortwin O. an jenem Märztag gefahren sei. „Die Beweiserhebung durch den Sachverständigen hat zweifelsfrei ergeben, dass das Fahrerfoto mit dem Betroffenen identisch ist“, sagte dagegen Richterin von Bülow. Ortwin O. beriet sich mit seiner Anwältin. Die erklärte danach: „Wir nehmen den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurück.“ (*Name geändert.) Hoga

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